Mittwoch, 10. Juli 2013

Die Wahrheit und so

„Wir begrüßen ganz herzlich Frau Lehner“, sagt der Moderator. Ich lese. Konzentriere mich darauf, schön zu formulieren, klar zu sprechen, habe vorher extra mit einem Korken im Mund geübt, obwohl mir dabei immer schlecht wird. Beim Lesen denke ich dran, dass Wettlesen nicht bedeutet, so schnell wie möglich fertig zu sein und achte auf die Pausen.
Ich hab das gut gemacht, finde ich, als ich die Zettel zur Seite lege. Aus dem Publikum verhaltener, höflicher Applaus. Wenigstens keine Buhhrufe.

Die kommen von der Jury. „Das ist keine Literatur", sagt der Mann ganz links, „das ist Trash. Die Geschichte quillt vor Pathos über und ist nicht lebensnahe. Kein Mensch verhält sich so wie die Protagonistin in der Geschichte. Und die Metapher mit dem Mond, der vom Himmel fällt, ist völlig misslungen. Einfach nur peinlich.“ Die Dame neben ihm fällt ihm ins Wort. „Das ist nicht mal Trash“, sagt sie, „das ist beschriftetes Klopapier.“ Sogar der Kerl, der mich zum Wettlesen eingeladen hat – ich hab ihm Ich bin sonst nicht so vorgelesen, die Geschichte zwischen Chef und Sekretärin, und er hat es sich dabei besorgt – lässt mich fallen. „Das war wohl nichts“, sagt er, „zu klein, zu wenig Spannung, insgesamt zu flach.“ Genau das dachte ich mir auch, als er mich vorher in der Garderobe gefickt hat.
„Was haben Sie sich bei diesem Text eigentlich gedacht?“, möchte der schnöselige Typ mit der Brille wissen und gibt sich selber die Antwort. „Nichts.“

Sie zerreißen meine Geschichte in der Luft. Also mache ich das gleiche. Die Kamera ist auf mich gerichtet, als ich meinen Text zerreiße, Seite für Seite. Ich verliere die Fassung. Ich bin ganz anders als die spätere Gewinnerin, die nach ihrem Sieg souverän sagen wird, sie hätte sich mehr Kritik gewünscht. Ich hätte mir Anerkennung gewünscht, ja, sogar Lob. Wenigstens ein bisschen Respekt. Es tut weh, so verletzt zu werden. Ich weiß, es gehört zu den Spielregeln, weil es sonst langweilig ist für das Publikum, aber es tut weh.

„Ihr Bohlens für Intellektuelle!“, schreie ich sie an. „Ihr habt doch keine Ahnung vom Leben! Das Leben ist nämlich keine geschliffene Formulierung, das ist manchmal Trash. Ihr habt keine Ahnung, wie sich meine Protagonistin fühlt, weil ihr niemals den Kitt aus den Fenstern fressen und euch prostituieren musstet für ein warmes Abendessen. Ihr habt keine Ahnung, wie es sich anfühlt, von den Nachbarn, Gerichten und Behörden gedemütigt zu werden. Das ist keine moderne Frau in der Geschichte, sagt ihr. Ja, das mag sein, dazu hat sie nämlich keine Zeit. Sie muss überleben. Das ist eine reale Frau. Ihr sitzt hier satt und zufrieden und demütigt selber! Ihr glaubt, ihr kritisiert Texte, aber ihr macht Menschen, die sie geschrieben haben, fertig.“

Die Saalordner ergreifen mich an den Ellbogen und wollen mich hinausziehen. Aber das lasse ich mir nicht gefallen. Die Kamera zoomt auf mich. „Die Autorin hat das letzte Wort, wenn sie will", schreie ich,"das gehört auch zu den Spielregeln. Ich lasse mich von mir völlig fremden Germanistikprofessoren und – innen, die allesamt noch nie geschwitzt haben, um ihre Miete zu zahlen, die noch nie kämpfen mussten auf ihren Unilehrstühlen, ich lasse mir von so jemandem nicht das Wort verbieten. Wieso maßt ihr euch überhaupt an, zu beurteilen, was gute Literatur ist? Das hat die Bachmann nicht gemeint, als sie sagte, dass die Wahrheit den Menschen zumutbar ist. Und warum in diesem Tonfall? So verachtend, verletzend und überheblich? Wisst ihr, was die Wahrheit ist? Euch geht’s in Wahrheit nicht um Literatur. Sondern darum, selbst ein bisschen besser dazustehen als andere. Um eure Eitelkeiten geht’s euch. Macht euch nichts draus, das kenn ich. Deshalb bin ich ja da. Und tschüs.“
Ich gehe an ihnen vorbei und lasse die Papierschnipsel meines Textes auf sie rieseln.
Ich werde nie wieder ein Wort schreiben, beschließe ich in diesem Moment.

Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaue, sehe ich eine Meute Journalisten und Fotografen vor den Himbeerstauden lauern. Ich schalte das Telefon aus, gehe in den hinteren Garten, wo man mich nicht sehen kann. Zerreibe Zitronenmelisse zwischen meinen Fingern und atme ihren Duft ein. Ich weiß nicht, ob ich stolz bin, weil ich meine Ängste besiegt und es gewagt habe, mich dem Theater auszusetzen. Ich weiß nicht, ob es mir übermorgen peinlich sein wird, zum Bäcker zu gehen. Ob ich je wieder Zeitung lese. Ich weiß gar nichts. Außer, dass ich jetzt eine Geschichte darüber schreiben werde.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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