Montag, 7. Juli 2008

Zehn schöne Zehen

„Aufgrund eines defekten Triebwerks wird der Zug sich um etwa fünfzig Minuten verspäten.“
Na super, denkt sie, wenn ich mich jedes Mal verspäten würde, nur weil ich einen Schaden habe. Sie vermeidet es, die Frau ihr gegenüber anzusehen, denn sobald diese einen Blik von ihr erhascht, legt sie los und versucht, sie in ihr Gespräch einzuwickeln. Ob die sich wohl öfter verspätet?
Demonstrativ schaut sie in die andere Richtung. Ein Kugelschreiber steckt im Halsausschnitt eines T-Shirts. Das T-Shirt steckt in einem grauen Sweater. Ein Arsch steckt in bermudabeigen Cargohosen. Der Typ hat schöne Waden. An den schönen Waden hängen Füße. Die Füße stecken in ... in nichts.
„Sie möchten mich bestimmt auf einen Kaffee einladen“, würde sie gern souverän lächelnd sagen, aber sie hat Angst, dass die schönen Waden mit den schönen Füßen erstaunt sagen könnten: „Wer ich? Nein. Ich bestimmt nicht.“. An den schönen Fßen sind schöne Zehen dran.
Zehen sagen viel über den Charakter eines Menschen aus, denkt sie. Knorrig knöcherne Zehen sind ein Hinweis auf kleinliche, geizige Männer. Sie kann geizige Männer nicht ausstehen. Auch keine Männer, bei denen die zweite Zehe die große um Längen überragt. Wäre das so gewollt gewesen, hätte die große Zehe schließlich nicht ihren Namen. Bei solchen Männern ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten, physisch wie psychisch.
Bei ihm nicht. Bei ihm ist nichts aus dem Gleichgewicht geraten, das sieht sie an seinen Zehen.

„Können Sie den Elektriker schicken?“, bittet die Frau ihr gegenüber die Zugbegleiterin und reißt sie aus ihren Schönezehengedanken, „die elektrische Reserviert-Anzeige ist defekt.“
Die Frau trägt Socken, zum Glück.

Auf seiner Nase sitzt eine Brille und die Brille steht ihm gut. Sie passt zu den Zehen, denkt sie. Die Brille verleiht ihm einen Hauch erotischen Intellekt und eine Prise maskuliner Souveränität. Dazu gesellt sich eine Handvoll Lässigkeit, als er sich mit der Hand übers Kinn streicht. Eine unbemühte Lässigkeit. Bestimmt bemüht er sich sehr, diese unbemühte Lässigkeit zu wahren.

„Was ist jetzt verdammt noch mal mit dem Kaffeee?“, möchte sie schreien, aber sie schreit nicht. Sie flüstert nicht mal, ihre Worte hocken zitternd auf den Lippen und trauen sich nicht zu springen. „Raus mit euch, oder ich schlucke euch hinunter!“, droht sie, doch die Worte lassen sich nicht ausschüchtern und beeindrucken und bleiben wo sie sind.

Sie erinnert sich an ihre letzte Therapiestunde. Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn sie ihn fragte, fragt sie sich. Der Geschäftsmann neben ihm würde kurz von seinem Laptop hoch blicken und sich wieder auf die Riskikominimierung konzentrieren. Die Frau gegenüber, längst in die Lade „psychisch krank“ gesteckt, würde nach dem Installateur rufen. Die schönen Zehen würden im schlimmsten Fall „Danke nein“ sagen. Aber sie sagen nichts. Weil sie nicht fragt. Aus Angst vor der Ablehnung. Die hat es sich seit ihrer Kindheit in ihrem Körper bequem gemacht.

Watzlawick würde unserer Protagonistin vermutlich die Worte: „Stecken Sie sich ihren Kaffee doch einfach in den Arsch!“ in den Mund legen.

Oh. Die schönen Zehen haben eben gemerkt, dass sie beobachtet werden, aber sie tun, als würden sie keine Ahnung davon haben. Er bläst Luft aus seinem Mund. (Das bringt sie auf vesaute Gedanken.) Wahrscheinlich braucht es viel Anstrenung, zu signalisieren, dass man sich unbeobachtet fühlt, während man genau merkt, dass man beobachtet wrid.

„Einen Kaffee?“, fragt die Zugbegleiterin.
Sie – also nicht die Zugbegleiterin – lässt die Augen böse funkeln. „Was hat sie, das ich nicht habe?“, denkt sie. „Außer Kaffee?“

Die Frau gegenüber ruft nach dem Fliesenleger.
Er lächelt. Das Lächeln gilt ihr, nicht der Schwachsinnigen ihr gegenüber. Wer von uns beiden wohl schwachsinniger ist, überlegt sie.

Die schönen Zehen mit dem schönen Mann dran mit der schönen Brille drauf stehen auf. Gleich werden sie aussteigen, auf dem Bahnsteig seine Frau küssen und ihr auf den Arsch greifen. Die Frau der schönen Zehen – selbst gestraft mit geizig verkümmerten verbogenen und verlogenen Zehen wird „Wie war die Fahrt?“ murmeln und er „geht so“ antworten.

Ihr Herz klopft. Jetzt oder nie. „Wissen Sie zufällig, wann ich einen Anschluss nach Mainz habe?“ Sie beißt sich auf die Lippen. Der blödeste Anmachspruch ihres Lebens war das.
„Erst morgen wieder“, lächelt er sie an.
„Wunderbar. Kann ich die Nacht bei ihnen verbringen?“, fragt sie grinsend.
Natürlich nicht. Sie schaut entsetzt und schreit: „Um Gottes Willen! Erst morgen!?“
Er lächelt noch immer. „War nur ein Scherz. Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen. Ein schönes Leben noch.“

Über den versäumten Anschluss ärgert sie sich nicht. Nur über die versäumte Chance. Über zehn versäumte schöne Zehen.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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