Samstag, 27. Juli 2013

Raphael

Ein riesiger Lastwagen hält vor unserem Haus. Nicht schon wieder eine Baustelle, stöhne ich und gehe hinaus, um den Arbeitern Getränke anzubieten. Sie brauchen viel Flüssigkeit bei dieser Hitze.
„Bin ich hier richtig bei Lehner?“, fragt der Fahrer, öffnet die Seitenklappe seines Ungetüms, lässt die Laderampe herunter und den Elefanten heraus. Aber, möchte ich sagen, aber ich hab doch gar keinen Elefanten bestellt! Der Fahrer drückt mir den Lieferschein in die Hand. „Wenn Sie bitte da unten rechts unterschreiben, dass ich ihn zugestellt habe“, sagt er. Wenigstens ist das ein altmodischer Lieferschein aus richtigem Papier und nicht eines dieser modernen digitalen Kästchen der Paketzusteller, das ich einmal ruiniert habe, weil ich darauf beharrt habe, mit meinem eigenen Kugelschreiber zu unterzeichnen.
Der Lieferant reißt mir einen rosaroten Abschnitt vom Lieferschein herunter und drückt ihn mir in die Hand. Der Zettel sieht genauso aus wie der, den ich letztens bei der Schuhreparatur bekommen habe. Hoffentlich verwechsle ich die beiden nicht.
„Muss ich was bezahlen?“, frage ich ängstlich.
„Nein, alles erledigt.“ Ich ärgere mich über meinen Mann und rufe ihn sofort an. „Bist du schon ganz deppert?“, schreie ich ins Telefon und es ist weniger eine Frage als eine Feststellung, „du kannst doch nicht einfach einen Elefanten bestellen, ohne das vorher mit mir abzusprechen. Ich wohne auch hier, falls du das vergessen hast! Überhaupt: Was hat der wieder gekostet? Vorige Woche der Flügel, heute der Elefant, was kommt noch alles?“
Zunächst schweigt mein Mann kurz. „Jetzt reg dich doch nicht schon wieder so auf“, sagt er dann, „ich wollte es dir eh sagen, aber dann hab ich vergessen, und du bist ja nie daheim.“
Der Lastwagen startet. Wahrscheinlich will der Fahrer nicht in unseren Ehestreit hineingezogen werden. Wahrscheinlich hat er zu Hause seinen eigenen und ist damit ausreichend bedient.
„Na gut“, sage ich ins Telefon, jetzt ein wenig versöhnlicher. Ich denke an mein letztes Kommunikationsseminar. Das VW-Modell. Vom Vorwurf zum Wunsch. „Ich wünsche mir, dass du mich das nächste Mal in solche Entscheidungen miteinbeziehst.“
Ich höre, wie er seine Augen rollt, aber auch er lenkt ein. „Ja, mach ich. Überhaupt - er ist eh noch klein“, sagt er.
Na gut, denke ich, wir werden auch diese Situation irgendwie meistern, so wie wir in den letzten fünfundzwanzig Jahren schwierige Situationen gemeistert haben.

Der Lastwagen fährt mit einem Rumpeln weg. Der Elefant schreit. „Ist ja gut“, tätschle ich ihn an der Seite, „alles wird gut.“ Wahrscheinlich hat er Heimweh, denke ich. Wir könnten später gemeinsam Universum schauen, da ist bestimmt ein Bericht aus deiner Heimat dabei. Vermutlich hat er aber auch Hunger. Ich biege einen Ast des Birnbaums herunter. Ich hab mich noch nie darum gekümmert, was Elefanten so essen. Ich schaue auf den Gehsteig, ob der Lieferdienst zufällig eine Bedienungsanleitung dagelassen hat. Nichts. Aber ich sehe, warum der Elefant so schreit. Er ist an den Zehen verletzt. Der Lastwagen ist über seine Pfoten gerollt, als er weggefahren ist.
Mir schießen Tränen des Mitgefühls und des Zorns in die Augen. „Jetzt mal rein mit dir, kleiner Bimbo“, sage ich und beiße mir auf die Zunge. Bimbo darf man bestimmt nicht sagen, das ist rassistisch. Außerdem kann ich nicht erkennen, ob der Kleine aus Afrika oder aus Indien ist, und zu einem indischen Elefanten Bimbo zu sagen, ist noch mal so schlimm. Einer von beiden hat Schlappohren, erinnere ich mich an den Biologieunterricht. Aber welcher?

Jetzt ist auch die Nachbarin auf der Straße: „Was ist denn bei Ihnen schon wieder los, Frau Lehner?“, fragt sie.
„Nichts, nichts“, sage ich, „er wird sich gleich wieder beruhigen.“ Ich weiß nicht, wie ich ihn ins Haus bringen soll, er hat ja keine Leine dran. Also greife ich behutsam sein Ohr und führe ihn die Einfahrt runter. „Vorsicht, steil!“, warne ich ihn, aber das scheint ihn nicht zu stören.

„Guten Morgen“, verschlafen kommen die Mädels aus dem Zimmer. „Mich hat was aufgeweckt“, sagt Theres und reibt sich die Augen. „Dabei bin ich noch gar nicht fertig mit schlafen.“ Als sie den Elefanten sieht, rollt sie die Augen und sagt: „Dieser Papa. Was dem immer einfällt!“ Rosi dagegen kann ihr Glück kaum fassen. „Oh Gott, ist der süß!“
„Das ist Raphael“, sage ich. Der Name ist mir grad eingefallen und bestimmt weder afrikanisch noch indisch noch rassistisch.
„Schau mal, er ist verletzt“, sagt Rosi, als sie die Wunde sieht, „wir müssen ihn verarzten.“
„Soll ich die Tierärztin anrufen?“, fragt Theres. Sie erreicht sie nicht. Zum Glück, denke ich, denn sie ist nur für Kleintiere zuständig, und Raphael fällt wohl trotz seiner Jugend eher nicht in diese Kategorie.

Ein wenig später kommt Rosi mit einem Kübel Lindenblütentee mit frischen Ringelblumen drin und einem Leintuch als Verband, um ihn zu verarzten. „Den Tee macht mir meine Mama auch immer, wenn ich krank bin.“ Raphael leckt ihr dankbar übers Gesicht und trinkt den Kübel leer. „Er hatte Durst“, sagt Rosi entzückt, „habt ihr gesehen, wie gierig er getrunken hat?“
Theres ist da realistischer. „Vorsicht“, sagt sie, „was oben reinkommt, kommt meistens unten wieder raus.“

Wir bringen Raphael in den Garten. Ein wenig unsicher schaut er sich um, Rynn und Hermes, die beiden Katzen, flüchten ängstlich auf den Zwetschkenbaum. Nur Herta, der dreibeinige Kater, beschnuppert Raphael neugierig und beginnt dann, an seiner Wunde zu lecken. Wahrscheinlich freut er sich, dass er nun nicht mehr der behinderte Außenseiter in der Familie ist. Ich stelle die beiden einander vor: „Raphael“, ich deute erst auf den Elefanten, und danach auf den Kater, „und das ist Herta!“
Herta schnurrt zufrieden. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber auch aus Raphaels Innerem ertönen Geräusche der Wohligkeit. Ich glaube, die beiden werden Freunde.

„Ich mach uns jetzt erstmal auch was zu trinken“, sage ich und bitte die Mädels, in der Zwischenzeit auf unser neues Familienmitglied aufzupassen. „Wir werden das Kind schon schaukeln“, sage ich zu mir, als ich den Tee aufgieße, „wir sind schließlich schon mit schwierigeren Situationen als einem kleinen Elefanten fertig geworden.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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