Freitag, 14. April 2006

Der Berg gibt, der Berg nimmt

(Morgen wäre meine Mutter 66 Jahre alt geworden. Der Text entstand vor knapp drei Jahren)


„Mama“, meine Tochter schreit aufgeregt ins Telefon. „Mama, wir haben elf Küken. Die sind ursüß!“
Ich freue mich auf zu Hause. Auf die elf indischen Laufenten-Küken. Auf die strahlenden Augen meiner Kinder. Das Leben ist schön.

Mein Handy piept. Ein Anruf meines Vaters. Wahrscheinlich sitzt er grad auf irgendeinem Berggipfel und schaut in die Sonne. Er ruft mich gern an, wenn er auf Berggipfeln sitzt. Ich freue mich, dass er solche Augenblicke mit mir teilt.
"Hallo Papa", melde ich mich und lächle. Im nächsten Moment erstarre ich.
Er schluchzt. Etwas Schreckliches muss passiert sein.
„Mama ist tot.“

Ich fasse es nicht. Ich will es nicht fassen. Nein, Mama kann nicht tot sein. Das geht überhaupt nicht. Wir haben doch vor ein paar Tagen noch telefoniert und sie war kerngesund.
„Nein, Nein, Nein!“ brülle ich in den Hörer. „Bitte sag, dass das nicht wahr ist!“
Er sagt nichts, er weint nur.

Es ist wahr. Mama war 63. Sie ist siebzig Meter in eine Schlucht gestürzt. Vater war nicht dabei. Die Wanderung war ihm zu leicht.
Mama war sofort tot. Genickbruch. Sie hat die Berge so geliebt. Warum haben die Berge sie nicht ebenso geliebt? Oder haben sie das und sie deshalb zu sich geholt?

Wir waren oft gemeinsam in den Bergen, früher. Ich lässig mit den Händen in den Hosentaschen. Aus Protest. Ich wollte nicht wandern. Schon gar nicht mit dieser peinlichen Kniebundhose. Eines Tages hat Mama mir die Hosentaschen einfach zugenäht. Wenn du fällst, kannst du dich nicht abstützen, hat sie gesagt.
Mama hatte die Hände nicht in den Taschen. Mama hat versucht, sich festzuhalten.

Ich hatte immer Angst, dass die Berge mir meinen Vater stehlen. Ein Spinner, sagen manche, weil er den Bergen verfallen ist. Ein Mensch, der alles was er macht, voller Leidenschaft tut.
Aber er hat die Berge überlebt. Aus Südamerika kam er mit Typhus zurück, aber er hat überlebt.

Zehn Minuten vor ihrem Tod haben sie miteinander telefoniert. Und sich auf den gemeinsamen Nachmittagskaffee gefreut, erzählt er stockend. Papa hat noch nicht oft geweint. Zumindest nicht vor uns Kindern.
Er hätte ihr nicht helfen können, als sie auf feuchtem Laub ausgerutscht und siebzig Meter in die Tiefe gefallen ist.
„Es war Schicksal“, versucht er mich zu trösten. Und wohl in erster Linie sich selbst.

Vater will in die Schlucht. Bei ihrem Sturz über die Felsen ist ihre goldene Halskette abgerissen. Ein Geschenk von ihm.
Er will sich abseilen und sich dort von ihr verabschieden, wo sie gestorben ist. „Vielleicht find ich ja den Anhänger“, hofft er.
Es war ein Herz.

Wann hab ich ihr zum letzten Mal gesagt, wie wichtig sie mir ist?

Wenigstens meinem Papa hab ich’s gesagt, jetzt am Telefon.
Das weiß ich eh, ich dich auch. Und Mama hat das auch gewusst, meint er, als könnte er meine Gedanken lesen.

Es passiert fast jedem. Fast alle Menschen verlieren ihre Mutter. Nur manchmal, und da ist dann das Schicksal noch grausamer, verlieren Mütter ihre Kinder.
Das Leben ist nicht gerecht. Das weiß ich schon lange. Meine Eltern waren glücklich. Genossen ihre Pension. Das Leben. Die Enkelkinder. Junge vitale glückliche Großeltern. Wie aus der Fernsehwerbung, nur in echt, wie meine Tochter oft stolz verkündet.

Mein Vater hat sich auf die Goldene Hochzeit gefreut. So gerne wollte er seine Frau noch einmal heiraten. Vor aller Augen. Sie haben sich gewünscht, dass die Enkeltöchter Dirndlkleider anziehen.

„Jetzt wird es keine Goldene Hochzeit geben“, sagt meine Tochter, als sie hört, was passiert ist. “Wenigstens muss ich kein Dirndl anziehen.“

Mein Sohn redet nicht viel. Ich hätte gern gewusst, wie es ihm geht.

Die Kinder waren oft bei ihr. Oder haben sie angerufen, einfach so. Einfach, um zu sagen: Ich hab dich lieb, Oma.

Schöne Kleider sollen wir kaufen für die Kinder, fürs Begräbnis. Er wird sie bezahlen, sagt mein Vater. Mama wäre das wichtig gewesen.
Ja, ich weiß. Darüber haben wir oft diskutiert. Sie werden hübsche Kleider tragen, Mama, das verspreche ich dir. Ich werde sie sogar bügeln.
Ich hab Angst. Angst davor, dass jetzt Papa in ein tiefes Loch fällt. Angst vor dem Begräbnis. Angst davor, in ihre Wohnung zu kommen und sie ist nicht mehr. Noch ist es so unwirklich. Aber ich hab Angst vor der Wirklichkeit.

"Mama, Mama, Mama... !", weine ich wie ein kleines Kind und hoffe, ich kann den Tod einfach wegreden. Aber er lässt sich nicht wegreden. Er lässt sich nicht wegschlafen. Wegträumen. Er ist einfach da.

„Mama“, flüstert meine Tochter später und umarmt mich. „Schau mal, wie süß die Küken sind!“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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