Freitag, 27. Mai 2011

Ihr habt leicht reden

Ich hab ihn nicht umgebracht. Wirklich nicht.
Der Hermann ist… war… kein schlechter Mensch. Er hat sich immer um alles gekümmert. Ums Haus, um unsere vier Kinder, um die Geldangelegenheiten, um den Urlaub, früher halt… Um mich auch, manchmal. So gut er eben konnte.
Verstanden hat er mich nie. Verstanden hat mich in meinem ganzen Leben nur meine Mutter. Und der Herr Pfarrer. „Gerti“, hat der Herr Pfarrer öfter gesagt, „Gerti, Sie schauen heute so traurig aus“. Das hat der Hermann gar nie gemerkt, wenn er müde von der Arbeit gekommen ist.
Einmal hat der Herr Pfarrer gesagt: „Gerti, Sie sind heute so richtig hübsch.“ Dem Hermann ist es gar nicht aufgefallen, dass ich an dem Tag Lippenstift getragen hab. Trag ich ja sonst nie, wozu auch?

Den Lippenstift hab ich von der Katharina bekommen. Die hat sich nie etwas gesch… nie gekümmert um das Gerede, der war egal, was die Leute im Dorf über sie gequatscht haben. Sie hat es ja auch nicht gehört, weil sie nur zum Schlafen nach Hause gekommen ist. Aber ich, ich hab’s gehört. „Dorfmatratze“ haben sie gesagt. Vor allem die, die sie nicht gekriegt haben. Die Katharina hat zwei Kinder, von zwei unterschiedlichen Vätern, aber sie hat trotz der Kinder immer ihr Ding durchgezogen. Ihr ist egal, ob die Fenster geputzt sind oder die Wäsche der Kinder gebügelt ist. Die ist trotzdem mit Sekt in der Badewanne gesessen und hat gelesen. „Vom Boden kann man nicht essen bei dir, Katharina“, hab ich einmal gesagt. Sie hat gelacht und gesagt: „Ich hab eh einen Tisch.“ So eine ist das nämlich. Na, die hat leicht reden. Aber gern hab ich sie trotzdem. Oder grad deshalb. Sie strahlt meistens so, von innen heraus, verstehen Sie?

Die Katharina ist eine von meinen drei Freundinnen. Die Katharina, die Dorina und die Elena. „Die passen ja gar nicht zu dir“, hat der Hermann immer gesagt, und er hat recht gehabt. Die sind ganz anders als ich, viel aufregender. Das hat der Hermann nicht gesagt, aber er hat es sich bestimmt immer gedacht. Ich hab doch gesehen, wie er sie angeschaut hat.
Warum sind das überhaupt deine Freundinnen, hat die Mama vom Hermann mich einmal gefragt, warum nicht die Herta, die Frau vom Josef, die ist viel mehr wie du. Sie sind meine Freundinnen, weil sie eben so ganz anders sind als ich. Durch sie fühl ich mich auch manchmal ein bisschen leicht und lebendig, verstehen Sie? Ich nasche von ihren Abenteuern, ihrem Glück und ihren aufregenden Geschichten. Manchmal träume ich, ich würde auch ein wenig so sein wie sie. Aber dazu ist es jetzt eh zu spät.

Die Elena halten sie eh alle für völlig verrückt, aber das ist ihr auch egal. Ach, hätte ich nur ein bisschen was von ihr. Die Freiheit ist in deinem Kopf, singt sie, wenn ich ihr von der Verantwortung als Mutter und für die Pfarrgemeinde und Hermanns Mutter erzähle. Aber das stimmt nicht. In meinem Kopf ist keine Freiheit, da ist Pflichtgefühl. Auf meinem Kopf die Lockenwickler. Das gehört sich so, sagt die Mutter vom Hermann. „Scheiß drauf, was sich so gehört“, sagt die Elena. Die hat leicht reden. Zweimal war sie verheiratet, einmal sogar mit einem Schwarzen, der hat sich aber irgendwann aufgehängt. Die Freiheit ist in deinem Kopf, Gerti, sagt sie. Nur dort.


Was das Schönste in meinem Leben war, wollen Sie wissen? Was für eine Frage. Natürlich die Geburt meiner vier Kinder.
Was heißt das, ich soll endlich einmal ehrlich sein? … Na gut... Das schönste in meinem Leben war das Jahr in Wien. Als ich studiert hab und manchmal mit dem Hermann am Abend ins Theater gegangen bin. Das war richtig schön. Hin und wieder waren wir auch im Musical. Aber dann ist die Mutter vom Hermann krank geworden und wir haben wieder zurück aufs Land müssen. Sie lebt immer noch, und sie tut immer noch so, als wäre sie sterbenskrank. Dafür ist meine Mutter gestorben, obwohl die immer gut zu mir war und sie gar nicht krank war. Herzinfarkt. Das Leben ist manchmal nicht gerecht.

Einmal waren die Katharina, die Dorina und die Elena bei uns zum Grillen. „Die Huren brauchst nimmer einladen“, hat die Mama vom Hermann gesagt, als sie uns den Erdäpfelsalat in den Garten gebracht hat. „Wie die ausgeschaut haben. Ausg’schamte Weibsbilder. Net amal an BH hat’s angehabt, die Dunkle.“

Ich war immer eine gute Mutter. Ich bin immer noch eine gute Mutter. Auch wenn sie ein wenig undankbar sind, zumindest die Mädchen, die lassen sich kaum noch blicken. Nur zum Muttertag und zu Weihnachten. Der Bastian bringt mir wenigstens noch die Wäsche.
Die Dorina versteht das nicht. „Verwöhn ihn doch nicht immer so“, sagt sie. Die hat leicht reden. Sie hat nie Kinder kriegen können, sie hat nur ihren Schoßhund. „Kinder sind ein schlechter Hundeersatz“, hat sie gesagt, als ich ihr geraten hab, doch welche zu adoptieren, aus Afrika. Die Dorina können sie hier noch weniger leiden als die Kathi und die Elena, ich glaub, die haben Angst, dass sie ihnen ihre Männer wegschnappt. Dabei würde sie so etwas nie tun. Ich mag sie, ich hab nämlich das Gefühl, sie ist irgendwie genauso einsam wie ich. Sie sehnt sich nach einer Beziehung und ich mich nach Freiheit. Und beide haben wir Angst vor dem, was wir uns so sehr wünschen.

Wonach ich mich noch gesehnt hab? Nach ein paar zärtlichen Worten manchmal. Also vom Hermann und vom Herrn Pfarrer. Vom Herrn Pfarrer hab ich sie eh manchmal gekriegt. Der Hermann hat höchstens gesagt, dass ich eine gute Mutter und tüchtige Hausfrau bin. Ja, und einmal ein paar Tage Urlaub mit dem Hermann allein, danach hätte ich mich auch gesehnt. Nach Mariazell oder an den Neusiedlersee. Aber der Hermann hat gesagt, wir können die Mama nicht allein lassen.

Wie der Sex war? Mein Gott, wie soll er denn gewesen sein, der Sex? Normal halt. Am Schluss hab ich’s halt über mich ergehen lassen, wenn’s der Hermann gebraucht hat. Aber er hat’s in letzter Zeit eh immer weniger oft gebraucht. Ja, natürlich hab ich manchmal masturbiert. Aber nie mit dem elektrischen Gummiding, das mir die Katharina geschenkt hat, immer nur mit den Fingern. An wen ich dabei gedacht hab? Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ja. Woher wissen Sie, dass ich an den Herrn Pfarrer gedacht hab dabei?
Ja, versucht hat er es schon einmal bei mir. „Du willst das doch auch, Gerti“, hat er gesagt, und dass es keine Sünde ist, wenn man es wirklich will. Fast wie die Kathi, die immer sagt: „Wie kann etwas falsch sein, das sich so richtig anfühlt?“ Aber ich hätte das nicht können, verstehen Sie? Ich bin da nicht so. Ich hätte dem Hermann nicht mehr in die Augen schauen können. Dem Herrn Pfarrer auch nicht. Und in den Spiegel schon gar nicht. Da hab ich lieber die Tabletten genommen, gegen die Depressionen.

Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Jetzt, wo ich eingesperrt werde und der Hermann tot ist. Wer sich um die Kinder kümmert und ums Pfarrcafé. Nein, ich war es nicht, aber die Strafe ist schon gerecht, ich hab mir ja manchmal gewünscht, dass er tot ist und ich frei bin. So was wünscht man sich nicht. Jetzt ist er tot und ich bin ganz und gar nicht frei.

Warum ich mich nicht einfach scheiden lassen hab? Ha, das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder? Sie haben leicht reden.
Weil sich das nicht gehört. Auch wegen der Kinder. Und wegen der Mama. Nein, nicht wegen der Mama vom Hermann, wegen meiner Mama. Ich hab's ihr versprochen, am Sterbebett. "Der Hermann ist ein guter Kerl", hat sie gesagt, "der wird auf dich aufpassen. Versprich mir, dass du bei ihm bleibst, in guten wie in bösen Zeiten."

Ja, gehen Sie nur, ich warte. Klar warte ich, was soll ich hier auch sonst tun?

Was sagen Sie? Ich kann gehen? Aber grad haben Sie doch noch gesagt, Sie halten mich für schuldig.
So, ein Geständnis haben Sie? Von wem denn? Der Hermann hat doch niemandem was getan. Wer außer mir hätte einen Grund haben sollen, ihn umzubringen? Und überhaupt – nicht mal mir hat er wirklich was getan. Er ist nicht schuld daran, dass mein Leben sich anfühlt wie ein Gefängnis. Die Freiheit ist in deinem Kopf, würde Elena jetzt sagen, und das Gefängnis auch.

Die Dorina war es? Nein, das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder? Die Dorina hat was mit dem Hermann gehabt? Niemals. Höchstens mit ihrem Hund. Seit wann? So, seit drei Jahren schon. Und warum hat sie ihn umgebracht?... Weil er sich nicht von mir trennen wollte, wegen der Depressionen. Aha. Angst hat er gehabt, dass ich mir was antue, ich verstehe. Nein, ich verstehe gar nichts. Wahrscheinlich lügt die Schlampe und will sich nur wichtig machen. Ich war’s. Ich ganz allein. Gebeichtet hab ich’s schon. Und jetzt werde ich es auch büßen. So gehört sich das nämlich.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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