Donnerstag, 27. September 2012

Die Liste - 13

Der Gutachter der Pensionsversicherungsanstalt hatte sich für zehn Uhr angekündigt. Marianne Leitner lag bereits um neun fix und fertig kostümiert (sie trug Mutters altrosafarbenes, zerschlissenes Lieblingsnachhemd, Kompressionsstrümpfe und die Echthaarperücke) und geschminkt im Bett. Frank war mit ihr noch ein letztes Mal die von ihm erstellte Liste der zu vermutenden Fragen und plausiblen Antworten durchgegangen. Mutter wäre zunehmend verwirrt und spräche kaum noch etwas. Aus dem Haus ging sie nicht mehr, weil sie sich nicht mehr zurechtfände, inkontinent wäre sie nicht. Überhaupt hätte sie kaum körperliche Beschwerden (die Gefahr, dass der Schwindel im Falle einer körperlichen Untersuchung auffliegen würde, war zu groß, denn ein 40jähriger Körper unterschied sich trotz Maske beträchtlich von einem 80jährigen), sondern würde lediglich an Altersverwirrtheit sowie einer leichten Depressionen verbunden mit Antriebslosigkeit leiden.
Er verdammte seine Mutter für die Gier, die sie den Pflegegeldantrag hatte stellen lassen, obwohl sie gesund war. Pumperlxund, wie sie sonst ständig betont hatte. Er hatte bei der Untersuchung ein halbes Jahr vor ihrem plötzlichen Tod überrascht festgestellt, dass seine Mutter über erhebliches Schauspieltalent verfügte.
Frank gestand sich ein, dass er von der Gier seiner Mutter durchaus profitiert hatte. Durch dieses zusätzliche Einkommen hatte sich auf dem Sparbuch zwar kein Vermögen, aber doch eine beruhigende Summe angesammelt.
Jetzt war Frank Fodor allerdings alles andere als beruhigt. Er konnte kaum Mutters Schlafzimmer betrteten, ohne diese unbändige Wut zu spüren. Von wegen affektflach, dachte Frank. Sein Therapeut würde stolz auf ihn sein, wenn er ihm über seine Gefühle berichtete. Er würde sagen: „Sehr gut, Frank. Lassen Sie die Wut ruhig zu. Lassen Sie sie raus.“
Es kostete ihn Anstrengung, sich bewusst zu machen, dass diese Wut seiner Mutter und nicht seiner Nachbarin, die ihm lediglich einen Gefallen tat, galt.

„Ich weiß, ich darf nichts fragen“, hatte Frau Leitner vorhin gefragt, „aber wie lange wollen Sie dieses Spiel weiterspielen? Irgendwann muss Ihre Mutter ja offiziell sterben, oder soll sie 120 Jahre alt werden?“
Frank hatte den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und nicht geantwortet.
Natürlich hatte er sich darüber längst Gedanken gemacht und eine Liste mit möglichen Lösungen erstellen. Lösungen, die keine Leiche brauchten. Aber jetzt ging es erst einmal darum, diese Situation unbeschadet zu überstehen.

Der Arzt entpuppte sich als Ärztin. Eine Frau in seinem Alter, aber im Gegensatz zu ihm hatte sie es geschafft, im Leben zu bestehen. Mutter wäre so stolz auf ihn gewesen, wenn er es zum Anwalt oder wenigstens zum Arzt gebracht hätte. Aber Mutter hatte nie einen Grund gefunden, auf ihn stolz zu sein. Den fünfzehn Zentimeter großen Pokal, den er – wie alle anderen teilnehmenden Kinder - bei einem Tretrollerrennen gewonnen hatte, bezeichnete sie als Staubfänger und hatte ihn gemeinsam mit seiner Freude in den Mistkübel gesteckt.
„Mutter schläft“, versuchte Frank die Konfrontation zwischen echter Ärztin und falscher Mutter hinauszuzögern und bot der Ärztin Kaffee an. „Ich kann Ihre Fragen gerne beantworten.“
Geduldig beantwortete Frank Fragen nach den Symptomen, die er im Internet nachgelesen hatte. Sie wüsste oft nicht, wo sie war und was sie gerade tun wollte, würde sich immer mehr zurückziehen, wirke ängstlich und passiv. Sie würde ihm immer wieder unterstellen, sie zu bestehlen. Letztens hätte sie ihn sogar beschuldigt, ihr die Zahnprothese versteckt und Geld aus ihrer Börse entwendet zu haben. Frank presste bei der Schilderung über den Gesundheitszustand seiner Mutter ein paar Tränen hervor (Frau Leitner hatte diese Szene vorhin mit ihm geübt). Mutter wäre so undankbar, sagte er, obwohl er sie so aufopfernd pflegte.
„Das klingt nach einer beginnenden Demenz“, nickte die Ärztin und legte ihm tröstend die Hand auf den Unterarm. „Das ist für Angehörige oft sehr schwierig. Sie dürfen das nicht persönlich nehmen. Sie sollten sich zu Ihrer Entlastung zusätzliche Hilfe durch einen ambulanten Dienst organisieren. Haben Sie sich schon mal überlegt, dass Ihre Mutter in eine Seniorenresidenz übersiedelt?“
Frank schüttelte vehement und tapfer den Kopf. „Niemals! Ich schaffe das schon alleine. Sie ist meine Mutter, sie war ein Leben lang für mich da, jetzt möchte ich ihr etwas zurückgeben.“ Er wunderte sich, wie leicht ihm das Lügen fiel.
„Ich möchte Ihre Mutter jetzt gerne sehen.“

Fortsetzung folgt

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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