Der Idiot

Freiheit ist das Recht, auf eigene Kosten Dummheiten zu machen. Und so, wie jeder von uns chronisch mehrfach normalen Menschen (CmnM – bald gibt es bestimmt einen ICD-Code dafür) unreflektiert und lustvoll Fehler machen darf – die falsche Frau heiraten, Schulden machen, sein Geld versaufen oder verspielen – genauso muss das auch für Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen gelten. Aber wir bevormunden sie. Bevormundung. Vor dem Mund. Bevor der Mensch den Mund aufmacht, macht sein Vertreter ihn auf. Spricht für ihn. Vertritt ihn. Tritt ihn.

Manchmal lernen wir aus unseren Dummheiten. Meistens aber nicht. Das gehört auch zur Freiheit. Menschen mit Behinderung nimmt man die Chance, aus Fehlern zu lernen – oder aber auch nicht.
Diese Menschen brauchen vielleicht ein Mehr an Unterstützung und Zeit, aber sicher nicht an Bevormundung. Anstatt dass man uns diese Zeit für die notwendige Unterstützung gibt, treibt man uns mit Leistungskennzahlen und Zielvereinbarungen in den Wahnsinn. Dabei sind diese sogenannten Vereinbarungen in etwa so freiwillig und beidseitig wie die Vereinbarung: „Wir haben ausgemacht, dass du heute endlich dein Zimmer aufräumst. Jetzt ist die Mama aber traurig.“
Weil wir nicht wollen, dass die Mama traurig ist, weil wir alle glückliche Mamas wollen, die stolz auf uns sind, räumen wir unsere Zimmer auf und erfüllen die angeordneten Zielvereinbarungen. Wir treten in die Pedale unseres Hamsterrades, damit die Mama uns liebhat. Immer kräftiger und immer schneller treten wir, schneller noch als die anderen, damit die Mama uns mehr lieb hat als die anderen. Wir blicken dabei aufs Mehr. Mehr Leistung. Mehr Geschwindigkeit. Mehr Liebe. Vor lauter Treten und Schwitzen übersehen wir, dass wir den Hamster längst zu Tode geschleudert haben. Wir meinen es doch nur gut. Wir wollen ihn doch nur motivieren schneller zu laufen, weil in unserer Gesellschaft nur mitkommt, wer fit und dynamisch ist.
Wir sind umgeben von rasendem Stillstand.

Weil wir den Anblick des toten Hamsters nicht ertragen können, baden, kämmen und föhnen wir ihn und setzen ihn zurück in den Käfig. Wir legen ihm täglich ein frisches Salatblatt hinein und wundern uns, weil er nicht fressen mag. „Na, Hansi, bist du gar nicht hungrig? Jetzt ist die Mama aber traurig.“
Wir merken nicht, dass der Hamster wir selbst sind. Unsere Ideale, die wir zu Tode getreten haben. Er konnte nicht Schritt halten mit unseren Erwartungen, unser blauäugiger, flauschiger Hamster, mit den Erwartungen der Gesellschaft an ihn. Dabei sind wir angetreten, um die Welt zu retten. Die Erde. Das Land. Die Menschen. Ein paar wenigstens. Die Wahrheit ist: Wir können uns nicht einmal selbst retten.

Jetzt liegen sie unbeweglich im Käfig, unsere Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit. Und diese Ideale, die einst so hungrig waren, so stark und kämpferisch, haben einen starren Blick und sind steif und kalt. Sie wollen unser Salatblatt nicht mehr. Da wird die Mama traurig sein.
Nicht mal, als sich süßlicher Verwesungsgeruch breit macht, nehmen wir ihren Tod wahr. Wir kriechen zu unserem Hamster in den Käfig und warten darauf, dass er wieder frisst. Wo wir uns doch so viel Mühe gegeben haben. Wir warten, dass er wieder atmet, wieder lebt. Wir warten und liegen da, erschöpft und leer, wie unser Hamster. Wir schaffen es nicht mehr, zum Kühlschrank zu gehen, um ein Bier für uns und Löwenzahn für den Hamster zu holen. Wir liegen nur da, decken uns mit Heu zu und schmiegen uns an das kalte Tier.

Wir fühlen uns wie Dostojewskis Idiot. Psychiater sollten Weltliteratur lesen statt Manualen, denken wir. Einsam und gefangen fühlen wir uns, dabei sind wir selbst es, die die Tür des Käfigs versperrt haben, um den Hamster vor der lauten Welt mit ihren unsäglichen Erwartungen und der Anforderung frei und individuell zu sein, zu beschützen. Und so leben oder schweben wir in der Blase der Idiotie, bis sie platzt. Heraus quellen eitrige, stinkende Neurosen – die Krankheit der Disziplinargesellschaft - und ansteckende Depressionen – die Krankheit der Kontrollgesellschaft. Immer tiefer gleiten wir in die Entschleunigung der Depression.

Vielleicht fühlt sich so Freiheit an? Nichts mehr zu müssen, nichts mehr zu können. Nur noch Warten.
Freiheit ist das Recht, auf eigene Kosten Dummheiten zu machen. Vielleicht können wir die Welt nur retten, indem wir sie beschützen. Vor zu viel Freiheit.
LadylikeKandis - 4. Nov, 23:37

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Ganz still und heimlich, bin ich manchmal froh, dass die kurze ihr zimmer nicht aufräumt, der große erst beim vierten mal die theorie (führerschein) geschafft hat und die große merkt, dass arbeiten (FSJ krankenhaus) ziemlich stressig sein kann. break. ja. wir sollten uns alle frühzeitig auszeiten und nicht alles so wichtig nehmen.

lg kandis

testsiegerin - 5. Nov, 19:26

Ja, das ist wichtig, nicht alles so wichtig zu nehmen, und sich selbst schon.
aber manchmal sagt sich das leichter als es getan ist ;-)
steppenhund - 5. Nov, 08:58

.

bonanzaMARGOT - 6. Nov, 09:46

bisserl wirr und diffus das ganze - mir fehlen die beispiele. mit der realität verhält es sich nun mal nicht so einfach. freiheit muss man immer im kontext der realen umstände sehen. das gilt für alle idioten und zombies, die im hamsterrad laufen.

Jossele - 6. Nov, 15:40

Natürlich stimmt das alles, fast alles.
Wir gleiten vor lauter satter Langeweile still in Passivität und Handlungsminnimierung, weil wir die Freiheit dazu haben.
Wenn wir uns also dazu entscheiden, gut. Gar viele sterben so langsam, dass sie es noch Leben nennen.

Allerdings haben wir neben der Freiheit eigentlich auch eine Verantwortung, namentlich die, Sinn und Inhalt zu suchen, und das jeden Tag, nicht nur in Sturm- und Drangzeiten.
Einer Disziplinargesellschaft oder den Verhältnissen das Mäntelchen der eigenen Trägheit umzuhängen ist mir da zu einfach.

Aber dass zu viel Freiheit oft ratlos macht, dem kann ich zustimmen.

bonanzaMARGOT - 6. Nov, 19:24

das ganze hinterlässt bei mir eher das gefühl, dass wir gar nicht so genau wissen, was freiheit ist.

für mich bedeutet freiheit einfach ein mindestmaß an persönlichen einschränkungen - die ich nicht will.
das kann man im persönlichen bereich anders erörtern als im beruf. ebenso ist das gefühl von freiheit bei jedem menschen, glaube ich, je nach persönlichkeit und vita anders ausgeprägt.
HARFIM - 6. Nov, 15:53

Viele nehmen sich auch die Freiheit

auf Kosten anderer Dummheiten zu machen. Und von denen sollte man sich unbedingt lösen oder besser gesagt, frei machen.
Wo ich mit vollem Herzen zustimme, dass man selbst der wichtigste Mensch im (eigenen) Leben ist.
Das stimmt nicht unbedingt für die Gesellschaft, da sollte man sich wohl nicht so wichtig nehmen.
Aber mit sich selbst muss man auskommen, in guten und in schlechten Tagen, unbedingt sehr nachsichtig sein.

Der Text gefällt mir. Was zum Nachdenken.
In der DDR haben sie uns in den Politunterrichten gequält mit "Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit" - ich weiß nicht, ob das von Hegel oder Marx gesagt wurde. Wenn hat der kluge Mann bestimmt das so gemeint: Eine Einsicht, zu der man für sich selbst und unbeeinflusst von anderen gekommen ist.
Die Genossen meinten aber immer, die Partei vermittelt einem die Einsicht, am besten noch die Greise im Politbüro - und dann hatte man gefälligst "frei" zu wählen :-)
Heute sprechen ja Politiker vom "Fraktionszwang", wenn es zum Beispiel um Abstimmungen geht. Das ist eigentlich auch nichts anderes, Freiheit jedenfalls nicht.
Einsicht in die Notwendigkeit, paah.
Wenn jemand von Verantwortung redet, bin ich schon (ein wenig) hellhörig und vorsichtig.

bonanzaMARGOT - 6. Nov, 19:31

freiheit ist sicher nicht die einsicht ins notwendige. freiheit bedeutet immer die loslösung vom demonstrativen und traditionellen notwendigen - hin zu neuen notwendigkeiten. leider. drum ist anarchie ein aberglaube. jedenfals das praktizieren der anarchie.

freiheit (oder besser freigeist) ist ursprünglich nichts anderes als die individuelle wahrnehmung der welt. diese freiheit haben wir als menschen erlangt ... jedenfalls teilweise. und diese "selbstbewusste" wahrnehmung macht unser zusammenleben interkulturell und überhaupt ziemlich schwierig - weil jeder affe für sich eine andere freiheit definiert.
Olaf (Gast) - 7. Nov, 11:43

"... weil jeder affe für sich eine andere freiheit definiert."

Genau.

Was Freiheit braucht ist die Übereinkunft, was Freiheit wert ist. Wobei mit "wert" kein monetärer Wert gemeint ist. Andererseits ist Geld vielleicht gar kein schlechtes Beispiel um das Dilemma um die Freiheit aufzulösen. Es ist der Mechanismus wie Geld funktioniert, der parallel auch für die Freiheit anwendbar sein müsste.

Geld ist die Einigung darauf, dass ein bedruckter Zettel genau das wert ist, was drauf steht. Freiheit ist nichts anderes als ein bedruckter Zettel. Wenn auf ihm stünde, wo die Freiheit anfängt und wo sie endet, dann dürfte sie funktionieren wie Geld. Der Unterschied dieses Zettels mit der Banknote wäre aber, dass dieser Zettel nicht eintauschbar ist. Er gilt für jeden gleichermaßen, unabhängig von allen, was uns Menschen unterscheidet - weshalb er uns gleich macht, was aber mitnichten Gleichmacherei wäre. Es zeigte uns nur, dass wir Menschen sind und uns Menschen gegenüber stehen, dass Kants kategorischer Imperativ das Werkzeug schlechthin ist, um miteinander auszukommen.

Ja, das sind die Zustände in Utopia. Aber doch nur, weil es ein paar Wenige gibt, die großes Interesse daran haben, die Freiheiten der Anderen einzuschränken. Und weil es ziemlich Viele gibt, denen es schwer fällt anderer Menschen Werte frei und willig anzuerkennen. Der große Rest ist damit beschäftigt den Hamster totzuhetzen und hernach zu schminken. Und das alles für'n I-Phone...

Damit Freiheit von allen gelebt und verstanden werden kann, braucht sie Regeln und Aufklärung. Aber es mangelt uns an beiden.

steppenhund - 23. Dez, 08:56

Es gibt keine Freiheit

Nicht in dem Sinn, in dem sie immer wieder proklamiert wird. Als Begründung für Aufstände, also Abstandnehmen von bestimmten Verpflichtungen.
Wenn es etwas wie Freiheit gäbe, wäre das die Möglichkeit, gegen Gesetze zu verstoßen, ohne dass dies geahndet würde.
Diese Freiheit gab es nicht einmal im Paradies. Der Verstoß gegen eine Regel wurde bereits mit Verstoßung bestraft.
Wenn es eine Freiheit gibt, dann ist das die Freiheit des Geistes. Es ist eine Freiheit, die sich nicht damit abgibt, sie für andere Menschen zu missionieren.

Das ist selbstverständlich eine sehr subjektive Betrachtung. Wenn ich der Einzige bin, der das so sieht, so betrachte ich das als meine persönliche Freiheit.

Einsam und gefangen fühlen wir uns, dabei sind wir selbst es, die die Tür des Käfigs versperrt haben, um den Hamster vor der lauten Welt mit ihren unsäglichen Erwartungen und der Anforderung frei und individuell zu sein, zu beschützen. Und so leben oder schweben wir in der Blase der Idiotie, bis sie platzt.
Das kann ich nachfühlen. Aber gerade hier wird ja deutlich, dass sich Freiheit nur in einem selbst abspielen kann.
Und letztlich haben das Menschen wie Seneca oder Lucrez auch schon ähnlich formuliert. Doch wir wollen keinen Lateinunterricht. Wir wollen nicht lesen. Wir wollen alle Erfahrungen selbst machen. Deswegen fällt es mir schwer, mit den unfreien Menschen Mitleid zu haben. Der Sohn der 75-jährigen handelt in meinen Augen richtig. Es gibt keine Verpflichtung einem unleidlichen Menschen gegenüber. Bis auf ganz wenige Ausnahmen verändern die Menschen auch im Alter nicht ihren Charakter. Er wird nur ausgeprägter.
Wenn man sieht, wie viele ältere Menschen es gibt, die trotz gesundheitlicher Schwierigkeiten heiter und liebevoll bleiben, kann man (ich) nicht akzeptieren, warum man sich mit Bissgurn weiter abgehen sollte.

steppenhund - 23. Dez, 09:00

Ich muss der Klarstellung hier hinzufügen, dass ich nicht einem Sklaventum die Stange halten will. Hier unterjochen unfreie Menschen die noch unfreieren und halten das für gerecht und anständig.
Aber dann komme ich in eine ganz andere Diskussion. Wie sieht das mit Alphatieren aus? Und wäre es nicht besser, einen allgemeinen Atomkrieg zu führen, bei dem die Menschheit endlich ausgerottet wird? ALLE Menschen. Vielleicht findet die Natur dann einen besseren Organismus zur Weiterentwicklung.
steppenhund - 23. Dez, 09:02

Noch ein Zusatz: ich bin ein Alphatier. Ich bin der Chef einer kleinen Firma. Heißt das, dass ich frei bin. Wenn ich im Bett liege, überlege ich, wie ich das Geld zusammenkriege, damit ich die Gehälter auszahlen kann. Das ist mein persönliches Hamsterrad.
Frei bin ich aber trotzdem, weil ich es als persönliche Pflicht ansehe. Ich könnte ja aufhören und ein paar Menschen suchen sich eine neue Arbeit. Ganz einfach wäre das. Oder?

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"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

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