Eigentlich war ich ja für Russland. Eigentlich war ich aber auch für die Türkei und für Portugal und die Niederlande und Österreich. Und eigentlich ist niemand weitergekommen, für den ich war. Also hätte ich es wissen müssen, dass Russland chancenlos ist. Und deshalb werde ich Sonntag für Deutschland sein. (Auch wenn Frau Dr. Blubb gesagt hat: "Das kannst du gar nicht, das kannst du mit deinem Gewissen nicht vereinbaren". Sie selbst hat - wie man hier sieht - entweder kein Gewissen oder ist pervers.)
Und weil ich auch irgendwann nicht nur zu den Testsiegern, sondern zu den Siegern gehören wollte, bin ich kurzerhand umgeschwenkt. Die Spanier haben es mir nicht schwer gemacht. Die auf dem Feld nicht. Und die hier auch nicht.
Ahja, und vor dem Spiel kam Sebastian Prödl (für die Ahnungslosen: Österreichischer Abwehrspieler, ab nächster Woche bei Werder Bremen) zu mir und hat die berühmte Cordoba-Autorin und Gewinnerin um ein Autogramm und ein Foto gebeten. Ich hab ihn nicht abgewehrt, er hätte mir sonst leid getan, der Kleine.
Das Spiel war geil und die Russen laut. Zumindest in der ersten Halbzeit. RO-SSI-JA. RO-SSI-JA. RO-SSI-JA. Gegen Ende wurden sie etwas leiser. Freundlich waren sie trotzdem und die Stimmung im Stadion war - abgesehen vom Donnergrollen - friedlich. Die russische Hymne hab ich lauthals mitgesungen, schließlich hab ich mal Russisch studiert und das sollte nicht ganz umsonst gewesen sein. Sieben Semester für eine Bundeshmne. Auf Kyrillisch.
Warum der glatzige Russe vor mir bei der No-Racism-La-Ola-Welle (es lebe die Tautologie) immer die rechte Hand von sich gestreckt hat, weiß ich nicht. Zum Glück kamen aber bald die rechtmäßigen Besitzer der Karten. Marmeladinger. Ahnungslos und an Fußball desinteressiert. Ich nehme an, sie haben gewonnen, denn ein Spiel dauert 90 Minuten und am Ende gewinnen immer die Deutschen.
Nach dem Match ist immer vor dem Matsch, sagt man, und so war es auch. Quer durch den Prater marschierten wir und meine Freundin sang aus Dankbarkeit für die Karte "Ein Stern, der deinen Namen trägt." - Das nächste Mal schenke ich die Karte jemandem, der DJ Ötzi nicht leiden kann.
Wie ein nasser Hund hab ich mich gefühlt. Wie ein nasser, junger Hund. Wie ein Teenagerhund, aufgeregt und aufgedreht. Mit bloßen Füßen in der warmen, nassen Erde. Mit strähnig-nassem Haar im Gesicht. Und einem Leuchten in den Augen.
Und das Leuchten in den Augen verband mich mit denen, die auch da waren. Egal, ob sie Kalinke oder Eviva Espana sangen. (Ich sang ja "Immer wieder Österreich", wie Herr Herold richtig aus der Menge herausgehört hat.
Die Herren und Damen VIPs sind nicht nass geworden. Vor dem Promi-Ausgang standen Sklaven mit riesigen Regenschirmen und geleiteten die feisten Herren zu den feisten Autos. Die Straße sperrten sie ab und ließen das normale Fanvolk im Regen stehen. Die Polizisten taten zwar ihre Pflicht, aber sie lächelten mir solidarisch zu. Und sagten Doswidanje zu mir, wegen meines Russland-Shirts. Du auch pfiati, hab ich gesagt.
Es wundert mich nicht, dass die Politiker im Land regieren, wie sie regieren. Sie haben ihre Füße schon lange nicht mehr in die warme Erde gesteckt. Sie wissen nicht mehr, wie es sich anfühlt, auf Anzug und Frisur zu scheißen und nass zu werden. Sie wissen nicht, wie ein warmer Radler im Regen schmeckt. Und wie es sich anfühlt, wenn durchweichte Jeans und das Leben an einem kleben.
Aus meiner Karriere als Frauenministerin wurde ja nichts, wie ihr vielleicht aus der Presse erfahren habt. Ich wage aber zu behaupten, ich wäre eine bessere Frauenministerin als Maria Fekter Innenministerin sein wird. Vielleicht, weil mir Menschlichkeit wichtiger ist als Law and Order. Weil ich Umarmungen lieber mag als Absperrungen.
testsiegerin - 27. Jun, 18:35
Man kann nicht immer gewinnen ... pflege ich zu sagen, wenn ich wieder mal verliere. Die Schlüssel, die Fassung oder den Überblick über meine Schulden. Aber manchmal kann man gewinnen. Sogar ich.
Heute hab ich gewonnen und freu mich grad wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Und das mitten im Juni.
Beim Kurzgeschichtenwettbewerb des Frauenministeriums
"Kick it like Victoria" hab ich nämlich den 1. Preis gewonnen. Mit der Geschichte "Cordoba", die ihr eh schon kennt.
Am Mittwoch bin ich im Bundeskanzleramt eingeladen, und was noch viel, viel schöner ist und mein Herz grad höher und schneller klopfen lässt: Am 26.Juni sitz ich im Ernst Happel-Stadion beim Halbfinale. Ganz weit vorne. Und meine Freundin nehm ich auch mit.
Tja. Im Leben ist es wie im Fußball.
Manchmal gewinnt eben doch die Beste.
testsiegerin - 11. Jun, 17:09
ein Auswärtsspiel
manchmal
Da will der Tag
nicht und nicht
abpfeifen
In der Nachspielzeit
den entscheidenden
Treffer erzielt
Wieder einmal
nur ein Eigentor
Trotzdem
weiterspielen
Nach dem Spiel
ist immer vor dem Spiel
testsiegerin - 8. Jun, 23:35
Ich weiß, es gibt wichtigere Dinge auf der Welt. Für mich war aber das hier heute Abend das Wichtigste.
Es geschah in der Lade mit meinen Badeanzügen. Und es war ziemlich aufregend.
Überhaupt war mein Tag heute voll schön. Mit der Schauspiellehrerin hab ich übers Theaterworkshop für die Jugendlichen gesprochen, für das ich das Stück ("Rolle vorwärts") geschrieben hab.
Einer lieben Frau hab ich am Wochenende eine Geschichte geschrieben. Sie hat gesagt, dass das Schönste ist, was sie je bekommen hat.
Und jetzt hat die Katze vier Kätzchen in der Lade mit meinen Badeanzügen das Leben geschenkt. Vier rote Kätzchen, standesgemäß. Und wir durften dabei zuschauen. (Wenn eines davon immer umfällt, kann ich es ja Gusi nennen.)
Das Leben ist schön.
Und ich bin reich.
Und aus.
testsiegerin - 3. Jun, 22:03
Diese Veranstaltung hier für alle Unglücksraben und Glückspilze und überhaupt alle
Und diese hier für Menschen, die schöne Geschichten, interessante Frauen und gute Weine lieben
Ich würde mich sehr freuen, den oder die andere von euch dort zu sehen.
testsiegerin - 31. Mai, 16:17
Stellen Sie sich vor, jemand in Ihrer Umgebung droht damit Amok zu laufen, wenn dies oder jenes passiert. Sie aber wissen, es ist unausweichlich, dass dies oder jenes passiert. Und zwar nicht irgendwann, sondern sehr bald.
Zucken Sie die Schulter und sagen: "Wer es ankündigt, tut es eh nicht?"
Sind Sie zwar kurz entsetzt, denken dann aber: "Es geht mich eigentlich nichts an. Ich mische mich da lieber nicht ein"?
Stellen Sie sich vor, Sie wenden sich an die Polizei. Stellen Sie sich vor, der Polizist ist zwar freundlich und nett, sagt Ihnen aber, dass er erst handeln kann, wenn der Betroffene bereits Amok gelaufen ist?
Sie wenden sich an die zuständige Behörde. "Ich lass mich nicht zum Schuhlöffel des Zuständigen machen", sagt der eine. "Ich kann keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung erkennen", die andere, "und überhaupt bin ich bald auf Urlaub."
"Ich habe nur meine Pflicht getan", werden sie später sagen, wenn es vielleicht zu spät ist. "Unsere Behörde hat keine Fehler gemacht."
Sie alle tun nur ihre Pflicht. Aber wie steht es mit der Kür?
testsiegerin - 5. Mai, 21:55
Ganz Europa jagt, sammelt und pickt.
Kleine und große Menschen kaufen kleine Päckchen mit Bildern von großen Stadien und kleinen und großen Fußballspielern.
Die einen sammeln spar- und langsam. Sie gönnen sich hin und wieder eines dieser Päckchen, öffnen es behutsam und freuen sich über Ballack, Milan Baros oder die französische Mannschaft. Sie blättern im Album nach der richtigen, noch leeren Stelle und kleben das Bildchen sorgsam ein. Sie seufzen still, wenn ihnen beim Öffnen der dritte Stranzl entgegenlächelt. Vielleicht ist Henri ja morgen dabei. Oder übermorgen.
Andere wieder kaufen die Sticker stapelweise, überlegen sich ein eigenes Sortiersystem und wickeln die Angelegenheit ausgesprochen professionell ab.
Weil ganz Europa jagt, sammelt und pickt, jage, sammle und picke auch ich.
Erfahrungen, Eindrücke, Bilder und Gefühle klebe ich in mein Album. Ich reiße die Päckchen gierig auf, denn ich kann es nicht erwarten, von meinen Emotionen überrascht zu werden.
Die Mannschaft Das erste Mal ist schon ziemlich voll, der erste Kuss klebt neben dem ersten Schultag und unter dem ersten Toten, den ich gesehen hab. Sie spielen im Stadion Erinnerungen. Das erste Mal Sex hab ich doppelt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, welches der beiden erste Male das richtige erste Mal war. Das schönere, hab ich beschlossen, aber wegwerfen kann ich die Erinnerung ans nicht so schöne erste Mal auch nicht.
Die Erinnerung an die erste Geburt nimmt viel Platz ein, wesentlich mehr als die erste eigene Wohnung oder das erste selbstverdiente Geld. Irgendwie bin ich beruhigt, dass noch nicht alle ersten Male belegt sind. Welche wohl noch auf mich zukommen?
Das Team Schuldgefühle und Ängste ist mein Angstgegner. Vielleicht, weil die Mannschaft aus so vielen gefährlichen und unberechenbaren Spielern besteht. Sie spielen oft foul und unbarmherzig, es ist ihnen völlig egal, ob sie ihren Gegenspieler verletzen. Einer neben dem anderen grinst aus dem Album. Angst vor Verlust, Angst vor Versagen, Angst vor dem Tod. Das schlechte Gewissen, fett und trotzdem durchtrainiert. Das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein. Das Gefühl, den anderen und mir selbst nicht gerecht zu werden. Angst vor Versagen. Sie alle picken da Schulter an Schulter. Neben der Existenzangst. Die hab ich schon viermal. Ich würd sie gern eintauschen, drei Existenzängste gegen eine Lust und eine Liebe, aber niemand will tauschen. Die Angst ist nicht so viel wert, mit ihr verhält es sich wie mit den österreichischen Spielern für die ausländischen Sammler.
Es bereitet mir Unbehagen, dass diese Seite noch immer nicht voll ist. Wann ist genug endlich genug?
Ich blättere um und streiche zärtlich über das Team Hoffnungen und Träume. Ein bunt zusammengewürfeltes Team, das zwar mit viel Spaß und Fantasie, aber ohne Trainer und reichlich unkoordiniert spielt. Seine Chance, das Tournier zu gewinnen, ist gleich Null. Ich mag diese Mannschaft trotzdem und verliere mich im Anblick der Spieler, die das Spiel genießen, ohne an den Sieg zu denken.
Man kann die Sticker auch einzeln kaufen, meint ein Pragmatiker, dann erspart man sich das mühsame Tauschen.
Ich lächle geduldig, dabei hab ich die Geduld noch immer nicht. Sie spielt für die Tugenden und die haben sich nicht qualifiziert.
Meine Lieblingsmannschaft hab ich mir für den Schluss aufgehoben. Das Album wird nur wertvoll, wenn man nicht schief klebt, hat meine Freundin gesagt. Vorsichtig ziehe ich die Folie ab und klebe die Zuversicht konzentriert neben das Lachen. Die Lust am Leben neben die Liebe.
Ob ich eine von denen doppelt habe, will jemand wissen. Erst schüttle ich den Kopf und horte die wertvollen Torschützen in der Schachtel mit dem Optimismus, aber dann schenke ich die überzähligen Glücksmomente einfach her. Hier – ein bisschen Genuss für dich. Und da – Lustschreie für dich. Wir könnten sie ja auch gemeinsam... Darf ich Ihnen ein Lächeln schenken?
Herschenken gilt nicht, schreit einer der fundamentalisitschen Sammler, das ist geschummelt, nur tauschen gilt. Er bietet mir wahlweise Neid oder Eifersucht an. Aber die hab ich doch schon, sage ich, die spielen im Sturm der Mannschaft Hass und Hässlichkeit.
Außerdem will das Leben manchmal beschummelt sein für ein schönes Spiel.
Ziemlich abgegriffen ist es schon, mein Album. Den Schutzumschlag lehne ich trotzdem ab.
testsiegerin - 24. Apr, 20:32
Eigentlich wollte ich ja längst über die globalen Ereignisse der vergangenen Tage und wichtige Frauen schreiben. Über das Dekolleté der deutschen Kanzlerin, durch das man plötzlich entdeckt, dass die Frau nicht nur Kanzlerin, sondern eben auch Frau ist. Über die pazifistische schwangere Verteidigungsministerin Spaniens und die zukünftige Familien- und Frauenministerin Italiens und über Berlusconis blöde Bemerkung über das Frauenkabinett Zapateros, das er für zu rosa hält. Lauter kluge Sachen wollte ich schreiben.
Dann aber kam der Blinddarm meiner Tochter dazwischen und ich weiß nicht mehr, wer ich bin. ich schlafe schlecht, stehe um sechs auf, um vor Arbeitsbeginn noch mit meinem Kind im Krankenhaus Trivial Pursuit zu spielen, ich eile ins Büro, fahr auf Außendienst, leite Teams, und eile wieder ins Spital, um bei ihr zu sein. Eigentlich mag ich jetzt einfach ins Bett. Aber nicht ohne vorher über eine großartige Frau zu schreiben.
Diese großartige Frau ist in Wahrheit ziemlich klein. So um die eins fünfzig. Sie heißt Frau Rosi. Ihr Dekollete ist nicht wirklich erwähnenswert und regt niemanden auf. Noch nicht. Die Frau ist auch erst vierzehn. Eine Träumerin, der auf fünf Meter Weg sieben Sachen aus der Hand fallen. Eine, deren Kopf aus Fantasie und dunklen Locken besteht, die wunderbare Geschichten erfindet (das hat sie von ihrer Oma, die Kinderbuchautorin ist), eine, die für mich seit vielen Jahren einfach zur Familie gehört, mit uns nach England mitfliegt und an den meisten Wochenenden hier wohnt. Mein Röschen.
Meine Tochter hat zwar nun keinen Wurmfortsatz mehr, aber sie hat etwas, um das viele Mädchen sie beneiden. Die beste beste Freundin der Welt, seit mehr als sieben Jahren nun schon. Nämlich die Frau Rosi.
Bevor sie meine Tochter aka Frau Dr. Blubb in der Nacht in den OP schoben, hat sie noch gesagt: Ruf die Rosi an, aber erschreck sie nicht, sonst hat sie Angst um mich.
Ich hab es zwar versucht, aber es ist mir nicht gelungen. Rosi erschrak und hatte Angst.
Gleich am nächsten Tag hat Rosi sich eine Entschuldigung für den Turnunterricht schreiben lassen, weil sie ihre beste Freundin im Krankenhaus besuchen musste. Mit dem Autobus fuhr sie eine Stunde in die Stadt und verirrte sich im Labyrinth der Chirurgischen Abteilung.
Als ich das Krankenzimmer betrat, bot sich mir ein vertrautes Bild. Frau Dr. Blubb und Frau Rosi lagen nebeneinander in dem schmalen Bett.
Frau Dr. Blubb leichenblass und leidend ihre Narbe präsentierend, Frau Rosi tröstend. Den ganzen Nachmittag verbrachte sie dort, obwohl mit Frau Dr. Blubb nicht viel anzufangen war. Auch heute kam Rosi mit dem Bus und blieb viele Stunden lang. Zum Glück war Frau Dr. Blubb schon rosiger und Rosi blubbiger.
Beim Nachhausefahren hab ich der Frau Rosi mit Tränen der Rührung in den Augen gesagt, wie schön ich das finde, dass sie wieder gekommen ist, obwohl ihr Papa heute nach drei Wochen wieder nach Hause gekommen ist und sie sich schon total gefreut hat. „Das ist selbstverständlich“, hat sie nur gesagt, „Blubbi hätte das auch für mich getan.“ Was wohl wahr ist.
Danke Röschen, dass du bist. Dass du bist, wie du bist. Und dass du die Freundin meiner Frau Dr. Blubb bist. Und ein bisschen auch meine.
testsiegerin - 16. Apr, 21:20