Montag, 19. November 2012

Überall daheim

weil heute Welttoilettentag ist ;-)


„Wir sind gleich auf Sendung.“ Der Kameramann richtete das Objektiv auf Lieselotte Pfeffer. Die trat ihre Zigarette aus, fuhr sich nervös durchs kurz geschnittene Haar und drückte sich den Stöpsel tiefer ins Ohr.
„Grüß Gott und guten Abend bei Überall daheim. Ich begrüße Sie herzlich aus Ried, der charmanten Messestadt im Innkreis. Über unser heutiges Thema werden Sie vielleicht schmunzeln, aber es ist ernster als es im ersten Moment scheint. Es geht um etwas, dass wir alle tun müssen. Nein, nicht sterben, nicht Steuern zahlen, sondern aufs Klo gehen. Überall daheim ist heute zu Gast beim Gründungstag der Ö.T.O., der Österreichischen Toilettenorganisation.“

Lieselotte lächelte und schob verschmitzt die Zungenspitze in den Mundwinkel. „Herr Peter Strobel.“ Sie wandte sich an ihren Interviewpartner und versuchte ernst zu bleiben. „Sie sind Gründungsmitglied und erster Obmann der neuen nationalen Toilettenorganisation. Was war denn Ihr Motiv, unter dem Deckel... Verzeihung, unter dem Dach der World Toilet Organization aktiv zu werden?“

„Es geht um ein Problem, das zum Himmel stinkt“. polterte Peter Strobel ins Mikrofon, „es war einfach an der Zeit, es anzupacken. Denn Toilette bedeutet Würde.“
„Da wollen wir mal hoffen, dass das kein Griff ins Klo wird, Herr Strobel. Was genau haben Sie in Österreich vor?“
„Schau’n Sie, gnädige Frau, wir leben hier nicht auf einer Insel der Seligen, klotechnisch gesehen. Jeder von uns muss manchmal in der Fremde nötig aufs WC und landet dabei in einem schäbigen Autobahnklo oder auf einem unwürdigen öffentlichen Abort. Damit muss endlich Schluss sein.“
Herr Strobel faselte noch begeistert von der Notwendigkeit, das Thema Toilette aus dem Tabubereich zu holen und Lieselotte nickte wissend. Mit Tabus kannte sie sich aus. Vor zwei Jahren hatte sie für ein Magazin der Landespensionistenheime vom Geriatriekongress über Blasen und Inkontinenz berichtet. Erst seit ein paar Wochen arbeitete sie für das Regionalfernsehen. Damals noch Da.heim, heute schon Überall daheim, dachte Lieselotte sarkastisch. Was für eine Karriere.
„Vielen Dank, Herr Strobel. Ich habe das Gefühl, Sie wissen, wovon Sie reden. Liebe Zuschauer, damit auch Sie wissen, wovon wir reden, betreten wir jetzt den Tatort. Meine Damen daheim, seien Sie tapfer - folgen Sie mir aufs Männerklo.“
Lieselotte verzog das Gesicht in einer Mischung aus Abscheu, Neugier und Spott. Gefolgt von der Kamera, öffnete sie die Tür mit dem männlichen Emblem und steuerte zielstrebig auf die Stehbecken zu.
„Wird das ein Dogma-Film?“, tönte es wütend aus dem Ohrstöpsel. „Das Bild ist ja völlig verwackelt.“
Der Kameramann schüttelte sich vor Lachen. Drei Urinale waren an der Wand befestigt, und über jedem hing ein Schild. Bier über dem linken, Wein über dem rechten und Alkoholfrei über der mittleren Muschel.
Ein Mann nestelte am Reißverschluss seiner Hose herum und schwankte zwischen den Urinalen hin und her. „Ich hab zuerst einen Radler getrunken und dann einen doppelten Schnaps“, lallte er verzweifelt. „Wohin mit mir?“

Eine Viertelstunde später saß Lieselotte im Sitzungssaal. Sie hatte sich für Wein entschieden. Da die Qualität der Redebeiträge sich dem Thema angepasst hatte, betrachtete sie eingehend die Zuhörer, um nicht einzuschlafen. Die Frauen waren in der Minderheit und trugen überwiegend Kostümjacken in lindgrün oder zartorange. Die vielen Männer waren nicht besonders attraktiv, zu alt, zu dick oder zu geleckt. Auch das Publikum passt zum Thema, entschied Lieselotte. Ein Schlag gegen ihre Rückenlehne schreckte sie auf.
„Vergeving!“, sagte die Männerstimme direkt hinter ihr.
„Pfeffer“, flüsterte Lieselotte, drehte sich um und erschrak. Der dunkelgelockte Kerl war weder alt noch dick. Das Hemd hing lässig aus seinen Jeans und Lieselottes braune Augen blieben in seinen grünen hängen.
Er war so attraktiv, dass es schon kitschig war.
„Ich hoffe, ich habe Sie nicht...“ Er zögerte. „Wie sagt man? Gebumst?“
Sie lachte. „Ja, das sagt man. Aber nicht dazu.“
„Jan van Groningen. Ich bin Holländer.“ Er schüttelte ihre Hand. „Wozu sagt man denn gebumst?“
„Lieselotte“, sagte Lieselotte und leckte sich über die Lippen. „Wollen Sie wirklich, dass ich Ihnen das erkläre?“
Er nickte. „Aber nicht hier. Gehen wir raus?“
Mit Weinglas und Notizblock schlichen sie kichernd an den anderen Gästen vorbei und zur Tür hinaus. Beim Anblick von Jan und den Köstlichkeiten am Buffet lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie klaute eine mit gebratenem Speck umwickelte Dörrpflaume.
„Also lassen Sie uns anbumsen“, prostete er ihr zu, „auf einen schönen Abend.“
„Proost. Op uw gezonheid!“
„Sie praaten Nederlands?“
„Nein. Nur ein paar Worte, und selbst von denen weiß ich nicht, was sie bedeuten. Zum Beispiel Neuken in de Keuken.“
„Oh ja. Wissen Sie, wo hier die Küche ist?“
„Leider nein. Aber können Sie mir vielleicht verraten, was neuken bedeutet?“ Lieselotte war inzwischen ziemlich beschwipst und öffnete heimlich die beiden obersten Knöpfe ihres Kleides.
„Neuken bedeutet... nun ja...“ Jan grinste sie dreist an.
„Bumsen?“ Sie beugte sich so über das Buffet, dass er ihr in den Ausschnitt schauen musste.
„Die Fleischbällchen sehen wirklich verlockend aus“, raunte er ihr zu.
„Greifen Sie nur zu, Jan van Groningen. Hier gibt’s heute alles kostenlos.“
„Wenn die Herrschaften bitte warten würden, bis das Buffet eröffnet ist“, schalt der Oberkellner sie. Lieselotte räusperte sich und wandte sich wieder Jan zu.
„Was treibt einen Mann wie Sie zur Versammlung eines österreichischen Klo-Vereins? Lächerliche Veranstaltung, finden Sie nicht?“
Lieselotte war Expertin im Fettnäpfchenhüpfen, denn Jan antwortete: „700 Millionen Inder leben ohne Toiletten. Aber auch bei uns in Holland ist überall große Notdurft. Wir wollen die Nederlandse Toilet Organisatije gründen. Ich bin hier zu holen ein paar Inputs.“
„Also, ich werde dann besser gehen“, stammelte Lieselotte, „war schön, Sie kennengelernt zu haben.“
„Langzaam, Lieselotte. Als Sie sich gar nicht für die Welt der Toilette interessieren, was machen Sie dann hier?“
„Nun ja. Ich bin Überall daheim.“ Sie wartete einen Moment um Jans neugierigen Blick auszukosten. „So heißt die Sendung, die ich moderiere. Fürs Regionalfernsehen. Ich bin Journalistin.“
Selbstverständlich war Lieselotte heute ebenso wenig Journalistin wie vor Jahren, als sie noch bei der schreibenden Zunft arbeitete. Sie hielt lediglich ein Mikrofon in der Hand und quasselte hinein, was die Leute hören wollten.
„Journalistin?“
„Ja. Journalistin.“ Sie sonnte sich stolz im Ruhm der Pulitzer-Preisträger.
Jan machte eine abwertende Handbewegung. „Sie haben Recht, es war nett. Tot ziens.“
Wie bitte? Lieselotte traute ihren Ohren nicht. Erst fielen seine grünen Augen förmlich in ihr Dekolleté und jetzt ließ er sie einfach gehen, ohne um sie zu kämpfen? Was bildete dieser Käsefresser sich ein?
Wütend schritt sie zur Garderobe und nahm Mantel und Tasche entgegen. Sie spürte die Blicke von Jan, der an einer der Säulen im Foyer lehnte und sie beobachtete. Als sie einen Blick nach hinten warf, wurde ihr schummrig. Noch immer hing der linke Hemdzipfel schlampig aus seiner Hose. Lieselotte machte kehrte und blieb vor ihm stehen.
„Ich habe nichts gegen Klos", sagte sie. "Könnten Sie mich nicht bitten, noch ein bisschen zu bleiben?“
„Warum?“
„Weil Sie ...“, Lieselotte erinnerte sich an ihr Erlebnis am Geriatriekongress. Was würde Jan von einer Frau halten, die so um seine Aufmerksamkeit bettelte und ihm Honig ums Maul schmierte? Ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, Frau Pfeffer, beschwor sie sich und richtete sich auf, „ach, ganz einfach, weil ICH interessant bin und witzig. Halbwegs intelligent. Vielleicht sogar attraktiv.“
„Ja, vielleicht.“ Er musterte sie.
„Vielleicht? Was soll das heißen?“
„Das haben Sie gesagt.“
„So, hab ich das?“
„Ja.“
„Und was sagen Sie?“
„Wahrscheinlich sind Sie attraktiv.“
„Nur wahrscheinlich?“
„Nun ja. Ich habe noch nicht alles gesehen.“
„Wollen Sie mich etwa zum Objekt Ihrer stochastischen Methoden machen?“
„Oh nein. Ich mag keine Gewalt beim Sex.“
Lieselotte lachte laut. „Stochastik ist Wahrscheinlichkeitsrechnung.“ Vor Jahren hatte sie Berichte für das Informatikermagazin Unberechenbar geschrieben. Wenn er sie schon nur wahrscheinlich attraktiv fand, dann hielt er sie jetzt ganz sicher für halbwegs intelligent.
„Wie wäre es, wenn Sie sich bald entscheiden würden, Lieselotte?“
„Wofür?“
„Ob Sie gehen oder bleiben. Ich werde Sie gewiss nicht darum bitten. Sie sind eine erwachsene Frau. Sie werden wohl selbst am besten wissen, was gut für Sie ist.“
„Na gut.“ Sie kam ihm sehr nahe. „Wenn Sie so darauf bestehen, dann bleibe ich eben.“
„Gehen wir?“, fragte er.
„Wohin?“
„Zur Toilettenausstellung. Vielleicht. Oder in mein Hotelzimmer. Ihre Entscheidung.“
„Wie Sie schon bemerkt haben dürften, interessiere ich mich nicht für Toiletten.“
„Interessieren Sie sich denn für mein Hotelzimmer?“
Lieselotte leckte sich amüsiert über die Lippen. „Vielleicht.“
Sie drückte ihm zwei Gläser und eine Flasche Sekt vom Buffet in die Hand. Am Treppenabsatz schlüpfte sie aus ihren Stilettos. Es wäre ein denkbar ungeeigneter Moment gewesen, um sich den Fuß zu brechen.

„Und? Gefällt es Ihnen?“, fragte er zwei Stockwerke höher.
„Wahrscheinlich. Ich habe ja noch nicht alles gesehen.“
„Werden Sie auch nicht.“
Jan ließ die Jalousien herunter und schaltete das Licht aus.
Unter ihren Füßen fühlte Lieselotte den weichen Teppich, in ihrem Nacken Jans Atem und an ihren Hüften Hände, die sie zu ihm drehten.
Durch die plötzliche Dunkelheit nahm sie nicht einmal seine Konturen wahr und tastete mit ihren Fingern nach seinem Gesicht.
Seine Hände wanderten in der Zwischenzeit zu ihrem Hintern, von dort weiter abwärts bis zum Saum ihres Rockes und an der Innenseite ihrer Schenkel wieder hinauf.
.„Du fühlst dich verdammt schön an“ flüsterte Jan.
Jetzt zog sie das Hemd vollends aus seiner Hose und berührte seine Haut.
„Was willst du, Lieselotte?“
Sie schluckte. „Glück. Gesundheit. Und mehr Geld. Oder wenigstens das ewige Leben und den Weltfrieden.“
„Ich mag bescheidene Frauen. Und was willst du jetzt?“
„Hmmm...“
„Komm, nimm dir, was du willst.“
„Würde ich ja gern. Aber ich finde den Sekt im Dunkeln nicht.“
„Dann musst du darauf warten, bis ich das Licht wieder anmache.“
„Wann machst du es wieder an?“
„Wenn wir fertig sind mit Bumsen.“
„Gut. Aber beeil dich, bitte.“
Wahrscheinlich hätte Jan sich beeilt, wenn Lieselotte ihn gebeten hätte, ganz langsam zu machen. So aber sah er keine Veranlassung zur Eile, sondern nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf den Mund. Zärtlich, lustvoll und ein kleines bisschen gierig. Sehr gierig, um ehrlich zu sein.
Lieselottes Finger waren noch immer unter seinem Hemd und krallten sich in seinen Rücken. „Darf ich dich kratzen?“ fragte sie leise, als seine Zunge ihren Mund wieder verlassen hatte.
„Warum fragst du?“
„Ich will nicht, dass du Ärger kriegst.“
„Kratz nur. Darf ich auch?“
Lieselotte antwortete mit wohligen Lauten der Zustimmung, als sie Jans Fingernägel in der Haut spürte. Irgendwann hörten Jans Finger auf zu kratzen und begannen zu streicheln. Irgendwann wurden Lieselottes Knie so weich, dass Jan sie aufs Bett legte, wo er langsam weiterstreichelte. Irgendwie war er plötzlich in ihr und die wohligen Laute wurden lauter.


Und irgendwann nach dem Sex gab es Licht und Sekt.
„Bleibst du heute Nacht bei mir, Lilo?“
Sie nippte und nickte. „Ja. Mein Sohn schläft bei einem Freund.“
„Und...“, er zögerte, „... und gibt es einen Mann in deinem Leben?“
„Es gab. Aber wir hatten unterschiedliche Vorstellungen. Nicht nur vom Geschirrspülen.“
Er küsste sanft ihre Brüste. „Das war eben wunderschön mit dir.“
„Du darfst das gern wiederholen, Jan. Nach dem Sex ist vor dem Sex.“
„Bist du auf Entzug? Wann hattest du denn zuletzt?“
„Gestern.“ Sie grinste frech. „Leider allein.“
„Erzähl mir davon“, forderte er sie auf. Lieselotte errötete und wandte ihr Gesicht ab.
„Nein. Schau mich bitte an, wenn du es mir erzählst.“
„Nun ja, ich war im Funkhaus. Und ich musste einen Beitrag über die finnische Sauna vorbereiten, da hab ich plötzlich wahnsinnig große Lust gekriegt und konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. Also bin ich aufs Klo und ...“
„Auf’s Klo?“
„Ja. Dort hab ich meine Ruhe. Ich lehn mich da ganz entspannt gegen die Wand.“
„Tust du das oft?“
„Nun ja.“ Sie spürte seinen Blick.
„Da siehst du, wie wichtig saubere, gemütliche und hygienische Toiletten sind. Am schönsten sind übrigens die japanischen. Wahlweise mit Musik oder Vogelzwitschern. Da hört dich auch niemand.“
Sie schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust. „War ich so laut?“
„Gerade richtig laut, Lilo. Zeigst du mir, wie du es dir machst, an die Wand gelehnt?“
„Jetzt? Um Himmels Willen. Ich bin doch keine Dreißig mehr.“
„Keine Sorge, ich auch nicht. Darf ich dich wecken, wenn ich vor dir wach bin?“
Sie nickte. „Wann musst du wieder heim, Jan?“
„Keine Ahnung. Weißt du, Lilo“, er küsste sie auf die Stirn, „irgendwie bin ich überall daheim. Bei dir grad ganz besonders.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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