S wie Strumpfhose

Das ist mein Beitrag zum Projekt Kleider machen Leute, in dem es darum geht, Geschichten zu Kleidungsstücken von A - Z zu schreiben.
Mitmachen und teilen ist ausdrücklich erwünscht.


Robin Hood hatte eine.
Batman hatte auch eine. Ich hab hundert. Strumpfhosen. Helden tragen Strumpfhosen.

Strumpfhose - ʃtʀʊmpfˌhoːzə

Kleidungsstück, welches Kinder anziehen müssen, wenn es Mama und/oder Papa kalt ist, würde Mechatroniker analog zum Pullover sagen.

15 Grad Celsius. Das war in meiner Kindheit die ominöse Marke, an der wir uns orientieren mussten. Unter 15 Grad hieß es: Strumpfhosenalarm! Und die Strumpfhosen, die wir als Kinder anziehen mussten, waren nicht mit den heutigen vergleichbar, sondern kratzige, unangenehme Beinkleider in Beige und Braun. Strickstrumpfhosen.
Ich gestehe, ich habe den Thermometer manchmal in den heißen Kamillentee getaucht, denn dann waren die geringelten Kniestrümpfe erlaubt. Ich hab diese grauslichen Strumpfhosen gehasst, wie die meisten Mädchen. Und meinen Bruder gleich mit, weil der keine (mehr) anziehen musste.

Nicht alle fühlen sich jedoch durch solche Erinnerungen abgeschreckt. In einem Forum las ich folgendes: Hallo, kennt von euch jemand einen Shop oder eine Marke, welche super kratzige Wollstrumpfhosen verkaufen? Meine Freundin hatte mal eine aus DDR-Zeiten, die war echt unerträglich kratzig :-) Finde dies sehr anregend, wenn man den ganzen Tag erinnert wird, was man trägt.

Er war nicht allein und bekam zahlreiche Tipps von zahlreichen Strumpfhosenfetischisten.

Eine Freundin, die die Erfahrungen mit kratzigen Strumpfhosen mit mir teilt und deren Liebe zu diesem Kleidungsstück sich auch später nie entwickelt hat, meinte: „Wenn ich mal dement bin und im Heim, klau ich allen Mitbewohnern ihre Strumpfhosen und schneide sie in Streifen! Das wird meine Rache.“
„Wenn ich mal dement bin und du klaust meine, bring ich dich um“, hab ich gesagt und es ernst gemeint.


Am 15. Mai 1940 wurden übrigens die ersten Nylons verkauft. Der Tag ging als N-Day in die Geschichte ein.

Mein Onkel, der Fernfahrer, hat sie in den Sechzigerjahren nach Russland mitgenommen. Er fuhr mit ein paar Nylonsackerl (Kunststofftüten) Nylons von zu Hause weg und kam mit Matrjoschkas, einem hölzernen Bären mit Honigtopf, einem Schachspiel, einem geschnitzten Fischer mit Boot und Kaviar zurück. Die Nylonsackerl, die garantiert kein Nylon enthielten, waren übrigens ähnlich begehrt wie die Strumpfhosen.

Heute werden Nylons weggeschmissen, wenn sie eine Laufmasche oder ein Loch im Zeh haben. Meine Mama hat sie noch mit dem hölzernen Stopfschwammerl gestopft. „Unter der Hose kannst du die noch anziehen“, hat sie gesagt.
Mittlerweile gibt es laufmaschenresistente Strumpfhosen. Aber die haben so viel Charme wie unzerbrechliche chinesische Porzellanvasen. Die Gefahr, dass etwas Kostbares kaputtgehen kann, macht seinen Wert aus.

Ich war schon als Kind ziemlich schlampig und hängte nicht, wie es sich gehört, am Vorabend die Kleidung für den nächsten Tag fein sortiert über den Stuhl, sondern schlüpfte schlaftrunken so hinein, wie ich sie ausgezogen und auf den Boden geschmissen hatte. Auf dem Weg zum Bahnhof fühlte sich in meiner Hose etwas komisch an. Ich griff in den Hosenbund und zog und zog und zog... eine Strumpfhose heraus. Das war mir ziemlich peinlich, denn ich war nicht allein, sondern mit ein paar Schulkollegen unterwegs.
Ich hätte also genug Gründe, um Strumpfhosen zu hassen... aber ich liebe sie. Die Strumpfhosen von heute, anschmiegsam, weich, sanft, die Beine umschmeichelnd, haben nichts mit den Angstgegnern aus meiner Kindheit zu tun.


Ich war 14 oder 15 und das erste Mal in London. Da hab ich mich verliebt. Nein, nicht in einen James oder John. Es geschah irgendwo in der Oxford Street. Eine schwarze Strumpfhose mit weißen Straßen und roten Bussen drauf. Es war der Beginn einer großen Liebe.
Ich besitze Strumpfhosen unter anderem aus Paris, Berlin, Amsterdam und New York. Dabei war ich noch nie in New York. Die hat Freund A. mir mitgebracht. Ich weiß nicht, ob es für die Exfreundin Grund für die Trennung war, dass er für mich in New York Strumpfhosen kaufte.

Ja, ich hatte auch eine kurze Phase mit Halterlosen, nichts Ernstes, nur eine Affäre. Das Problem war nämlich, die waren irgendwie auch so haltlos. Und verwandelten sich kurzerhand - oder kurzerbein? - in Overknees, Kniestrümpfe oder im schlimmsten Fall in schlabbrige Socken. Wir sind nie ein Liebespaar geworden, die Halterlosen und ich.

Bei einer Lesung oder einem Poetry-Slam finde ich in der Bezirkszeitung kein Foto von meinem Gesicht... sondern von meinen Beinen. Und das liegt bestimmt nicht an meinen schönen Beinen, sondern an dem, worin sie stecken. In Erdölfasern. Die könnten bald durch Zucker ersetzt werden. Ob man mit diesen Strumpfhosen dann noch im Regen singen kann?

Zu meinem runden Geburtstag gab es natürlich einen Dresscode für Frauen. Es war ein wunderbares Bild auf der Berghütte. Und so viele Strumpfhosen als Geschenke.

Ich hab viele Lieblingsstrumpfhosen. Solche, bei denen ich weinen muss, wenn sie kaputtgehen. (Der Schmerz währt meistens nur kurz, weil ich dann natürlich sofort welche nachkaufen muss) Die nahtlose Fatale, oder die Wolford mit Rüschen an den Fesseln, die regulär 150,- Euro gekostet hätte und die ich zum Schnäppchenpreis erstanden hab. Die man besser nur mit Strumpfhosenhandschuhen anziehen sollte. Oder die, auf der steht: Fucking is the only fucking word that can be fucking used fucking in any fucking place in any fucking sentence. Oder die, die ich mir extra drucken lassen hab, auf der „Toll3ste Weiber, Lippenstift, Lust“ steht. Die mit den ägyptischen Zeichnungen. Oder die, die aussieht, als wären meine Beine mit Flammen und Schmetterlingen tätowiert.

Die mit den Bussen von London hab ich schweren Herzens nach 30 Jahren weggeschmissen. Meine Mama hätte sie bestimmt gestopft.


Wenn ich morgens aufwache und im Bett liege, überlege ich mir, welche Strumpfhose ich anziehe und welchen Ring ich nehme, und dann erst, welches Kleid dazu passt. Und ich gestehe: Manchmal steh ich vor den Schubladen mit den Strumpfhosen - sortiert nach Farben und Mustern - uni oder bunt, gestreift, kariert, klassisch, sportlich, schräg, sexy oder einfach schön - und denk: Scheiße, ich hab keine Strumpfhosen!

Und dann kauf ich welche.
wortmischer - 7. Jan, 23:31

Mein Lieblingssatz: "Helden tragen Strumpfhosen". Das hätt' mir mal einer rechtzeitig sagen sollen als kleinem Bub, der auch Strumpfhosen hat tragen müssen. (Ich habe sie gehasst.)

Das mit dem N-Day wusste ich übrigens nicht. Wie mir so vieles neu ist in dieser umfassenden Stellungnahme zu einem ... na ja, darf man schon sagen Fetisch? Oder wär das zu frech?

Ein sehr schöner Text, dem man beim Lesen gar nicht anmerkt, wie lang er ist. Vielen Dank für diesen Beitrag zum Kleider-machen-Leute-Projekt!

testsiegerin - 9. Jan, 18:14

Ich mag das Wort Affinität lieber als Fetisch.

Fetisch

1. ein Gegenstand, dem man magische Kräfte zuschreibt.

2.ein Gegenstand, der jmdn. in sexuelle Erregung versetzt.

Nein, zaubern können meine Strumpfhosen nicht.
wortmischer - 9. Jan, 22:51

Na gut. Ich werd es mir für künftig merken! Keine Zauberstrumpfhosen.
Trithemius (Gast) - 9. Jan, 18:17

Bei Ihren Kindheitserinnerungen habe ich mich glatt kratzen müssen. Nachher hatte ich ja mehr die Außensicht. Ich finde ein schön bestrumpftes Bein sehr ansprechend, kann Ihre Begeisterung für Strumpfhosen deshalb nachvollziehen. Aber eine ausgezogene Strumpfhose ist ein elendes Ding, eine "auf Halbmast" erst recht.
Ich finde Ihren Textbeitrag zum Wortmischer-Mitschreibprojekt sehr amüsant und reihe mich mit meinem Beitrag zum Buchstaben S gerne hinter Ihrem ein.

testsiegerin - 11. Jan, 20:23

Dankeschön!
Jaelle Katz (Gast) - 12. Jan, 08:50

weiße Strumpfhosen

Weiße Strumpfhose gab es auch: Zum Sonntagsspaziergang. Und Lackschuhe. Und mir fällt noch das etwas irritierte Gesicht des Mitbewohners ein, als sich die Lieblingshausziege ein Miederhöschen über ihre Strumpfhose zog, damit sie nicht rutscht. Dieses Konzept kannte er noch nicht...

wortmischer - 12. Jan, 11:36

"Lieblingshausziege"? Aber den Trick mit dem Miederhöschen kenn ich noch aus der Generation meiner Mutter.

Überhaupt: "Miederhöschen". Da sollte mal jemand einen Text drüber schreiben. Was mich zu der Frage bringt, ob ich als Projektdokumentator auch eine Wunschliste haben darf.
la-mamma - 13. Jan, 17:18

lach. ich werd´s ja nie verstehen, aber der text ist schön;-)

Dorothea Wagner (Gast) - 15. Jan, 21:38

Wie lustig - bei uns zu Hause war auch 15° die magische Grenze zwischen Strumpfhosen und Kniestrümpfen. Und ich war das einzige Mädchen ...

Meine Kinderstrumpfhosen haben auch gekratzt, obwohl da bestimmt keine Wolle drin war (eher Polyacryl), und die Liebe zu den Strumpfhosen ist bei mir wiedergekommen, sobald ich von zu Hause ausgezogen war und niemand mich mehr zwang, sie zu tragen. In Nylonstrumpfhosen war mir einfach zu kalt.

Aber eines mache ich ganz anders als früher: Ich kaufe Strumpfhosen grundsätzlich mindestens 2 Nummern zu groß. Um der Bequemlichkeit willen. Der größte Horror war nämlich, wenn meine Mutter die - schon an mir sitzende, aber zu weit unten sitzende - Strumpfhose am Bund packte und mehrmals hochzog, damit sie paßte.

testsiegerin - 15. Jan, 23:44

oh ja, da kommen kindheitserinnerungen hoch!
Beat(e)s Welten (Gast) - 25. Jan, 19:52

Ich musste als Junge auch gelegentlich Woll-Strumpfhosen tragen, wobei es dann meistens schon Schnee hatte. Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass sie gekratzt hätten, aber gehasst hatte ich sie trotzdem. Das war typisches Mädchen-Zeug!
Doch vor zwei Jahren hatte ich mir für unter die Jogging-Hose eine Kunert Warm up gekauft. Das Ding fühlt sich wirklich gut an und ich muss zugeben, dass ich seither auch sonst bei Temperaturen um den Nullpunkt gerne eine Strumpfhose trage. Warum soll dieser Komfort im Zeitalter der Gleichberechtigung Euch Frauen vorbehalten sein ;-)

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