Teilen

„Du kannst nicht schon wieder was vorlesen, Mama“, sagt sie. „ Du warst schon fünfmal da und hast jedesmal etwas vorgelesen. Teil halt einmal etwas anderes. Das, was du schreibst, interessiert die Leute nicht.“ Wahrscheinlich hat meine Tochter Recht, denn während ich zu lesen beginne, beginnen zwei Gäste eine angeregte Unterhaltung.

Es gibt viele hier, die besser schreiben können, witziger, sprachgewandter, pointierter. Aber was soll ich sonst teilen? Ich könnte über den Spaß am Theaterspielen und die Arbeit und das Vergnügen mit den Toll3sten erzählen, aber das wissen die meisten ohnehin. Oder wie sehr ich im Flow versinke, wenn ich Silberschmuck schmiede. Ich könnte etwas Selbstgekochtes mitnehmen, ich kann gut kochen. Aber das ist nichts besonderes, es gibt viele hier, die wesentlich besser kochen.
Was könnte ich teilen? Ich kann mir keinen Trüffel leisten und die vorletzte Flasche Hofer-Champagner hab ich getrunken, als Ernst Strasser verurteilt wurde. Die letzte brauch ich für Grasser, die kann ich nicht hergeben.
Ich reise nicht viel, also kann ich nicht mal mit preiswerten jemenitischen Ziegenaugen aufwarten. Das weiteste, wo ich je war, ist Lanzarote. Einen Lavastein von dort hab ich noch, aber was ist ein simpler Vulkanstein gegen das Sehorgan eines vorderasiatischen, widerkäuenden Paarhufers?
Wofür es sich zu leben lohnt? Na fürs Leben halt. Weil es einfach da ist, und wo es schon einmal da ist, ist es doch besser, es so zu leben, dass es sich lohnt, als ständig darunter zu leiden, oder? O.k., an mir ist keine grandiose Philosophin verloren gegangen.
Für meinen Beruf lohnt es sich zu leben - aber abgebaute, einbeinige Alkoholiker, die ihrer Familie mit dem Umbringen drohen, demente Damen, unter deren versifften Matratzen ich nach Sparbüchern suche oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, deren Intelligenz immerhin ausreicht, jede Woche einen neuen Handyvertrag abzuschließen und mir immer einen Schritt voraus sind, sind für andere nur bedingt spannend.
Für meine Kinder lohnt es sich zu leben, aber mit Kindern ist es wie mit Katzen, man mag sie, man hasst sie oder man ist allergisch. Wenn man sie mag, dann hauptsächlich die eigenen.

Plötzlich habe ich das Gefühl, dass alles in meinem Leben entsetzlich banal ist und alle anderen im Gegensatz zu mir ein richtig aufregendes Leben führen. Sie sind Musiker, Filmschaffende, Schriftsteller, Philosophen, Lebemenschen und Lebensmenschen. Oder wenigstens so richtig cool.
Ich arbeite und ernähre meine Familie, gehe dreimal die Woche ins Fitness-Studio, schaue am Wochenende gern Schirennen oder Fußball, je nach Jahreszeit und – ja, ich gestehe - lästere jeden Donnerstag bei Austrias next Topmodel ab. Ich schäme mich dafür, dass ich mich nicht einmal schäme dafür.

Ich habe das Gefühl, überhaupt nichts so richtig gut zu können. Ich weiß, darum geht es nicht, nicht im Leben und schon gar nicht im Salon. Man muss da nichts beweisen, sondern nur etwas teilen. Aber mein Gefühl schert sich einen Dreck darum, ob es darum geht, sondern drängt sich deppert dazwischen und macht sich wichtig. A propos: deppert sein kann ich ziemlich gut, aber sogar dabei werde ich von den meisten hier locker überrundet.
Teilen soll ich und würde ich auch gern, aber ich weiß nicht, was, wo doch die ganze Welt ohnehin alles per Facebook teilt, vor allem Katzen, Kinder und Kochen. Katzen kochen wäre vielleicht noch was. "Die hundert besten Katzenrezepte des Weinviertels" oder "Kinder kochen Katzen".

Zum Glück gibt es Menschen in meinem Leben, eine Handvoll vielleicht oder zwei, mit denen kann ich teilen, wie es sich anfühlt, sich nicht gut genug zu fühlen. Wie es ist, wenn das Leben und die Bank einem manchmal richtig Angst einjagen. Zum Glück gibt es Freundinnen, die ich um drei Uhr früh anrufen kann, weil ich geträumt habe, dass mir die Buchteln verbrannt sind, weil die Bremsen bei meinem Auto versagt haben. Und welche, die verstehen, dass es bei uns reinregnet, weil ich mir letztens in Linz lieber das Kleid gekauft hab als neue Dachziegel. Acht Quadratmeter Dachziegel hätte ich für dieses Kleid gekriegt.
Meine Freude teile ich mit diesen Freunden, meine Gedanken und meine idiotischen Selbstzweifel. Das teile ich auch hier. Weil ich tief drin weiß, dass hier auch andere Menschen mit einem Dachschaden sind. Da riskiere ich sogar, dass jemand sich beim nächsten Mal über weibliche Betroffenheitsliteratur lustig macht.
Jossele - 2. Feb, 13:23

Die Frage, warum es sich zu leben lohnt, ist, unter anderem, recht einfach zu beantworten.
Weil es dich gibt ist die Welt ein bisserl wärmer.
(also nicht jetzt die Klimaerwärmung)
Du findest sicher unschwer einige Menschen, wo du froh bist, dass es sie gibt, und du findest sicher ganz schön viele Menschen, die froh sind, dass es dich gibt, genau so wie du da bist.

testsiegerin - 2. Feb, 17:27

sie tun mir grad gut, herr jossele ;-)

nachdem es so viele menschen rund um mich gibt, die mir gutes tun, hoffe ich doch, dass ich ihnen irgendetwas geben kann, damit sie auch froh sind, dass es mich gibt.
Jossele - 2. Feb, 19:52

Das haben sie bereits Frau Lehner!
steppenhund - 2. Feb, 13:54

Das, was ich gerne teilen würde, kann ich auch nicht teilen. Das wäre mein Wunsch, dass andere eine bestimmte Musik so hören, so empfinden können, wie ich sie empfinde.
Manchmal hatte ich den EIndruck, Leute zu treffen, denen das möglich sein müßte. Doch im Endeffekt hatte jeder dieser Menschen seinen eigenen Zugang.
Daher denke ich manchmal, dass nur der Komponist seine Gedanken mit meinen geteilt hat. Und dann gibt es ein paar Pianisten auf der Welt, (nur ein paar) aus deren Musik ich höre, dass sie dieselben Gedanken haben müssen.
Aber die Gedanken sind es nicht. Alfred Brendel, ein fantastischer Pianist, kann alles beschreiben, aber wenn er spielt, glaube ich, dass er zu viel denkt. Es gibt andere Pianisten (allen voran der verstorbene Fritz Gulda), bei denen ich nicht dieses Gefühl habe. Und mein absoluter Favorit ist zur Zeit Sokolov.
Wie allerdings Zuhörer empfinden, kann ich nicht merken - und da hört sich dann das Teilen auf. Leider. Es waren große Enttäuschungen in meinem Leben, wenn sich eine entsprechende schimärenhafte Hoffnung aufgelöst hat.
Vielleicht ist es gerade das, was Du sehr gut kannst: das Teilen. Da habe ich auch immer die Freude an deinen Geschichten entdeckt.

testsiegerin - 2. Feb, 17:29

ich glaube, das ist ein ding der unmöglichkeit, dass irgendwer so empfindet wie ein anderer... sonst gäbe es ja nicht so viele missverständnisse und kommunikationsschwierigkeiten.
vielleicht ist es aber auch genau das, was das leben spannend macht. es braucht einfach ständig den austausch, um auch nur annähernd nachvollziehen zu können, wie ein anderer mensch tickt, empfindet, hört, sieht, versteht...
AnjinSan (Gast) - 2. Feb, 14:59

!

"....dass hier auch andere Menschen mit einem Dachschaden sind. "

Genau dewegen liebe ich Ihre Geschichte n. Das ist wie ein Teil von m ir ( also dieses andere in mir...).

testsiegerin - 2. Feb, 17:30

haben sie auch einen dachschaden? ;-)
la-mamma - 2. Feb, 17:59

so traurig ist dieser text gar nicht. diesen satz soll dir frau dr. blubb behintergründen.

so und jetzt meine küchenphilospophie: jeder (na gut, fast jeder) ist was besonderes, oder wir sind alle nix besonderes. ist ein bissi wie mit dem halben glas, oder?

ich hab jedenfalls auch bei diesem text zweimal laut auflachen müssen - das erste mal, glaub, ich bei den vorderasiatischen paarhufern und das zweite mal bei den zu kochenden allergieauslösern.

somit danke schön, dass ich den zu teilenden beitrag hier nachlesen konnte;-)

ps: und nachdem ich heut mit der mama von austrias-doch-nicht-next-top-model kaffee getrunken hab, bin ich für weiteres ablästern ebenfalls hintergründigst informiert ...

testsiegerin - 2. Feb, 20:43

die tochter hat mir die hintergründe ihres hintergründigen kommentars behintergründet ;-)
und meistens steht es eh aufrecht, mein selbstwertgefühl, aber gelegentlich stolpert es und dann hauts es frontal auf die goschn.

@ vorderasiatisches sehorgan: http://derstandard.at/1358304737470/Darfs-noch-ein-Ziegenauge-sein
katiza - 2. Feb, 19:57

Ach, bezaubernde B, jede und jeder, der Anwesenden kennt solche Gedanken - das Leben der anderen hört und schaut sich oft so viel besser an und ich gestern waren mindestens vier Personen (inkl. meinereiner), die dich für dein Talent und für deinen Mut und für deine Familie und um deinen Wahnsinn beneiden, deren Leben noch weniger aufregend ist.

Ach manchmal tut es mir gut meine Ängste, Selbstzweifel und dunklen Stunden zu teilen - aber wie du richtig sagst, es geht an diesen Abenden darum, wofür es sich zu leben lohnt - und da hat uns die Jüngste, die alle Musiker und Filmschaffende und Lebemenschen Frosch hüpfen und Fisch spielen lassen hat uns alle in die Krabbelstube zurück geschickt hat eine großartige Lektion er-teilt.

Und das Kleid hat sich gelohnt!

testsiegerin - 2. Feb, 21:05

merci, madame ;-)
ich glaub, es lohnt sich ja auch ein bisschen für die zweifel zu leben, weil sie schließlich auch antrieb sind, außerdem kann man all das schöne und den erfolg nur genießen, wenn man auch die andere seite kennt.
also nicht existenzängste oder champagner. sondern existenzängste UND champagner ;-)
VC in bed in the morning (Gast) - 6. Feb, 05:58

Ich meine meine Meinung ist so maßgeblich
für die heutige Sommermännermode wie
das abgelutschte Chinarad, aber ich tatat
gerne stundenlang zuhören: Wenn Sie von der Arbeit,
erzählen, ihre Geschichten vorlesen, bei den TD3 ihren
Platz einnehmen, mich im Blog hier zum Lachen bringen...
Ja Verehrteste, zweng Ihna liege ich hier kurz nach 5Uhr
Morgens und kichere vor mich hin :-)....
Seit dem ich ueber ihren Blog gestolpert
bin, lieg ich auf dem Bauch ob Ihrer Schreibkuenste, um die ich Sie grenzenlos beneide, und frage mich, wie sie
das machen, so kontinuierlich gut zu formulieren - ich schaffe das selten, vor allem zu Papier zu bringen.
Und seit ich Sie persönlich kenne, frage ich mich,
wo man solche Strumpfhosen kaufen kann .. das finde ich
ich immer faszinierend.
Also ich find das schon toll.
Sie.
Ihre Schreiberei.
Mit der Sie auch nein Herz beruehrt haben.
Ihr Leben.
Ja. Das wollte ich mal sagen.
Einfach so.
Eine Fanin.
Eine durchgeknallte .
Deren Leben sie in grauen Zeiten schon
Ziemlich farbig gemacht haben ....

testsiegerin - 6. Feb, 16:50

Mann trägt im Sommer 2013 dunkelrote Anzüge, dazu weißes Shirt und schwarze Lackschuhe. Ein anderer Trend der florale Look zur weißen Hose und Loafers kombiniert, oder aber eine Metallic Bomberjacke.

Zum Fahrrad in China: http://www.youtube.com/watch?v=01e3APxegYU

Schöne Strumpfhosen gibts überall, man muss sie nur sehen (und kaufen), auch wenn man kein Geld hat. Besser 8 Strumpfhosen (ich hab übrigens knapp über 70) als 8 m2 Dachziegel.

Vielen, vielen Dank für dein schönes Lob. Ich beneide dafür Leute, die so mutig sind, sich mit ihrem Kontostand zu konfrontieren. Oder noch mutiger: nämlich solche, die sich trauen, Banken zu betreten - also keine Parkbanken. Die keine schwitzenden Handy bekommen, wenn der Bankbetreuer sie um ein Gespräch bittet. Das sind für mich so richtig coole Säue!
Robert (Gast) - 6. Feb, 11:44

Ich kenne nicht viele, die ... ", die besser schreiben können, witziger, sprachgewandter, pointierter", genau genommen sind es Wenige bis Keiner

testsiegerin - 6. Feb, 16:51

Wie ich sehe, war das Angeln durchaus erfolgreich. Was hab ich da für schöne, große Komplimente gefischt! sooooo groß *breitet die Hände aus*!
Sera (Gast) - 14. Mär, 11:40

genau das wollte ich auch gerade schreiben.

Sera (Gast) - 14. Mär, 11:40

Äh, ich meine, das ich nicht viele kenne, die....
testsiegerin - 14. Mär, 12:18

Danke, lieber Gast ;-)
Blinkyman (Gast) - 7. Feb, 23:23

Gefühlsgefährten

"Plötzlich habe ich das Gefühl, dass alles in meinem Leben entsetzlich banal ist und alle anderen im Gegensatz zu mir ein richtig aufregendes Leben führen."

Liebe Gefühlsgefährtin, ich teile mit Ihnen solche Zustände, Sie sehen Sie sind nicht allein. Das wir zu Zweit sind macht die Tristesse schon leichter und gibt Anlass zu Hoffnungen.

Blinkyman

testsiegerin - 8. Feb, 13:11

Ich hab solche Zustände ja nur gelegentlich. Nach dem gestrigen Abend (erster Probetermin mit den Toll3sten für das neue Stück) bin ich wieder high und überheblich und weiß nicht mal, wie man Zweivel richtig schreibt.
viennacat - 10. Feb, 01:57

ist der zweivel der große bruder von feivel, dem mäusewanderer ;-)?

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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