Sonntag, 15. März 2009

Die Brücke

„Oma“, zischte Anna-Sophie und zog den Stöpsel aus dem linken Ohr, „du bist voll peinlich. Lass den Kerl in Ruhe lesen und starr ihn nicht so auffällig an.“
„Kindchen“, flüsterte Oma Johanna zurück, „erstens bin ich Witwe, zweitens alt genug und drittens muss ich so starren, weil ich meine Augengläser vergessen habe.“

„Herr Doktor Kammerlander, wenn Sie bitte im Ordinationsraum Corona Dentis Platz nehmen. Die Frau Doktor kommt gleich.“
„Schade“, fand Johanna, als der alte Herr das Wartezimmer verließ und in der Krone verschwand, „den fand ich richtig adrett und kultiviert.“
„Gott sei Dank“, fand Anna-Sophie, stöpstelte das Ohr wieder zu und beschäftigte sich mit ihrem iPhone.
„Doktor Karl Kammerlander“, las sie nach einer Minute vor, „er wohnt in der Pestalozzi-Straße siebzehn. Frauenname steht keiner dabei, also lebt er wahrscheinlich alleine.“


Doktor Karl Kammerlander, Kulturattaché in Ruhe, lag auf dem elektrischen Stuhl und klammerte sich an dessen Armlehne, als die Ärztin den Sessel zurückklappte und die Folterinstrumente auspackte. Er sollte eine Brücke bekommen, seine zweite schon.
„Es wird gar nicht weh tun, Herr Doktor Kammerlander“, sagte sie. Das sagte sie immer und es tat immer weh. Trotzdem beruhigten die sanften Worte ihn ein wenig und er öffnete gehorsam den Mund.
Das laute Piepsen, das aus seiner Sakkotasche kam, beruhigte ihn keineswegs, man könnte sogar behaupten, dass es ihn in seiner Hartnäckigkeit beunruhigte.
Seine Kinder hatten ihm das Handy zu Weihnachten geschenkt, obwohl sie wussten, dass er es verabscheute, immer und überall erreichbar zu sein. Damit du uns jederzeit anrufen kannst, wenn du Hilfe brauchst, hatten sie gesagt und er hatte Freude geheuchelt. Ein Seniorenhandy, mit extra großen Tasten und überdimensionalem Display. Er war achtundsechzig und nicht siebenundneunzig. In Wahrheit waren sie es, die Hilfe brauchten, weil der Rasenmäher nicht ansprang, die Steuererklärung nicht fertig oder das Konto überzogen war. Also unentwegt. Das Gerät abschalten traute er sich aber auch nicht, es könnte ja sein, dass tatsächlich einmal etwas wirklich Wichtiges geschah.
Nun saß er da in der Zahnarztpraxis, mit Absauger im Mund und Angst im Bauch und es hörte nicht auf zu piepsen.
„Entschuldigung“, sagte er, nur weit weniger deutlich, „wenn Sie mich bitte wieder in die aufrechte Haltung manövrieren könnten?“


„COOLE KRAWATTE, KARL“, las er. Und eine ihm unbekannte Nummer. Er senkte seinen Blick, aber da baumelte keine Krawatte, sondern ein Kleinkinderlatz aus Papier.
„WER FINDET DAS DENN?“ tippte er verunsichert, mit der Geschwindigkeit einer Weinbergschnecke, löschte das Geschriebene aber gleich wieder, denn damit outete er sich als gänzlich uncool. Er würde so tun, als wäre es das Normalste auf der Welt, von einer (oder gar einem?) Unbekannten per SMS Komplimente über seine Krawatte zu bekommen.
„COOLE KRAWATTE – COOLER KARL“, schrieb er knapp.
„COOLER KARL – WARMES HERZ? ;-) Antwort und Frage kamen prompt.

„Entschuldigung“, wandte er sich an die Zahnärztin, „was bedeutet Semikolon, Bindestrich und Klammer zu?
Die Zahnärztin schaute auf das Display. „Das ist ein Zwinkersmiley. Können wir jetzt weitermachen, Herr Doktor?“
Er errötete. „Ja. Einen Moment noch.“
COOLER KARL – WARMES HERZ – KALTE FÜSSE - KAPUTTER ZAHN. OVER.
Er schaltete das Handy auf lautlos, lehnte sich zurück und öffnete den Mund.


„Bist du übergeschnappt?“, fauchte Johanna im Wartezimmer ihrer Enkeltochter zu, die mit beiden Daumen wie der Teufel auf den winzigen Bildschirm tippte, doch dem Fauchen wohnte ein Schmunzeln inne. „Was machst du da?“
„Ich kommuniziere mit Karl. Für dich.“
„Kein Wort zu Mama, kapiert? Sonst kannst du das nächste Mal mit dem Fahrrad fahren, um deine Zahnspange einstellen zu lassen.“
„Kapiert. Willst du ihn treffen?“
„Wie bitte?“
„Na soll ich ein Date für dich checken?“
„Ein Date? Du meinst, ein Rendezvous?“
„Was ist ein Rendezvous?“
„Vermutlich ein Date.“


„Anna Sophie, du kannst schon im Raum Pulpa Platz nehmen. Möchtest du, dass deine Oma mitkommt?“
„Um Gottes Willen, nein! Die fürchtet sich ja mehr als ich.“



Als Karl in der Pestalozzistraße aus dem Bus stieg, hatte er einiges erfahren. Zum Beispiel, dass es sich bei der Schreiberin der Kurzmitteilungen tatsächlich um eine Sie handelte, eine Sie, die nur ein paar Jahre jünger war als er und ebenfalls verwitwet. Der Lieblingsfilm der Sie war "Die Brücken am Fluss" mit Clint Eastwood. Sie konnte Russisch, aß gern Japanisch, kochte am liebsten Italienisch, liebte die Deutschen Klassiker und ging gern ins Theater. Vor allem die Dramen Schillers hätten es ihr angetan, schrieb sie. Die Sie hatte auf jeden Fall Humor, denn auf die Frage, welches von Schillers Stücken sie bevorzugte, antwortete sie mit: NATÜRLICH HAMLET. Das Aufregendste an dieser Sie jedoch war: Sie wollte sich mit ihm treffen. Morgen. Im Theatercafé. Karl hatte sich seit Jahren nicht mehr mit einer SIE getroffen, zumindest nicht so. So hatte er aber ohnehin überhaupt noch nie jemanden kennen gelernt.
Welche nehme ich am besten?, überlegte er vor dem Schrank mit den Krawatten und entschied sich für eine dezente in Orange und Braun.


„Wer ist denn Karl?“, warf Anna-Sophies Mutter die Palatschinke in die Luft und fing sie wieder auf.
Anna-Sophie zuckte zusammen. „Ach... wie...?“
Ihr Vater hob eine Augenbraue. „Wer bitte nennt sein Kind heute Karl? Mit einem Karl brauchst du mir gar nicht nach Hause kommen. Lukas oder Sebastian, wenn es sein muss, aber doch nicht Karl.“
„Tut mir leid, Anna-Sophie“, sagte ihre Mutter. "Wie du weißt, lese ich deine SMS für gewöhnlich nicht. Aber auf deinem neuen Handy öffnen sich die Nachrichten von selbst. Ich konnte also gar nicht anders.“
„Schon gut... Wir... wir... wir haben uns beim Zahnarzt kennen gelernt. Oma war auch dabei. Es ist nicht, wie ihr denkt.“
„Wie denken wir denn?“
„Hm. Keine Ahnung.“
„Er schreibt, 15 Uhr im Theatercafé geht in Ordnung. Und du mögest eine Ausgabe von Shakespeares Räuber bei dir haben.“ Sie rollte Augen und Palatschinken. „Kannst du dir nicht einen Burschen mit ein bisschen mehr Allgemeinbildung suchen?“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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