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Montag, 11. August 2008

Hoch hinaus

Eines vorweg. Ich kann ziemlich gut klettern. Ich hab nämlich erst vor kurzem (also in etwa vor 20 Jahren) einen Kletterkurs besucht. Nach einer Trennung hab ich damals auch den Bodenkontakt verloren und begab mich paragleiternderweise in die Lüfte. Von den schönsten Berggipfeln Österreichs bin ich geflogen. Zum Glück habe ich keine Höhenangst, was auch kein Wunder ist, weil ich schließlich im zehnten Stock eines Hochhauses großgeworden bin. Beim Paragleiten landete ich einmal auf dem falschen Fußballplatz. Ich war überrascht, dass da so viele Leute waren, die Zuschauer dachten, ich wäre eine bezahlte Pauseneinlage. Aber das ist eine andere Geschichte.
„Mutti, du bist irgendwie so... so muttig“, sagte mein großes Kind gestern. Und weil ich vermutete, er hat nicht ein m mit einem n verwechselt, sondern irrtümlich ein zweites t dazugeschummelt, hab ich heute meinen Mut bewiesen.
Hab ich schon erwähnt, dass ich total gut klettern kann?
Deshalb waren wir – also Frau Dr. Blubb, Frau Rosi und ich – heute da, im Herzen des Weinviertels, also ums Eck.

Da waren viele Väter mit Kindern und die Mütter sagten: Oh nein, das ist nichts für mich. Ich les lieber ein Buch oder vertrete mir ein wenig die Füße.
Nicht so die Testsiegerin. Die kann nämlich wahnsinnig gut klettern.

Es hätte mir zu denken geben sollen, dass ich schon beim Einsteigerparcours in lächerlichen zwei Metern Höhe Herzklopfen gekriegt hab und das Seil, auf dem ich balanciert bin, heftigst gewackelt hat. Aber als ich dann in vier Meter Höhe über schwankende Heurigenbänke und Weinfässer geschritten bin, das hat mich so übermuttig gemacht, dass ich auch in fünf Metern Höhe mit dem Rad auf einer sehr hängenden Hängebrücke von Baum zu Baum gefahren bin.

Und weil ich irre super gut klettern kann, war auch der Fortgeschrittenenparcours ein Klacks für mich. Was sind schon sieben Meter? Was sind schon wacklige Holzstreben und Stricke? Lächerlich.



Ich fürchte, so hab ich dann auch auf die Zuseher gewirkt, als ich das erste Mal ins Seil gefallen bin. Aber Frau Dr. Blubb und Frau Rosi, die längst auf der sicheren Seite des Steiges waren haben mich angefeuert: „Mama, du schaffst das!“ Ich hab in diesem Moment völlig vergessen, dass ich nur die Mama von einer der Beiden bin.
Irgendwie hab ich es geschafft, mich wieder hoch zu ziehen und von Sprosse zu Sprosse zu hanteln.

Ich war die einzigste Muttige, die Szenenapplaus bekommen hat. Gut, ich hab ihn eingefordert, aber der stand mir wirklich gut, ich schwöre.
Blut und Schweiß hab ich geschwitzt, bei den nächsten Herausforderungen, die Dinge waren einfach nicht wirklich gut befestigt, sondern alles sehr lose und zum Teil weit auseinander.



Ja, und jetzt gestehe ich es reumuttig: An diesen hängenden Baumstämmen hing ich und hatte keine Kraft mehr in den Händen. Tippen hält offensichtlich nicht wirklich fit und stärkt die Unterarme nur marginal. Alle „Mama-du-schaffst-es“-Rufe halfen nichts. Mit Tränen in den Augen, mit zitternden Fingern und Knieen versagte ich. Wie ein Häufchen Elend hing ich im Gurt und konnte weder vor noch zurück.

Ich hatte Glück. Ich wurde gerettet und abgeseilt. Und ich hatte noch mal Glück. Keine Sau hat mich ausgelacht, und schon gar nicht die Mädels. Die sagten nur: „Wir hatten solche Angst um dich.“
Obwohl ich wirklich sensationell gut klettern kann, habe ich auf den Meisterparcours in zehn Meter Höhe (bewältigbar nur aus einer Mischung aus Fitness und Mut) verzichtet.
Die Mädchen haben nicht auf den Start verzichtet. Trotz meiner mütterlichen Warnung: „Überlegt euch das bitte vorher, ob ihr das schaffen könnt? Nicht, dass euch dann jemand runterholen muss.“ haben sie gewagt.



Und gewonnen. Wenigstens sie.

Samstag, 9. August 2008

Mutterliebe

Ganz friedlich liegen die Kleinen neben mir und brummen. Nein, nicht meine Kinder. Von denen ist einer längst auf dem Feld und die anderen beiden schlafen noch... Moment mal... Ich kann mich doch nur an zwei Geburten erinnern? Ah so. Die Frau Rosi, eh klar.
Wer so friedlich neben mir liegt, als könnte er/sie keiner Fliege etwas zuleide tun, das sind vier Kätzchen. Rynn, die kleine Katze und die drei kleinen Kater namens Herta, Janosch und Farin. (Bald werden zwei von ihnen andere Namen haben, aber das wird sie vermutlich nicht kratzen, weil sie ohnehin nicht darauf hören, wenn sie kratzen.)


(im Bild: Janosch)

Hermes, die Götterbotin, ist ihre Mutter. Sie bringt nicht nur Botschafen, sondern vor allem auch Nahrung. An all die Mäuse, Ratten und Amseln, die sie in die Wohnung schleppt, selbst nicht anrührt, sondern ihren Kindern serviert, hab ich mich ja schon halbwegs gewöhnt. Wann aber werde ich mich an die Hasen gewöhnen?
Seit drei Tagen nämlich hat Hermes ihre Liebe zu diesen Tieren entdeckt und serviert ihrer Brut täglich Hasenbrüste und –keulen. Im Ganzen.
Ich denke an Bruno und frage meine Tochter: „Hat jemand unserer Nachbarn neuerdings Kaninchen?“
„Boahh, das ist kein Kaninchen, sondern ein Feldhase. Das erkennt man an den Ohren.“
Den Kleinen ist dieser Unterschied vermutlich egal, denn sie zerren das Feldhasenkaninchen gewaltsam durch die Katzentüre und beginnen, es zu zerfleischen. Als ich mich ihnen nähere, knurren sie mich böse an und nichts erinnert mehr an das sanftmütige Schnurren, als sie mir vorhin in der Halsbeuge lagen.



„Können wir das Tigerbaby nicht mit nach Hause nehmen?“ haben die Kinder gestern im Tiergarten gefragt und waren angetan, von dem niedlichen Jungen, das glubschäugig den Hasen zerfleischte.
„Lieber nicht, ich fürchte, das wächst noch, und das Tigerbaby sieht zwar süß aus, aber Tiger sind Raubtiere.“

Wie Herta, Farin, Janosch und Rynn. Ich glaube, die wachsen auch noch. Vielleicht sind sie irgendwann größer als die Hasen, die sie zerlegen. Ich fürchte schon den Augenblick, in dem sie Eisbären an den Ohren ins Badezimmer ziehen. Für ihre Jungen.

Ich bin da vergleichsweise harmlos. Denn ich gehe jetzt in den Wald und jage ein paar Pilze. Die esse ich selber.

Dienstag, 5. August 2008

Briefe an meine Kinder

Brief an mein großes Kind

Wahrnehmungsstörungen haben sie dir damals diagnostiziert, die Ärzte. Ich weiß schon, was sie damit meinen, aber manchmal, wenn ich dich so beobachte, dann frage ich mich, wessen Wahrnehmung da gestört ist.
Du nimmst nämlich genau wahr, wenn der Traktor diesen Sommer anders bereift ist als im Sommer vor fünf Jahren. Du merkst dir die Namen von fünfunddreißig Kühen und Kälbern und dem Hirschen Hansi. Du weißt genau, an welcher Stelle im Garten wir im Frühjahr die Erdäpfel eingegraben haben.
Du konntest zwar mit sieben noch nicht mal deinen Namen schreiben, aber du wusstest, wie man Kartoffelvollernter und Rübenreinigungslager buchstabiert. Wenn es um den Unterschied zwischen einem John Deere 6920 S und einem Fendt 930 Vario oder einer Scheiben- und Schweregge ging, konnte dir sowieso keiner etwas vormachen.

Da war so viel, von dem wir geglaubt haben, du schaffst es nie. Du aber hast uns immer wieder überrascht.
Weißt du noch, wie du lesen gelernt hast, mein Kind? Auf dem Pferd bist du herumgeturnt, so, dass ich geglaubt hab, du fällst jeden Moment herunter, und das Pferd ist mit dir im Kreis geritten und auf die Stadelwand war mit dem Beamer ein Gedicht projiziert. Der Rhythmus des Pferdes und des Gedichtes wurden irgendwann in deinem Kopf eins.
Du hast Radfahren gelernt und Schwimmen und jetzt hast du sogar den Hauptschulabschluss geschafft, ein paar Jahre später halt als üblich, aber was spielt das für eine Rolle?

Wahrnehmungsstörungen. Pah. Du nimmst wahr, wenn ich heimlich ein Stück Wäsche umgehängt habe, weil du grad Rüben erntest. Du nimmst als einziger hier wahr, wenn ich die Fenster geputzt habe, durch die du aufs Feld schaust.
Und den Menschen, denen herinnen und denen auf dem Feld draußen, denen blickst du mitten ins Herz.

Natürlich mach ich mir manchmal Sorgen um dich, weißt du, das macht jede Mutter, das hat gar nicht viel mit diesen sogenannten Störungen zu tun. Du wirst deinen Weg gehen, wie auch bisher. Du wirst Schlagermusik hören, die niemandem in der Familie außer dir gefällt, aber das ist dir ohnehin egal, du wirst auch weiterhin das Gute in den Menschen sehen und genau das werden sie dir zeigen, weil du ihnen so offen gegenübertrittst. Mauern brauchst du nicht, du schützt dich mit der Kraft der Liebe, die dich umgibt.

Ich wünsche dir, dass du einmal eine Frau findest, die dich so liebt wie du bist. (Und wenn sie einen Bauernhof hätte, dann wäre das auch praktisch.) Die das an dir wahrnimmt, was dich ausmacht. Dein großes Herz, dein breites Lachen, das Glück, das du in dir trägst. Du suchst nicht ständig den Sinn im Leben, weil der Sinn tief in dir wohnt.
Kannst du dich erinnern, als ich dich mal gefragt hab, ob du denn nie traurig oder unglücklich bist. „Warum sollte ich?“ hast du lächelnd geantwortet. Ja, warum solltest du? Und warum sollten wir? Und trotzdem sind wir es immer wieder, obwohl die Sonne scheint, der Lavendel blüht und der Weizen reif ist.
Ich wünsche dir eine Frau, der es egal ist, wenn auf der einen Wäscheleine ausschließlich rote und auf der anderen ausschließlich gelbe Wäscheklammern angebracht sind, weil das für dich wichtig ist. Eine, die sich drüber freut, dass du ihr jeden Morgen das Bett machst und die Bücher, die sie liest, nach Größe und Farben sortierst.

Puh, ziemlich schwülstig klingt das alles, Kind. Aber du wirst es eh nicht lesen, weil grad Erntezeit ist und da gibt es wirklich Wichtigeres als Schleimereien der eigenen Mutter. Ich muss jetzt sowieso raus, Wäsche aufhängen. Bittte schimpf nicht mit mir, wenn nicht Kante auf Kante hängt.


Brief an mein kleines Kind

Was soll ich einem Persönchen schreiben, mit dem ich sowieso täglich stundenlang rede? Ob das Leben Sinn hat, haben wir gestern besprochen, und du hast gemeint, eher nein. Dass du aber auch nicht danach suchst, weil es keinen Sinn hat, etwas zu suchen, das es nicht gibt. Dass du nicht auf der Welt bist, um Sinn zu haben, sondern weil ich dich gekriegt hab, und aus.
Meine kleine Philosophin, mein Leben hat jede Menge Sinn. Vor allem, weil es euch gibt.

Und als ich das hier heute noch mal in Ruhe angeschaut hab, das Geschenk, das du für deine beste Freundin gemacht hast, da hab ein paar Tränen der Rührung zerquetscht.
Sieh es mir nach. Und verzeih mir bitte meinen unverbesserlichen Optimismus. Ich weiß, das Glas ist weder halb voll noch halb leer, sondern doppelt so groß wie notwendig.
Obwohl... wenn es nur halb voll ist, kann man nachgießen. Und dann ist es voll. Das Glas. Das Leben. Und überhaupt.

Mittwoch, 16. Juli 2008

Babsi Bügleisen 5+6

Das fünfte Kapitel ist nichts für schwache Nerven. Angsthasen blättern am besten weiter zu Kapitel sechs.

Als Babsi am Sonntag aufwachte, lag ein Zettel neben ihr.

Bin morgen (also wenn du aufwachst, heute) bei meiner Oma. Komme am Nachmittag zurück. Gehen wir dann ein Eis essen? Bussi, Bekka

Babsi kletterte die Leiter hinunter und betrachtete verwundert ihr Zimmer. Wie es hier glänzte. Richtig viel Platz war da jetzt. Zum Tanzen und Singen. Mambo zum Beispiel. Und um das Bild für Bekka fertig zu malen.

Auf jedem Regal und auf jeder Kiste klebte ein Schild mit einer Aufschrift. Stifte. Basteln. Krimskrams. Babsi zog ein Schubfach heraus. Die grünen Buntstifte waren bei den grünen und die blauen bei den blauen. Sogar gespitzt waren sie alle. So würde sie das nie wieder hinkriegen. Sie machte die Lade lieber zu und nahm das Hasenpuzzle aus der Kiste, legte es aber schnell zurück, damit nichts verloren ging.

Bei Babsi machte sich eine leise Verzweiflung breit, trotz des aufgeräumten Zimmers. Oder gerade deswegen. Immerhin fand sie sofort ihren Wecker. Fünf Uhr! So früh war sie überhaupt noch nie wach gewesen.
Sie schaute aus dem Fenster. Es dämmerte und kein Mensch war zu sehen, aber ungefähr tausend Vögel zwitscherten wie verrückt. Babsi zog sich an und schlich aus dem Haus.
Mmhh, roch das gut! Ganz frisch nach Gras und Bäumen. Sie schloss die Augen, breitete die Arme aus und atmete tief ein. Als sie fertig war mit Atmen und die Augen wieder öffnete, stellte sie fest, dass doch noch andere Menschen unterwegs waren. Drüben auf dem Feld fuhr sogar ein Traktor. Nein, auf keinen Fall wollte sie Bäuerin werden, wenn man dann sonntags schon um fünf in der Früh arbeiten musste, auch wenn Treckerfahren eine heiße Sache war.
Auf der anderen Straßenseite ging eine alte Frau mit einem dicken Wollknäuel auf vier Pfoten spazieren. Babsi erkannte, dass das ein Tschautschau war, doch sie wusste nicht, wie er richtig geschrieben wurde, nämlich Chow Chow. Sie hätte auch gerne einen Hund gehabt, wenigstens einen klitzekleinen, einen Schiwawa vielleicht, den man Chihuahua schreibt. Aber Mama sagte immer: „Nein, einen Hund gibt es nicht, denn dann werde ich es sein, die jeden Morgen mit ihm Gassi gehen muss.“ Damit hatte Mama wohl Recht, und jetzt tat Babsi die Frau leid, die da hinter dem zappeligen Etwas herhinkte.
Plötzlich wackelte das Gebüsch hinter der Frau und ein bärtiger Mann sprang heraus. Er gab ihr einen Schubs und entriss ihr die Handtasche.
„Zu Hiiilfäää!“, kreischte sie, aber der Bösewicht hatte längst die Flucht ergriffen.

Einen Augenblick lang verharrte Babsi stocksteif, versteckte sich aber dann schnell hinter dem Kirschbaum. Sie musste den Dieb unbedingt stoppen. Nur wie? In ihrer Hosentasche war ausnahmsweise keine Bananenschale. Die hätte sie ihm gerne vor die Füße geschleudert, damit er darauf ausrutschte. Mutig wäre das zwar gewesen, aber auch ziemlich bescheuert. Er würde wieder aufstehen, Babsi packen und sich an ihr rächen.

Sie wartete, bis er hinter der Kurve verschwunden war, dann rannte sie zurück zum Haus, wo ihr Rad noch an der Mauer lehnte. Gott sei Dank hatte Bekka das beim Aufräumen übersehen, sonst stünde es jetzt brav in der Garage.

Babsis Herz klopfte vor Anstrengung und Angst, als sie sich mit ihrem Fahrrad in die Kurve legte. Da war er, der Dieb! Er sprang gerade in ein Auto, einen silbernen Toyota.
Sie konnte nur noch einen Teil des Nummernschildes erkennen, als der Wagen davonrauschte. Drei-vier-fünf. Das war nicht so schwer zu behalten, aber zur Sicherheit sagte sie die Zahlen immer wieder auf. Sie keuchte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Von weitem hörte sie noch immer Hilfeschreie. Ach, die arme Frau. Als Babsi wieder bei ihr war, krochen ein paar Leute wie neugierige Schnecken aus ihren Häusern. Ein Mann sogar im Schlafanzug.

„So ein Verbrecher! Er hat mir die Handtasche geraubt! Mit ganz viel Geld und sieben Kreditkarten und der goldenen Taschenuhr, die ich von meinem Großvater geerbt habe!“
„Ja, ja. So beruhigen Sie sich doch. Das ist wahrscheinlich so ein Schock, den Sie da haben. Und Sie ...“, Babsi zeigte auf den Mann im Pyjama, „Sie bringen die Frau bitte nach Hause und ich fahre zur Polizei.“

Die Kirchturmuhr schlug halb sechs. Ihre Eltern konnte Babsi jetzt unmöglich wecken, die schliefen am Wochenende gerne lang. Also radelte sie zur Polizeistation.
Geld, Kreditkarten und eine goldene Taschenuhr? Warum nur packte die Frau das alles ein, wenn sie mit ihrem Hund spazieren ging? Egal, jetzt sollte die Polizei erst mal den Räuber fangen. Drei-vier-fünf.

„Guten Morgen. Ich muss dringend einen Raubüberfall melden.“ Babsi stürmte auf die Polizeiwache. „Suchen Sie den silbernen Toyota mit der Nummer drei-vier-fünf. Schnell!“
Der Beamte zuckte zusammen, denn er war über seinem Kreuzworträtsel eingeschlafen. Die Hauptstadt von Portugal war ihm auch im Traum nicht eingefallen.
„Wissen deine Eltern, dass du hier bist?“ Das klang nicht sehr freundlich.
„Die schlafen noch.“
„Was geisterst du hier um die Zeit herum? Sieh zu, dass du nach Hause kommst.“
„Nein. Bitte. Sie müssen mir glauben. Ich hab alles gesehen.“ Babsi ließ sich doch nicht einfach fortschicken.
„Wie heißt nur die verflixte Hauptstadt von Portugal?“ Der Polizist grübelte wieder über seinem Rätsel.
Babsi rollte die Augen. „Lissabon natürlich!“
„Danke.“ Er brummte zwar, war aber nicht mehr so grantig wie vorher. „Also noch mal von vorne. Dein Name?“
„Babsi Bügleisen.“
„Bügleisen? Wie kann man denn Bügleisen heißen?“
„Das kann ich Ihnen gerne erklären“, gab sich Babsi wichtig. „Meine Oma war eine geborene Bügl und mein Opa war ein Eisen. Darum hieß meine Mama Bügl-Eisen. Mit Bindestrich dazwischen. Aber als sie meinen Papa geheiratet hat, war sie so aufgeregt, dass sie den Bindestrich verloren hat. Sie hat ihn nie wieder gefunden. Drum heißen wir jetzt alle Bügleisen ohne Strich.“
„Ich bin beeindruckt.“ Der Polizist zwirbelte seinen Schnurrbart und unterdrückte ein Grinsen. „Was hast du denn auf dem Herzen, kleines Fräulein?“
Babsi berichtete noch einmal ganz langsam, damit er es begriff. Sie beschrieb den Täter, das Opfer und den Hund.
„Aha, die Frau Kaltenbrunner mal wieder“, sagte er und schrieb alles gewissenhaft auf, wahrscheinlich weil er es sich sonst nicht merken konnte, vor allem die Autonummer.
„Woher weiß die Madame denn, dass das Auto ein Toyota war?“
Babsi stöhnte genervt. Liebe Güte, der hielt sie wohl für ein Kindergartenkind.
„Ich hab’s an dem Zeichen erkannt, das hinten drauf war. Außerdem fährt die Tante Jolante so ein Auto.“ Papa nannte sie immer die Tante Jolante aus Alicante, obwohl sie in Wahrheit in Kleinschupfingen wohnte.

Babsi musste die Eltern dann doch aus dem Schlaf läuten, weil sie ihren Schlüssel vergessen hatte. Papa staunte nicht schlecht, als sie um diese Zeit vor der Tür stand. Und als sie von ihrem Abenteuer erzählte, da staunte er noch viel mehr.
„Super hast du das gemacht, Babsi.“ Er drückte sie an sich. „Komm, ich mach uns zur Feier des Tages Spiegeleier mit Speck.“
Babsi strahlte und Mama verzog das Gesicht. Sie mochte morgens lieber ein ganz normales Marmeladenbrot.

Nach dem Frühstück fuhren sie wieder zur Polizei. Der Wachtmeister begrüßte sie freudestrahlend: „Da ist ja unsere kleine Heldin.“
Stolz berichtete er, dass sie den Räuber bereits gefasst hätten, dank Babsis guter Beschreibung.

Wenig später kam ein nervöser Mann von der Zeitung und machte Fotos. Anschließend stellte er lauter verrückte Fragen, ob Babsi später Polizistin werden wolle und was ihr Lieblingsessen sei.
„Ich muss schon sagen“, grummelte der Polizist zum Abschied, „das nenne ich Mut.“
„Ich nenne das Zivilcourage“, meinte sie, aber wahrscheinlich kannte er das komplizierte Wort gar nicht, denn er nickte nur und lächelte.

Daheim schaute Babsi in ihren Taschenspiegel. Heldin! Sie tippte sich an die Stirn. Ich bin doch keine Heldin. Das hätte doch jeder so gemacht. Für sie war Bekka eine Heldin, denn die hatte die Schweinerei in ihrem Zimmer beseitigt. Wenn Babsi in die Zeitung kam, dann gehörte ihre beste Freundin dort allemal hinein.

Sie holte ein paar alte Zeitungen und öffnete die Schublade Basteln. Wie praktisch. Da war alles, was sie benötigte. Sie überlegte, sie schnitt und sie klebte. Schließlich las sie ihrem Teddy die Schlagzeile vor. Laut und deutlich, weil er nur noch ein Ohr hatte und deshalb etwas schwerhörig war.

TAPFERE BEKKA RETTET BABSI AUS SCHLIMMER UNORDNUNG

Darunter klebte sie zwei Fotos: eines von der Pyjamaparty im letzten Sommer, auf dem Bekka einen viel zu großen Schlafanzug trägt, und ein anderes mit sich selbst im Fußballdress. In Druckbuchstaben schrieb sie ihre Namen dazu. Beinahe echt sah das aus.

Um halb vier klingelte endlich das Telefon. Bekka war zurück von der Oma. Sie brauchte jetzt dringend ein Eis.
„Die Geldbörse liegt auf deinem Schreibtisch in dem kleinen Körbchen“, half Bekka, denn Babsi fand sich in der neuen Ordnung noch nicht zurecht. Immerhin lagen jetzt Zeitungen, Papier, Schere und Kleber verstreut auf dem Fußboden und gaben ihr ein vertrautes Gefühl. Zum Wegräumen war sowieso keine Zeit mehr, denn sie konnte Bekka auf keinen Fall warten lassen.

„Erdbeer, Melone und Zitrone“, bestellte Babsi und Bekka entschied sich für Schokolade, Vanille und Haselnuss.
„Sag mal, Radschif, wieso trägst du einen Turban und keinen Federschmuck?“, fragte Babsi den Eisverkäufer.
„Weil meine Familie aus Indien stammt. Wir sind doch keine Apachen.“
Bekka lachte, aber Babsi bohrte nach. „In echt? Habt ihr auch keine Friedenspfeife? Keinen Skalp? Nicht mal ein Indianerzelt?“
Er schüttelte den Kopf und Bekka erklärte: „Radschif kommt aus Indien. Das liegt in Asien und nicht in Amerika, wo die Indianer leben.“
Jetzt schämte Babsi sich ein bisschen. „Es tut mir leid, dass ich Indianer und Indier immer verwechsle. Das haben wir noch nicht gelernt.“
„Inder“, verbesserte Bekka.
„Ah ja. In der Hosentasche hab ich was.“ Babsi reichte ihrer Freundin einen gefalteten Zettel. „Schau! Da steht was in der Zeitung über dich!“
Strahlend betrachtete Bekka das beklebte Papier. Wie konnte jemand so verrückt sein? Und gleichzeitig so lieb. Sie drückte Babsi und gab ihr einen Haselnusskuss auf die Wange.


Das sechste Kapitel ist voll peinlich und Schokolade kann ein Grund zum Heulen sein.

Am nächsten Morgen erwischte Babsi gerade noch rechtzeitig den Bus. Beim Eintreten gaffte der Fahrer sie mit offenem Mund an. Hatte sie etwa ihr T-Shirt wieder mit den Nähten nach außen angezogen? Oder eine fette Spinne im Haar?
„Bi-Bist d-du nicht die Kleine aus der Zeitung?“
„Das ist sie, das ist sie!“, krähte eine dicke Rothaarige aus der dritten Sitzreihe, die gerade den Lokalteil in der Hand hielt. „Sie ist eine Heldin. Sie hat den gefährlichen Gangster gefangen.“
Puh, war das peinlich. Babsi errötete, als die Fahrgäste klatschten.
„Gibst du mir ein Autogramm?“ Eine verhutzelte Frau wedelte mit einem Kugelschreiber.
Statt nach dem Stift griff Babsi nach der Zeitung, hinter der sie sich zum Glück auch verstecken konnte.
Aus einem großen Foto grinste sie sich selbst entgegen. Mit Zahnlücke und einem abstehenden Ohr. Darüber las sie in dicken schwarzen Buchstaben:

Achtjährige bringt Handtaschenräuber zur Strecke

Babsi Bügleisen, eine kleine Frühaufsteherin, bewies am Sonntagmorgen Mut und Intelligenz, als sie Zeugin eines brutalen Raubüberfalls wurde. Geistesgegenwärtig verfolgte das tapfere Mädel den skrupellosen Täter, der einer alten Dame die Handtasche entrissen hatte, und notierte dessen Autokennzeichen.
Die Polizei konnte noch am Vormittag einen 41jährigen Friseurgehilfen aus Großschupfingen verhaften. Das Opfer blieb glücklicherweise unverletzt.
Der mutmaßliche Dieb hatte gleich doppeltes Pech, denn in der erbeuteten Handtasche befanden sich lediglich Hundekekse, Erfrischungstücher und ein Rosenkranz.


Babsi lachte: „Ganz viele Taschenuhren und goldene Kreditkarten und sieben Kilo Geld! Von wegen!“

Vor der Schule begrüßten sie die anderen Kinder mit großem Hurra. Pausenloses Schulterklopfen und unzählige Babsi-Rufe begleiteten sie auf ihrem Weg ins Klassenzimmer. Die waren ja völlig durchgedreht!
Schnell zog sie die Tür hinter sich zu und atmete durch. Hier war sie hoffentlich wieder die ganz normale Babsi Bügleisen und kein Superstar. Aber ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Vor der Tafel standen die Frau Lehrerin und der Herr Direktor und schauten gespannt, gerade so, als würden sie den Weihnachtsmann erwarten. Sie strahlten wie zwei Christbaumkugeln und noch bevor Babsi einen Ton hervorbrachte, hatte sie schon einen Blumenstrauß in der rechten und eine riesige Tafel Schokolade in der linken Hand.
„Bravo, wir sind stolz auf dich!“, jubelten sie.

Im ersten Moment war Babsi völlig verdattert. Im zweiten Moment holte sie tief Luft. Im dritten Moment wurde sie wütend:
„Spinnen hier eigentlich alle? Was ist denn so toll daran, wenn man sich ein Autokennzeichen merkt? Und warum ist es so schlimm, wenn man ein Käsebrot vergisst? Das ist doch alles total normal, verflixt und zugenäht!“

Sie drehte sich um und flüchtete aus der Klasse. Dabei rannte sie beinahe den Schulwart um, der gerade ahnungslos aus dem Putzmittelraum kam und mühsam ein „Gratuliere“ stammelte. Auf den war sie sowieso stinksauer, weil er sich beim Direktor beschwert hatte. „Danke fürs Petzen!“, stieß sie hervor und drückte ihm die Blumen in die Hand. Sie sah nicht mehr, wie er lächelte. Hatte er doch „Danke fürs Putzen“ verstanden.

Im Pausenhof setzte sie sich verzweifelt auf einen Mauervorsprung und weinte. Sie kramte nach einem Taschentuch, aber da war nur ein total zerfledderter Fetzen. Dass ihre Mama aber auch immer zu faul war, vor dem Waschen die Hosen zu durchsuchen.

Auf einmal saß Bekka neben ihr. Schweigend zuerst. Dann sagte sie: „Nimm sie nicht ernst! Die sind halt ein bissel deppert.“
Babsi wischte sich den Rotz an ihrem Ärmel ab. Bekka schüttelte sich zwar erst, legte ihrer Freundin aber dann den Arm um die Schultern. „Manchmal wäre ich gern wie du.“

Sonntag, 13. Juli 2008

Babsi Bügleisen

Nachdem ich immer noch keinen Verlag für mein Kinderbuch "Babsi Bügleisen" hab, ich aber finde, dass es zu schade für die Schublade bzw. die Festplatte ist, stell ich es wenigstens hier rein.

Hier mal die ersten beiden Kapitel.


Das erste Kapitel fängt mit Aufstehen an und endet mit einem schimmligen Käsebrot. Dazwischen ist es auch nicht besser.

„Babsi! Steh auf, sonst verpasst du den Bus!“
„Eine Minute noch.“ Babsi Bügleisen drehte sich um und kuschelte sich ins Kissen. Mama war oft anstrengend und ließ sich nicht einfach so abschalten wie der nervige Wecker. Babsi konnte sich nicht mal mehr erinnern, ob das Ding überhaupt geklingelt hatte oder ob sie am Abend wieder vergessen hatte, ihn zu stellen. Warum, zum Teufel, brauchte man auf der Welt eigentlich Wecker, wenn es doch Mamas gab?
„Es waren schon fünf mal drei Minuten, Barbara-Marie!“ So hieß Babsi mit vollem Namen. Barbara-Marie hieß aber auch: Vorsicht, Mama ist sauer!
„Ich steh nur auf, wenn du hinausgehst!“
Ihre Mutter stöhnte und verließ entnervt das Zimmer.

Mama sollte nicht sehen, dass Babsi mit Socken geschlafen hatte. Sie tat das erstens, weil sie mit kalten Füßen nicht einschlafen konnte, aber die Wärmeflasche nie fand, und zweitens, weil sie dann in der Früh die Socken nicht suchen musste.
„So kriegst du Schweißfüße“, durfte sie sich immer anhören.
Sie roch an ihren Füßen. Die Socken waren zwar ein bisschen schwarzrosa, aber sie stanken nicht.

Babsi kletterte von ihrem Hochbett und trottete in die Küche. „Waaas?“, quiekte sie, als sie sah, dass es schon halb acht war.
„Mama, warum sagst du nicht, wie spät es ist? Wie soll ich das nur schaffen? Du musst mich in die Schule bringen!“
„Soll ich dich etwa hintragen? Der Wagen ist in der Werkstatt. Ich fürchte, du musst aufs Frühstück verzichten und mit dem Rad fahren. Von deinem Taschengeld kannst du dir in der Pause eine Wurstsemmel kaufen.“
Babsi Bügleisen hielt die Luft an. Sie war plötzlich hellwach, aber das hier träumte sie wohl. Ihr Taschengeld ausgeben für etwas zu essen? Mit dem Rad fahren? Das war doch viel zu anstrengend! Ihre arme Mutter, sie war offenbar gerade verrückt geworden!
„Wenn der Papa da wäre, der hätte mich pünktlich geweckt. Der hat mich sowieso viel lieber als du!“

Heimlich stopfte sie sich ein paar Gummibären zwischen die Zähne und legte kleinlaut das Mitteilungsheft auf den Tisch.
„Schreibst du bitte ein, dass ich in der dritten Stunde nicht mitturnen kann?“
„Warum denn das? Hast du etwa Angst, es könnte dir schaden, wenn du mehr bewegst als einen Finger auf der Fernbedienung?“
„Ich hab Bauchweh. Wahrscheinlich. Oder Kopfweh. Vielleicht. Außerdem wird mir bei den Purzelbäumen manchmal ganz schwindlig.“
Mama blickte flehend an die Zimmerdecke, aber da war niemand, der ihr helfen konnte.

„Am schwindligsten wird mir, wenn ich nichts gefrühstückt hab. Und du bist schuld, dass ich hungrig in die Schule muss und beim Turnen ohnmächtig werde!“
Mama klopfte ihr mit dem Finger an den Kopf. Es klang ein bisschen hohl.
„In dieses Heft werde ich sowieso nichts mehr hineinschreiben. Es hat Eselsohren und Fettflecken.“
„Es hat Eselsflecken und Fettohren“, äffte Babsi sie beleidigt nach.

„Hast du nur dieses eine Paar Socken, Babsi? Die sind ja ganz schmutzig und riechen nicht mehr gut. Sag nicht, du hast damit geschlafen!“
Woran merken Mamas so etwas nur? Und warum waren Papas nie da, wenn man keine Lust zum Bodenturnen hatte? Papa war selbst ein schlechter Turner und schrieb ihr dann immer eine Entschuldigung. Und wenn sie vorsingen sollte, trug er ein, dass sie eine Halsentzündung hatte. Er konnte nämlich gut verstehen, dass sie nicht vorsingen mochte, weil er selber ein lausiger Sänger war.

„Hier, zieh die heute an, wenn du mit dem Rad fährst.“ Mama warf ihr eine Strumpfhose an die Brust.
Igitt. Eine Strumpfhose. Aber frieren wollte Babsi auch nicht. Wo war nun bloß wieder ihre Schultasche?

Babsi flitzte mit der Zahnbürste im Mund durchs Haus und suchte in allen Ecken. Sie schaute in die Spielzeugkiste und aufs Bücherregal, fand sie aber nirgends. Weder in der Badewanne noch hinterm Fernseher.

Sie hatte den Ranzen bestimmt gestern bei Bekka vergessen. Klar, dass sie auch noch keine Hausübung gemacht hatte. Das Läuten des Telefons unterbrach ihre Gedanken.
„Ich bring ihn dir mit“, sagte Bekka. „Deine Aufgabe hab ich bereits gestern Abend erledigt.“
„Danke und Bussi.“ Babsi legte auf, streckte Mama die offene Hand entgegen und zum Glück drückte die einen Euro hinein. „Und nochmals Danke und Bussi.“
„Wehe, du kaufst dir Süßigkeiten davon.“
Doch das hörte Babsi längst nicht mehr. Sie schwang sich aufs Rad und stapfte in die Pedale. Wenigstens hatte sie keine schwere Schultasche auf dem Rücken. Manchmal war es ganz praktisch vergesslich zu sein.

Bekka war super. Sie war nicht nur Babsis beste Freundin, sondern zudem genau das, was Babsi selbst nicht war - ordentlich, pünktlich und fleißig. Ohne Bekka wäre Babsi oft ziemlich aufgeschmissen gewesen.
Aber umgekehrt genauso. Wenn die anderen Kinder Bekka wegen ihres Faltenrocks auslachten, dann war Babsi auf ihrer Seite. Wenn einer der Jungs aus der vierten Klasse ihr im Winter die Mütze klauen wollte, dann krachte ihm vorher ein Schneeball auf die Stirn. Und wenn Bekka beim Ballspielen die Brille verlor, fing Babsi sie auf.

Manchmal wünschte sich Babsi, so zu sein wie Bekka. Dann bekäme sie nicht so oft Schimpfe von der Lehrerin. Mama würde sie sicher vom Turnen erlösen, wenn ihr Mitteilungsheft nicht nach Schnittlauch roch und aussah wie ein Butterbrotpapier. Außerdem bräuchte sie sich nicht immer so zu schämen, wenn sie die ausgeliehenen Bücher in die Bibliothek zurückbrachte, viel zu spät und viel zu zerknittert.

Vielleicht konnte man eine Mischung aus ihnen beiden herstellen. Von Babsi den Spaß und lässige Jeans und von Bekka die Ordentlichkeit und den Durchblick. Doch wenn etwas schief ging beim Mixen? Wenn die Mischung faul und schlampig blieb, aber dafür ein Angsthase wurde und einen Faltenrock trug?

Verschwitzt und völlig außer Puste erreichte Babsi das Klassenzimmer. Vorn an der Tafel stand der Schuldirektor mit ernster Miene und die Kinder waren mucksmäuschenstill. Sie huschte leise hinein und setzte sich auf den einzigen freien Stuhl.
„So. Jetzt, wo endlich alle da sind, kann ich ja anfangen.“ Der Direktor räusperte sich. „Unser Schulwart hat sich bei mir beklagt. Das hier hat er gestern in einem eurer Bankfächer gefunden.“ Er hob ein schimmlig-grünes Etwas hoch und hielt sich dabei die Nase zu. „Ich vermute, das war einmal ein Käsebrot.“
„Iiiiiiihhhh!“, schrieen die Kinder im Chor.
Der Direktor steckte das ehemalige Käsebrot in eine Plastiktüte. „In der Garderobe hat er noch etwas entdeckt.“ Jetzt hielt er zwei Socken in der Hand, an denen die abgekauten Überreste eines Apfels hingen.
„Pfuuuiiiii!“


Im zweiten Kapitel rutschen zwei Herzen, es wirbelt eine Motte und kein Kopf wird gewaschen.

Babsi Ohren begannen zu glühen. Das Brot war ihr letzte Woche irgendwie abhanden gekommen, aber sie hatte es wirklich nicht vermisst. Und der Apfel war im Weg, als sie dringend die warmen Socken loswerden musste beim Gummihüpfen. Das konnte doch mal passieren, oder?

„Erinnert sich vielleicht jemand von euch daran, dass er das eine oder das andere in den letzten Tagen hier vergessen hat?“, wollte der Direktor wissen, und als niemand aufzeigte, sprach er weiter: „Der oder die Besitzer kommen bitte in der großen Pause in mein Büro.“
Er drehte sich um und schrieb in großen Buchstaben an die Tafel:

ORDNUNG IST DAS HALBE LEBEN

„So heißt der Aufsatz, den ihr alle schreiben werdet. Ihr dürft gleich damit anfangen.“

Unter Gejammer und Gestöhne packten die Kinder ihre Aufsatzhefte aus. Nur Babsi nicht, denn ihr Ranzen lag noch bei Bekka. Die verstand Babsis hilfesuchenden Blick sofort und gab der Tasche einen kräftigen Tritt. Leider schlitterte sie weit an Babsi vorbei und landete genau vor den Füßen des Direktors.
„Du kommst bitte nachher ebenfalls zu mir, Rebekka Besenreiter. Auch wenn die Essensreste sicher nicht von dir sind. Wem gehört der Ranzen?“
Babsi zeigte tapfer auf, denn sie brauchte das Aufgabenheft.
„Ich hab vor der Stunde aufs Klo gemusst. Da hat Bekka meine Tasche mit reingenommen. So war das.“ Die ganze Geschichte wäre für den Direktor viel zu kompliziert gewesen und für Babsi zu peinlich. Kaum hatte sie das ausgesprochen, musste sie wirklich aufs Klo, aber sie riss sich zusammen.

Deutsch war Babsis Lieblingsfach, da war sie richtig gut. Sie dachte sich gern Geschichten aus. Von Butterbroten, die nicht kleiner wurden, wenn arme hungrige Kinder davon abbissen. Von Mädchen, die als Mutprobe Frösche und Regenwürmer küssten. Und von Schweinen, die mit Propellern durch die Luft flogen. Aber jetzt nagte sie an ihrem abgekauten Stift, denn zum Thema Ordnung fiel ihr absolut gar nichts ein.
Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen, kritzelte sie ins Heft und radierte es gleich wieder aus. Denn sie selbst war schlampig und zu faul zum Suchen war sie obendrein. Babsi schaute zu Bekka. Die hatte zwei frisch gespitzte Bleistifte vor sich liegen und ein dritter sauste in Windeseile über das Heft. Bekka warf Babsi einen aufmunternden Blick zu.

ORDNUNG IST DAS HALBE LEBEN, malte Babsi langsam auf die leere Seite und kaute weiter. Warum hatte noch niemand Stifte mit Pfefferminzgeschmack erfunden? Alles musste sie selbst machen! Babsi suchte nach den Buntstiften und unterstrich die Überschrift. Der rote könnte nach Professor Blubbers zischfrischer Himbeerbrause schmecken und der gelbe wie das Zitroneneis aus der italienischen Eisdiele. Dabei bediente dort gar kein Italiener, sondern ein Indianer.
„Indianer“, flüsterte Babsi in ihr Heft und plötzlich erzählte der Bleistift wie von allein eine Geschichte.

Es war einmal ein kleines Indianermädchen, das hieß Wirbelnde Motte. Motte lebte mit ihrer Familie in einem Zelt und sammelte alles, was sie draußen so fand. Daraus baute sie ein Krankenhaus für die verletzten Ameisen und Käfer und einen Friedhof für die, die nicht mehr zu retten waren. Eines Tages hatte sie so viele Steine im Garten abgeladen, dass ihre Mutter darüber stolperte und sich den Fuß verknackste.
„Nicht weinen, Mama!“, sagte Motte. „Ich habe eine alte Eisenbahnschiene, damit mache ich dir einen Verband.“
Blöderweise fand sie aber die Schiene nicht, deshalb musste sich die Mama aufs Bärenfell legen. Drei Tage lang konnte sie nicht laufen und keine Hausarbeit machen außer Socken stopfen. Motte bastelte ihr aus einem Säbelzahntigerzahn eine wunderschöne Kette.
„Danke.“ Mama lächelte. „Aber eigentlich habe ich Hunger. Du musst uns etwas zu essen machen, Motte.“
Motte bestrich ein Stück Holz mit etwas Lehm und streute Gras darüber. „Schnittlauchbrot, Mama!“
Zum Glück kam später die Tante Bissige Bürste zu Besuch und brachte Blaubeerkuchen mit, sonst wären die beiden bestimmt verhungert.
Die Tante nahm den Besen und kehrte den Ameisenfriedhof und Mamas Kette vor das Zelt. „Ordnung ist das halbe Leben“, belehrte sie Motte.
„Dann will ich lieber die andere Hälfte“, antwortete die.


Obwohl die Schulglocke läutete, blieben Babsis Gedanken in Mottes Indianerwelt versunken. Das große Bleichgesicht Direktor hatte das Kriegsbeil ausgegraben. Babsi und Bekka mussten jetzt listig sein wie zwei Füchse, um nicht an seinem Marterpfahl zu landen.
Auf dem Weg in die Direktion hatte auch Bekka ein ganz bleiches Bleichgesicht. Also spielte Babsi die starke Indianerin, und obwohl ihr die Knie nicht minder schlotterten, klopfte sie ihrer Freundin eine Portion Mut auf die Schultern.
„Wir sagen am besten gar nichts.“ Bekka flüsterte. „Ich verrate dich bestimmt nicht.“
„Du sagst am besten gar nichts“, entschied Babsi. „Und ich sage die Wahrheit.“
„Die Wahrheit? Aber hast du denn keine Angst? Der Direktor will dann bestimmt mit deinen Eltern sprechen und du wirst eine Strafarbeit schreiben müssen.“

Den beiden Mädchen rutschten ihre Herzen in die Strumpfhosen, als sie das Büro betraten. Hier roch es nach dunklen Schränken und dicken Aktenordnern. Der Direktor musterte sie durch eine düstere Hornbrille.
„Nun, Barbara? Was möchtest du mir mitteilen?“
Nichts mochte sie mit ihm teilen, aber sie war ihm wohl eine Erklärung schuldig.

„Das Brot war von mir.“ Babsi schaute auf den Boden. „Ich hab es aber nicht gleich wieder erkannt, als Sie es hoch gehalten haben, drum hab ich nicht aufgezeigt. Der Apfel, der war auch von mir. Äpfel sind gut, wissen Sie, wegen der Mineralien und Vitaminstoffe. Die Bekka kann überhaupt nichts dafür, Herr Direktor. Sie wollte mir nur helfen. Fürs Helfen darf man niemanden bestrafen. Die anderen sind nicht schuld an meiner Schlamperei.“ Sie redete sich in Fahrt. „Es ist ungerecht, dass die gesamte Klasse den Aufsatz über die Ordnung schreiben musste. Ich war das. Ich ganz allein.“
Sie spürte Bekkas bewundernde Blicke.
„Barbara“, unterbrach der Direktor sie. „Eigentlich wollte ich dir jetzt gehörig den Kopf waschen. Du weißt, es ist nicht das erste Mal, dass ich deinetwegen Klagen vom Schulwart höre.“

Den Kopf waschen? Das hatte sie doch gestern erst getan, mit dem coolen Shampoo vom Papa, das so lecker nach Äpfeln roch. Oder hatte sie etwa wieder Läuse? Letztes Jahr durften sie eine Woche daheim bleiben, weil die halbe Klasse verlaust war. Babsi kratzte sich am Kopf.
Es war ja schön, dass damals die Schule ausfiel. Nicht so schön war allerdings, dass sie auch nicht zu Bekka durfte und dass Mama all ihre Stofftiere in die Tiefkühltruhe gesteckt hatte. Zum Glück war keines dabei erfroren.

„Aber ...“ Der Direktor fuhr fort und wollte ihr anscheinend doch nicht mehr die Haare waschen. „Ich muss gestehen, ich schätze deine Ehrlichkeit. Und deine Zivilcourage.“
Babsi blickte ihn verständnislos an. Was war das denn nun wieder? Jedenfalls schien es eine prima Entschuldigung zu sein, wenn man stinkende Käsebrote und schmutzige Socken herumliegen ließ, denn der Direktor entließ sie mit einer freundlichen Ermahnung.

„Puh!“, stöhnte Bekka draußen. „Hatte ich eine Angst! Super hast du das gemacht.“
Babsi grinste. „Jetzt wüsste ich nur zu gern, was diese Zwiebel-Kuh-Garage ist, von der unser Direx gefaselt hat.“
„Zivilcourage!“, quiekte Bekka vor Lachen. „Das ist, wenn einer sich was Tolles traut, obwohl er grässliche Angst hat.“

Menschenkennerin

Wir hatten einen Innenminister. Einen schwarzen Innenminister aus dem heiligen Land Tirol. Der wollte wieder zurück in die Berge. Schlimmer kann es nicht werden, haben viele – darunter auch ich – aufgeatmet.
Es konnte.
Die neue Innenministerin (in der Politik keine Neue mehr) hat laut überlegt, das Alter der Strafmündigkeit von 14 auf 13 Jahren herabzusetzen. (Das Alter für erlaubten Sex wollte sie irgendwann mal hinaufsetzen, übrigens.)

Nun wundert mich so eine Aussage von einer ÖVP-Hardlinerin überhaupt kein bisschen mehr Was mich allerdings gewundert hat, sind die vielen zustimmenden Reaktionen darauf im Online-Standard. Erst dachte ich ja, die BILD-Zeitung hat ein neues Layout, aber dann musste ich mit Schrecken erkennen, dass viele LeserInnen des Standards tatsächlich davon überzeugt sind, dass wir unsere Kinder mehr züchtigen, strafen und disziplinieren müssen. Dass 13jährige vor den/die RichterIn sollten. (Nun hab ich aber aufgrund meiner Erfahrung im Gefängnis und mit Gerichten nicht das Gefühl, dass die Menschen dort zu anständigen MitbügerInnen erzogen werden.) Dass es wieder Erziehungslager geben sollte, fordern die LeserInnen. Dass die Eltern gleich miteingesperrt werden sollten. Dass Familien mit Kindern, die einmal etwas gestohlen oder beschädigt haben, die Familienbeihilfe gestrichen werden sollte. Viele der intellektuellen LeserInnen trauern auch der gesunden Watschn nach.

Wenn man einfordert, dass diese Kinder nicht Strafen und Richter brauchen, sondern Respekt und Vorbilder, Toleranz und Liebe, dann wird man als naiver ahnungsloser Gutmensch abgekanzelt.

Das ist es, was mich immer und immer wieder erschüttert.

Da schreibt zum Beispiel eine Frau Eva Meyer:
wer kriminell ist, gehört bestraft,
unabhängig, wie alt er ist, früher gingen Jungs / Mädchen in eine Erziehungsanstalt, warum ist ihnen das heutzutage nicht mehr zuzumuten?


Ich hab geantwortet, „Damit aus den Kindern nicht solche intoleranten, hartherzigen, engstirnigen Geschöpfe werden wie Sie.“

Und nun outet sich Frau Eva Meyer als Menschenkennerin:

sagen sie einmal, haben sie
außer große Reden schwingen schon einmal etwas aus reiner Selbstlosigkeit heraus gemacht, etwas für die Allgemeinheit oder für jemanden, der außer sich selbst niemanden hatte etc.?
wenn nicht und so schätze ich sie ein, dann behalten sie ihre platten Sprüche doch für sich


Den Teufel werde ich tun.

Freitag, 11. Juli 2008

Rolle vorwärts

Nein. Ich turne neuerdings nicht. Ich bin schon beim Schreiben geblieben.
Heute abend war ich aufgeregter als vor meinen Lesungen. Dabei musste ich gar nichts tun, keine Stöckelschuhe anziehen, nichts in ein Mikro hauchen und nicht lesen. Nur dasitzen und zuhören und ich konnte nicht ins Geschehen eingreifen.

Heute war nämlich die Uraufführung meines Theaterstücks "Rolle vorwärts". Und die Jugendlichen (12 Stück an der Zahl, zwischen 11 und 16) haben nach einer Woche Schauspielworkshop so klasse gespielt, so witzig, berührend, authentisch, so leidenschaftlich und hinreißend, ich hab gelacht und hatte Tränen in den Augen und hab mich berühren lassen - und das, obwohl ich das Stück ja schon kannte.
Frau Dr. Blubb glänzte als Hans-Peter, und alle anderen glänzten auch. Vor allem aber meine Augen.


Ein Theaterstück über Jugendliche und ihre Lebenswelten

Für Emos, Krocha, Streber, Besserwisser, Schüchterne, Hexen, Normalos, Starke, Schwache und andere Menschen, die manchmal nicht wissen, wohin sie gehören und welche Rolle sie in ihrem Leben spielen.
Leicht und zugleich mit Tiefgang, voll Witz und Nachdenklichkeit, gerührt und geschüttelt. Mit vielen Fragen und wenig Antworten.
Wie das richtige Leben.



Besetzung

Jenny – Tussi, will gefallen, hätte gern einen Freund
Saskia – Emo, traurig
Jimmy - Krocha
Marcel, Jimmys Freund und Anhängsel
Alexandra, schüchtern, ungelenk, unsicher
Nici -Hip-Hop-Queen
Hans-Peter - Deutscher Globalisierungskritiker
Franziska – Klassenbeste, Streberin
Susi – Klassenfrechste, emanzipiert
Willi – Witzbold
Mona – Junghexe
Nilüfer – türkisches Mädchen
Silke - Schauspiellehrerin

Und für die, die es nicht gesehen haben (also die meisten von euch) stell ich das Stück jetzt einfach in seiner ganzen Länge herein. Falls es wen interessiert.


1. Akt

Jenny, Saskia und Franzsika sitzen auf den Stufen. Jenny frisiert sich, Saskia rotzt in ihr Taschentuch und Franziska liest.
Jenny: Habt ihr eigentlich schon mal?
Saskia: Nein, noch nie. Du, Franziska?
Franziska: Ein bisschen, in der Aula. Mit den Jungs aus der Vierten. Aber noch nie so richtig.
Saskia: Ich hab Angst. Was, wenn sie uns nicht mögen?
Jenny: Sie werden uns lieben. – Vielleicht.

Jimmy und Marcel betreten die Bühne

Jenny (bemalt sich die Lippen): Der Blonde ist echt süß.
Franziska (blickt aus ihrem Buch auf): Zu lang im Solarium gewesen. Die UV-Strahlen beschleunigen die Hautalterung und erhöhen das Krebsrisiko. (vertieft sich wieder in ihr Buch)
Saskia: Süß? Krocha sind nicht süß, sondern Menschen ohne Emotionen und Hirn. Krocha in L.E. (Anm. Langenzersdorf) Ich dachte, die gibt’s nur in der Stadt.
Jenny: (lächelt dem Blonden zu und klimpert mit den Wimpern)
Saskia: Bevor ich es mit einem von denen mach, schneid ich mich.

Abseits
Jimmy: Und? Kroch ma eine in de Hittn, Oida?
Marcel: Braq. Bist du deppert? Des hob i no nie gmocht.
Jimmy: Geh kumm, des wird sicha a Ur-Theater, Oida.
Marcel: Fix. Wer is’n auf de g'schissene Idee kumman?
Jimmy: Mei Oida, Oida. Der hod Angst, dass ma sunst fad wiad in d`Ferien. Mogst obeißen? (hält ihm den BigMac hin)

Nici und Susi biegen um die Ecke.
Susi: Ein bisschen mulmig ist mir schon zumute.
Nici: So ging es mir auch beim ersten Mal. Aber schon nach ein paar Minuten hat es angefangen Spaß zu machen.
(setzen sich zu den anderen Mädchen)

Mona bewegt sich suchend durch den Raum, setzt sich auf den Boden und murmelt:
Du mußt versteh'n!
Aus Eins mach Zehn,
Und Zwei laß geh'n,
Und Drei mach gleich,
So bist Du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex',
Mach Sieben und Acht,
So ist's vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmaleins!

Franziska: Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber...

Hans-Peter (tritt auf) Das ist noch lange nicht vorüber. Hi ihr. Ich bin der Hans-Peter.
Jimmy und Marcel: Sche für di.
Hans-Peter (zwinkert): Ihr wisst aber schon, dass McDonalds zur umweltschädlichen industriellen Fleischproduktion beiträgt und in aller Welt regionale Ernährungstraditionen bedroht?
Jimmy: Bam Oida.
Hans-Peter: Weißt du überhaupt, was das ist? (zupft ihn am Palästinenser-Tuch)
Jimmy: Na Krawattn is des kane, Oida. A Gschirrtiachl, a Pali-Schneizer.
Hans-Peter: Und, weißt du zufällig auch, woher das kommt?
Jimmy: Na aus Bali, Oida.
Hans-Peter (schüttelt den Kopf:) Ich fasse es nicht. Das Symbol des palästinensischen Befreiungskampfes kommt aus Bali. Alle Achtung.
Jimmy (geht auf Hans-Peter los): Jetzt huach amoi zua, Oida. I bin vielleicht a Prolo, owa solche Typen aus da Bessawissaszene hob i scho gfressen.
Marcel (hält Jimmy zurück:) Loss eam in Ruah, Ollabesta. Der is eh urgstroft mit seine Woidviertler Bock, Oida.
Willi (biegt im Roller um die Kurve, sieht Jimmy und Marcel) Oh! Krocha-Ausgang heute?
Marcel (zeigt ihm den Stinkefinger)
Willi: Was sagt ein Krocha, wenn er gegen einen Baum rennt?
Jenny, Saskia, Franziska (gleichzeitig und gelangweilt) Bam, Oida, des hot krocht.
Willi (geht auf die Mädels zu und hebt die Hand zum Raumschiff Enterprise-Gruß): Ich bin in friedlicher Mission auf diesem Planeten gelandet. Darf ich mich vorstellen? Captain Willi.

Alexandra tritt auf, geht unsicher auf und ab.
Jenny und Saskia stoßen sich in die Rippen und kichern.

Alexandra (wendet sich schüchtern an die Mädchen): Entschuldigung, ist hier der Theaterworkshop?
Susi: Was dachtest du? Ein Kindergeburtstag?
Franziska (schaut von ihrem Buch auf): Wann geht’s eigentlich los?
Hans-Peter: Vor zehn Minuten. Das ist wahrscheinlich die österreichische Gemütlichkeit.
Nici: Bleib locker, Piefke!
Franziska: Oh Gott!
Mona: Alle Götter sind ein Gott und alle Göttinnen eine Göttin.
Franziska: Wo bin ich hier gelandet? Auf einem Geheimtreffen von Psychiatriepatienten oder in einem Theaterworkshop?
Willi: Wo ist der Unterschied?
Nilüfer (kommt herein): Entschuldigt bitte die Verspätung. Bin ich die letzte?
Die anderen zucken die Schultern.
Jenny (drückt am Handy herum): Eine SMS von Silke.
Marcel: Who the hell ist Silke?
Jimmy: Na die Theatertrainings-Tussi. Die Bekannte vo mein Oidn.
Jenny (liest): STECKE IM STAU UND VERSPÄTE MICH. FANGT BITTE SCHON MAL AN. DER SCHLÜSSEL FÜR DEN PROBERAUM STECKT IM TOPF MIT DER TOMATENPFLANZE. ZUM AUFWÄRMEN STELLT SICH JEDE UND JEDER VON EUCH AUF DER BÜHNE VOR. WARUM SEID IHR HIER, WAS LIEBT IHR, WAS HASST IHR, WER SEID IHR?
Saskia (wischt sich eine Träne aus dem Auge und murmelt) Tja, wer bin ich? Wenn ich das wüsste, wär ich wahrscheinlich nicht hier.

Schweigen.

Jenny (schaut verzweifelt auf die vielen Blumentöpfe): Weiß irgendjemand von euch, wie eine Tomatenpflanze aussieht?
Alexandra leise: Ja, ich.
(wird ignoriert)
Mona (zuckt die Achseln): Paradeiser waren noch kein Thema in der Junghexenausbildung. Nur Angelikawurzeln und Wermutblätter.
Susi: Ey, sind Tomatenpflanzen nicht diese grünen Sträucher mit den roten, runden Früchten dran?
Nici (schnuppert an den unzähligen Pflanzen): Gras ist keins dabei. Schade.
Franziska: Die Tomate gehört zur Gattung der Nachtschattengewächse. Ursprünglich stammt sie aus Südamerika. Kolumbus hat sie 1498 nach Spanien gebracht.
Jimmy: Bam Oida, wos’d ned sogst.
(Franziska wendet sich beleidigt ab)
Alexandra nimmt den Schlüssel aus dem richtigen Topf und sperrt auf.



2. Akt

Jenny schaltet den CD-Player ein. Alle bewegen sich im Raum, betrachten die Kostüme und Accessoires, probieren dies und das aus. Irgendwann setzen sich die Jugendlichen einer nach dem andern im Halbkreis auf.
Nervöses Schweigen.

Mona (zieht mit Kreide einen Kreis um die Gruppe)
Hans-Peter: Was soll das werden? Der kaukasische Kreidekreis?
Mona: Ein Schutzkreis. Er bewirkt, dass die Energie im Kreis bleibt und nicht verpufft.

Hans-Peter: Also, wer fängt an mit Vorstellen?
Franziska: Ich schlage vor, wir gehen alphabetisch vor. Ist hier jemand, dessen Vorname mit A beginnt?
Alle nennen reihum ihren Namen, zuletzt Alexandra.
Alexandra (nervös) Ich ... ich... also ich ... heiße Alexandra. Aber meine Freunde ... ähm ... meine Eltern ... nennen mich Sascha.
Hans-Peter: Gut. Du fängst an, Alexandra. Die Bühne gehört dir.

Alexandra (schluckt, quält sich hoch und stellt sich unsicher auf die Bühne - spricht leise und schnell): Ich heiße Alexandra Tröstlinger. Ich bin hier, weil meine Therapeutin meint, Theaterspielen wäre gut gegen meine Schüchternheit. Ich mag Peter Alexander. Viele fremde Menschen mag ich nicht so. Danke.
(setzt sich wieder und schaut zu Boden)

Schweigen.
Susi (applaudiert als einzige) Ich fand das jetzt sehr mutig von dir, Alexandra.

Franziska (macht einen Knicks): Franziska. Ich bin hier, weil ich Literatur und Theater liebe, vor allem die deutschen Klassiker. Ich mag auch Mathematik, Chemie und Biologie.
Willi: Und wie hält sie’s mit der Religion? Der Physik, Geographie und Geschichte?
Franziska: Die mag ich auch. (setzt sich)

Hans-Peter (baut sich auf und wartet, bis alle still sind): Hans-Peter. Ich denke global und agiere lokal. Ich bin hier, um zu lernen, wie ich Menschen durch überzeugende Rhetorik und Körpersprache dazu gewinnen kann, sich für mehr Fairness in der Welt einzusetzen.

Jenny und Jimmy stehen gemeinsam auf und gehen auf die Bühne.
Jenny: Ich bin die Jenny.
Jimmy: Und ich der Jimmy.
Jenny (kokett): Ich steh auf blonde Jungs. Auf die Schule steh ich nicht.
Jimmy (verlegen) Ich mag Mädels, die Jungs wie mich mögen. Und ich mag Jumpstyle. (macht ein paar Schritte)

Marcel: Marcel Maier. (verbeugt sich) Ich bin da, weil der Jimmy hier ist. Wo Jimmy draufsteht, ist auch Marcel drin. Was ich mag? (kratzt sich am Kopf) Ich mag mein Ed Hardy –Kapperl, und Jumpstyle in der Nachtschicht mag ich auch. Die Schicht ist Pflicht. Und (wirft einen Blick auf Saskia) ich hasse Emos. (setzt sich)

Mona: Ich bin Mona. Ich liebe das Licht und das Dunkel, den Himmel und die Erde. Ich trage zwar keinen spitzen Hut und ich habe auch keine Warzen, aber ich bin eine Hexe. Unser Leitspruch lautet: Tu was Du willst, aber schade niemandem. Daran versuche ich mich zu halten.
Franziska: Hexen gibt’s doch nur im Märchen. Also ich glaub nicht an den Schmarrn.
Mona lächelt sanft: Tu was du willst, aber schade niemandem.
Nici rappt:
Ich bin ich, Lady Nici ist mein Name
was ich bestimmt nicht bin, das ist ne Dame
und schon gar nicht eine nette, anschmiegsame
Frau wie aus der Superweißwasch-Reklame

Ich hasse fette Kerle mit fetten Autos und fetten Villen
die in fetten Banken irgendwelche fetten Rollen spielen
nach dem Geldverdienen in den glattrasierten Gärten Grillwurst grillen
Alles was ich will, ist rappen, sprayen, feiern und chillen

Nilüfer: Ich bin Nilüfer.
Jimmy (klopft sich auf die Schenkel): Hallo Nil-Ufer.
Alle außer Marcel: Pssscht!
Nilüfer: Ich bin türkischstämmige Österreicherin. Mein Name hat nichts mit dem Ufer des Nil zu tun, sondern bedeutet Seerose. Warum ich hier bin? Weil mein Vater mich ohne Begleitung meines Bruders nur in die Bücherei oder einen Kurs gehen lässt.
Jimmy: Der wird scho wissen warum, Oida.
Nilüfer (lässt sich nicht aus der Ruhe bringen): Ich liebe Toleranz. Und ich hasse primitive Anmachsprüche.

Saskia: Mein Name ist Saskia. Ich mag die Dunkelheit und tiefe Emotionen. Vor allem mag ich die Traurigkeit. Sie ist so viel verlässlicher als das Glück. Hier bin ich, weil meine Mutter in ihrer Jugend Schauspielerin werden wollte. Geworden ist sie Finanzbeamtin.
Willi: Weiß eigentlich jemand, wie viele Emos man braucht, um eine Glühbirne reinzudrehen?
Marcel (klopft sich auf die Schenkel): Drei. Eine, die schraubt, eine, die ein Gedicht drüber schreibt, und eine, die heult.
Saskia (schreit): Das ist nicht wahr! Ich kann auch im Dunkeln heulen.
Nici: Du bist dran, Susi.

Susi: Ich bin Klassenfrechste, sagen die Lehrer. Dabei lass ich mir nur nichts gefallen. Von niemandem mehr. Ich mag Musik und Karate. Macker machen mich aggressiv.

Willi (ahmt Nici nach):
Ey, was die Nici kann, das kann ich auch.
Ich bin der Willi und steh oft auf dem Schlauch
Bin kein Krocha, kein Piefke, kein Emo, keine Hex
im Fernsehn schau ich gern den Kommissar Rex
Wenn ihr euch fragt, wie komm ich hier hin?
Ich bin da, weil ich ne Rampensau bin.

Alle lachen und applaudieren

Nici: Und jetzt? Wann kommt Silke nun eigentlich?
Jenny (schaut auf ihr Handy): Sie hat geschrieben. (liest) HATTE EINEN AUFFAHRUNFALL UND WARTE AUF DIE POLIZEI. TEILT EUCH IN DREI GRUPPEN (AM BESTEN MIT JEMANDEM, DEN IHR NOCH NICHT GUT KENNT) UND ERFÜLLT FOLGENDE AUFTRÄGE:...
Marcel: Supa. Jimmy, moch ma a Gruppn?
Jimmy: Bam, jetzt kennst mi imma no ned, Oida?
Jenny: Jimmy, willst du mit mir...?
Jimmy nickt
Franziska: Ich schlag vor, wir losen drei Leute aus, die ihre Gruppe wählen. Wie im Turnunterricht.
Hans-Peter (springt auf): Einspruch! Das geht überhaupt nicht.
Jimmy: Warum geht des net? Hot di friacha kana gwöhlt, Piefke?
Hans-Peter wendet sich ab.
Willi: Hans-Peter hat Recht, das geht nicht. Ich leide nämlich seit der Volksschule an einer chronischen und unheilbaren Form des weit verbreiteten Völker-Volley-und-Basketballmannschaftswähltraumas. (wendet sich ans Publikum) Gibt es hier noch mehr Patienten, die von dieser heimtückischen Krankheit betroffen sind?
(wartet die Reaktion aus dem Publikum ab) Na also.
Saskia: Wenn ich ehrlich bin, will ich auch nicht nicht gewählt werden.
Alexandra (nickt)
Franziska: (verschränkt die Arme vor dem Körper) Dann halt nicht.
Mona: Wir können doch auch ohne Wahl zueinanderfinden.

Alle außer Alexandra, Saskia und Hans Peter gehen durch den Raum (Musik)
Hans-Peter (selbstsicher) Ich suche nicht, ich lasse suchen.
Es finden sich zwei Gruppen.
Jenny, Jimmy, Nilüfer und Nici
Willi, Susi, Franziska und Mona
Als Marcel sich anschließen will, signalisieren sie ihm, dass die Gruppe vollständig ist.
Marcel bleibt nichts anderes übrig, als mit Alexandra, Saskia und Hans-Peter eine Gruppe zu bilden. Er stöhnt.
Alle gehen ab.


3. Akt – 1. Teil

Jenny, Jimmy, Nilüfer und Nici betreten.die Bühne.
Jenny: Wir sollen Szenen aus unserem Alltag als Oper singen. Und dabei nicht auf Gefühle und unseren Körper vergessen.
Jimmy: Mei Opa soi singan? Den sein Körper hob’n längst die Wirma gfressn.
Nici: Dürfen wir die Arien auch rappen?
(ab jetzt wird gesungen)
Nilüfer (singt zornig und theatralisch): Was seid ihr doch für Deppen! Jetzt reißt euch zusammen.
Jenny: Ich will mich nicht zusammenreißen.
Nilüfer: Was willst du dann?
Jenny: Wenn ich das nur wüsste! (denkt nach) Ha! Ich hab’s! Ich will einen Freund. Und ich will endlich Sex. Ich will doch nicht als Jungfrau sterben!
Jimmy: (wird nervös und rückt ein Stück ab) Mama mia. Die Schnalle ist noch Jungfrau! (wendet sich ans Publikum) Ich hab doch auch noch nie!
Nici: Ich will weg. Raus aus dem öden Kaff. Ich will frei wie der Wind sein. Ich will in den Süden, ans Meer, in die Sonne. In die Freiheit.
Nilüfer: Glaub mir, die Freiheit findest du nicht im Süden. Sie schwimmt nicht im Meer. Sie versteckt sich nicht hinter blendenden Sonnenstrahlen. Die Freiheit wohnt nicht am Strand!
Jimmy: In der Nachtschicht hab ich sie auch nicht gesehen.
Nici: Wo verdammt ist sie dann?
Nilüfer: Sie sitzt hier, in deinem Herzen. Und da,. in deinem Kopf.
Jenny: In meinem auch?
Nici: Na ja.
Finale der Oper
Jenny: Ich will gar nicht frei sein.
Jimmy: Was willlst du dann?

/: Jenny: Ich will geliebt werden. So wie ich bin.
Jimmy: Das will ich auch!
Nici: Und ich auch!
Nilüfer: Wer will das nicht? :/
(diese vier Zeilen gleichzeitig 3 x wiederholen)
Verbeugung. Gehen ab.

Jimmy (peinlich berührt) Bam Oida, so a Schas.
Saskia (ruft ihm zu): Ich fand das richtig gut. Du hast halt noch nicht den richtigen Zugang zu deinen Gefühlen. Aber das wird schon, Jimmy!



3. Akt – 2. Teil

Mona, Franziska, Susi und Willi gehen auf die Bühne
Mona: Also, hier ist unser Auftrag von Silke. (liest) Stellt euch vor, ihr seid eine Familie. Spielt eine Frühstücksszene in dieser Familie.
Susi: Was für eine Familie denn?
Franziska: Na eine ganz normale Familie halt.
Susi, Mona und Willi starren Franziska an. Gleichzeitig: Was bitte ist eine ganz normale Familie?
Franziska (doziert): Der Begriff Familie kommt vom lateinischen Wort familia – familiae, feminin. Soziologisch ist eine Familie eine durch Heirat und/oder Abstammung begründete Lebensgemeinschaft, im westlichen Kulturkreis meist aus Vater, Mutter und Kindern bestehend.
Willi: Meine Mutter lebt mit ihrer Freundin bei mir. Sind wir keine Familie? Oh Gott, (spielt den Entsetzten) wenn ich das geahnt hätte!
Mona: Aber natürlich seid ihr eine Familie. Ich hab eine Mutter, zwei Schwestern, eine Tante und eine Großmutter. Mein Vater hat sich angesichts der weiblichen Übermacht aus dem Staub gemacht. Bei uns herrscht das Matriarchat.
Susi (zählt mit den Fingern auf): Ich hab einen echten und einen unechten Vater, eine Mutter, eineinhalb Stiefmütter und zwei echte und drei halbechte Geschwister.
Willi: Cool!
Susi: Das ist meistens alles andere als cool. Jeder von denen will das Beste für mich. Aber keiner schnallt, dass ich am besten weiß, was für mich das Beste ist.
Pause
Willi: Und du, Franziska?
Franziska: Ich schäme mich fast. Ich hab eine ganz normale Familie: Einen Vater, eine Mutter und einen kleinen Bruder.
Willi: Glückwunsch! (schüttelt ihr die Hand) Darf ich ein Autogramm haben?
Franziska (nach einer Pause) Na ja, normal sind die aber alle nicht. Los, spielen wir.

Gemeinsam holen sie einen Tisch und vier Stühle.
Willi: Ich bin der Vater!
Franziska: Aber du hast doch gar keinen Vater, hast du gesagt.
Willi: Eben drum. (setzt sich und schlägt die Zeitung auf) Ist der Kaffee schon fertig?
Susi: Ja. Beim Mäckie, dort gibt’s ab sechs Uhr Frühstück. Ich hab es satt, dich zu bedienen.
Mona: Das ist gut, Mama. Sehr gut. (ins Publikum) Endlich wacht sie auf.
Willi: Diese Weiber immer mit ihrer Selbstverwirklichung. Glauben die vielleicht, ich verwirkliche mich selbst, wenn ich ganzen Tag im Büro am Computer sitze und ... und Raumschiffe abschieße? Geh, Franzi, Bub, mach du mir einen Kaffee. Ich kenn mich mit der neuen Espressomaschine nicht aus.
Susi: Die hast du mir vor fünf Jahren zum Muttertag geschenkt, gemeinsam mit dem Staubsauger. Völlig geschmacklos!
Franziska: Ich hab keine Zeit mehr. Heute ist Geographie-Schularbeit. Seismologie. Ich muss das Kapitel mit der Plattentektonik noch einmal durchgehen.
Mona: Wenn du einen Zweier kriegst, wäre das auch kein Erdbeben, Kleiner. Es gibt wichtigere Dinge zwischen Himmel und Erde als die Schule.
Franziska: Nämlich?
Mona: Die Macht des Mondes. Die Kraft der Kräuter. Die wilde Magie der Liebe.
Susi (seufzt) Ja, ja, die wilde Magie der Liebe. Wo ist sie nur hingekommen in all den Jahren?
Willi: Heute Abend wird’s spät. (ans Publikum) Ich muss mit meiner Flotte einen neuen Planeten erobern.
Mona und Franziska: Bussi und Baba. Der Bus kommt gleich. (gehen ab)
Susi: (hängt die Tasche um) Übrigens. Ich lasse mich scheiden.


Die vier sitzen im Halbkreis.
Willi: Woran liegt es, dass es kaum noch glückliche Familien gibt?
Susi: An den Männern. Willi streckt die Zunge raus. O.k., an den Frauen auch. An den Menschen halt.
Franziska: An den Erwartungen. Frustration ist lediglich die Differenz zwischen Erwartetem und Erreichtem.
Mona: Daran, dass wir keine Verbindung mehr zu den Göttinnen, dem Kosmos und den Seelen unserer Mitmenschen haben. Wir alle sind gemeinsam einsam.
(gehen ab)





3. Akt – 3. Teil

Alexandra, Saskia, Marcel, Hans-Peter gehen auf die Bühne
Hans-Peter: Und, wie lautet unsere Challenge?
Marcel: Was ist eine Challenge?
Alexandra (flüstert ihm zu): Eine Aufgabe ist das, eine Herausforderung.
Saskia (liest) Stellt euch einander gegenüber auf. Die Aufgabe lautet: Ich bin du und du bist ich.
Marcel und Saskia stehen einander gegenüber
Marcel: Des geht überhaupt ned. Mir san mir, owa i bin doch nie und nimmer du. I kann überhaupt ka Emo sei (krempelt die Ärmel hoch). Do schauts her, i bin jo ned amoi gritzt.
Saskia (wütend): Und ich kann kein Krocha sein. Mein Wortschatz umfasst nämlich mehr als fünf Wörter.
Alexandra: Könnten... könnten... könnten wir es nicht wenigstens versuchen? Wir sind doch hier um zu lernen. (unsicher) Oder?
Hans-Peter (nimmt Saskia den Zettel aus der Hand): Da steht noch etwas. Versetzt euch in die Rolle eures Gegenübers, nehmt seine/ihre Haltung ein, schlüpft in seinen/ihren Körper. Bewegt euch, ohne zu sprechen.
Marcel (spuckt auf den Boden) Glaubts, mir graust vo goa nix?
Alexandra (haut auf den Tisch): Jetzt reicht es aber mit Gehässigkeiten. Glaubt ... glaubt ... glaubt ihr, für mich ist es einfach, ein Großmaul zu spielen? (Pause) (zu Hans-Peter) Tschuldigung.
Alle staunen über den Ausbruch von Alexandra.
Hans-Peter (legt die Finger auf die Lippen): Psssst. Auch wenn mir Schweigen alles andere als leicht fällt.

Alle vier bewegen sich schweigend (zur Musik) auf der Bühne, jeweils einer im Vordergrund, wechseln sich ab. ApplausDie vier setzen sich auf den Boden.

Saskia: Und? Wie war ich? Also du?
Marcel: Ähm ... ähm ... es hat so gedrückt da. (fasst sich an die Brust)
Saskia: Ja, ich weiß. Es drückt so sehr, dass ich manchmal nicht mehr weiter weiß.
Marcel: Scheiße. (verlegene Pause) Und wie war es für dich in mir?
Saskia: Komisch. Ich hatte das Gefühl, ich bin nicht echt. Dass das eine Haut ist, die mir nicht passt.
Marcel (triumphierend): Du meinst, eine Nummer zu groß?
Saskia (schüttelt den Kopf) Nein, im Gegenteil. Zu eng. Viel zu eng. Ich hatte keinen Spielraum, keine Bewegungsfreiheit.
Marcel: Bam Oida, i oft a net.

Hans-Peter (zu Alexandra): Wie hat es sich angefühlt, die Schüchternheit abzulegen und ein toller Hecht zu sein, Alexandra?
Alexandra: Ich... ich.. ich hab mich mehr wie ein Goldfisch mit Hechtschuppen gefühlt. Es war anstrengend, jede Sekunde beweisen zu müssen, dass ich ein intellektueller und politisch korrekter Mensch bin. Ich hab meine ganze Kraft gebraucht, um meine Schwächen zu unterdrücken.
Hans-Peter (schluckt - verwundert) Welche Schwächen?
Alexandra: (lächelt)
Hans-Peter (lenkt ab). Also ich kam mit deiner Haltung nicht klar. Mit deiner Zurückhaltung. Ich halte dir vor, dass du zu wenig Halt hast, zu wenig Rückhalt. Wie hältst du das aus?
Alexandra: Schwer. Aber ich arbeite dran.
Nilüfer (von außen): Das hast du super gemacht, Alexandra.
Mona (kramt in ihrem Beutel) Ich kann dir später ein Elixier aus Blutzwurzeln und Sternanis brauen, Hans-Peter. Das stärkt dich von innen.

Die vier nehmen sich an der Hand und gehen ab.



4. Akt

Alle stehen verteilt im Raum mit dem Gesicht zum Publikum.

Mona geht zu Jimmy, stellt sich neben ihn und legt die Hand auf seine Schulter: Ich glaub, unter deiner großen Kappe versteckt sich ein großes Herz. Vielleicht nimmst du das Kapperl ja mal ab, damit es zum Vorschein kommt.
Jimmy zu Hans-Peter: Irgendwia bist eh ur-leiwand, Großgoscherter.
Hans-Peter zu Jenny: Geiler Lippenstift, Jenny. Du bist nicht die einzige, die gern geliebt werden mag. Sogar ich will das.
Jenny zu Alexandra: Ich find dein Stottern irgendwie rührend. Und du weißt wenigstens, wann man besser den Mund hält.
Alexandra zu Susi: Am Anfang hab ich mich ein bissl gefürchtet vor deiner Schlagfertigkeit. Aber ich glaub, dahinter steckt ein verletzlicher Mensch.
Susi zu Marcel: Ich versteh die Krochaphilosophie ja immer noch nicht. Aber ich find super, dass du dich eingelassen hast.
Marcel zu Nilüfer: Für eine Türkin bist du eh halbwegs gut drauf.
Nilüfer zu Willi. Was hältst du von einem Deal? Du gibst mir ein bisschen von deiner Leichtigkeit und ich dir etwas Tiefe?
Willi zu Nici: Du rappst echt besser als ich. Gibst du auch Kurse?
Nici zu Saskia: Versuch es mal mit reden statt heulen. Wenn du möchtest, hör ich dir zu.
Saskia zu Franziska: Du bist auch wertvoll, wenn du einmal etwas nicht weißt, weißt du? Schwächen machen einen manchmal auch liebenswürdig.
Franziska zu Mona: Ich würde gern mal an einem Junghexentreffen teilnehmen. Darf ich? Tun, was man will und niemandem schaden, das klingt nämlich gut.

Silke (stürmt atemlos zur Tür herein): Entschuldigt bitte die Verspätung. Habt ihr meine Nachrichten bekommen?
Nicken
Silke: Habt ihr schon angefangen? Habt ihr euch kennengelernt und aufgewärmt? Erzählt mal, was ist bisher geschehen?
Alexandra: Ähm ... na ja ...
Jimmy: Nix is gschegn.
Saskia: Und gleichzeitig alles.
Willi: Ja, so kann man das zusammenfassen
Silke ans Publikum:
So sehen wir betroffen
den Vorhang zu und alle Fragen offen.


Alle gemeinsam „Du bist nicht allein“
(nach der Melodie von „With a little help“)

Nici: Wie weit muss man geh’n um die Freiheit zu seh’n?
Bis zum Meer und ans Ende der Welt?
Nilüfer: Lauf nicht davon, denn du musst erst versteh’n,
Nur die Freiheit in dir selber zählt.

Saskia, Alexandra, Susi, Mona
Oh, wenn du willst bist du nicht allein,
Mmm, ruf nur an und du bist nicht allein,
Hey, wenn du willst bist du nie allein

Jenny: Bin ich so geil, dass die Jungs auf mich steh’n?
Hans Peter: Wär das schlimm, wenn es nicht so wär?
Jenny: Das Leben ist leichter so blond, schlank und schön.
Hans Peter: Aber auch Britney Spears hat es schwer.

Saskia, Alexandra, Susi, Mona
Oh, wenn du willst bist du nicht allein,
Mmm, ruf nur an und du bist nicht allein,
Hey, wenn du willst bist du nie allein.

Refrain:
Jimmy: Wüst so sei wia de Aundern?
Marcel: I wü nua i sei, no na!
Jimmy: Anders ois olle ’Ander’n?
Marcel: Daun warat i ziemlich allaa!

Franziska: Habt ihr gemerkt? Ich bin klüger als ihr!
Willi: Leider nein, dazu sind wir zu dumm.
Franziska: Ich hör ja schon auf, seid nicht böse mit mir.
Willi: Aber nein, wir nehmen’s dir nicht krumm.

Saskia, Alexandra, Susi, Mona
Oh, wenn du willst bist du nicht allein,
Mmm, ruf nur an und du bist nicht allein,
Hey, wenn du willst bist du nie allein.

Refrain
Jimmy: Wüst so sei wia de Aundern?
Marcel: I wü nua i sei, no na!
Jimmy: Anders ois olle ’Ander’n?
Marcel: Daun warat i ziemlich allaa!

Alle
Oh, wenn du willst bist du nicht allein,
Mmm, ruf nur an und du bist nicht allein,
Hey, wenn du willst bist du nie allein.



The End

Montag, 7. Juli 2008

Zehn schöne Zehen

„Aufgrund eines defekten Triebwerks wird der Zug sich um etwa fünfzig Minuten verspäten.“
Na super, denkt sie, wenn ich mich jedes Mal verspäten würde, nur weil ich einen Schaden habe. Sie vermeidet es, die Frau ihr gegenüber anzusehen, denn sobald diese einen Blik von ihr erhascht, legt sie los und versucht, sie in ihr Gespräch einzuwickeln. Ob die sich wohl öfter verspätet?
Demonstrativ schaut sie in die andere Richtung. Ein Kugelschreiber steckt im Halsausschnitt eines T-Shirts. Das T-Shirt steckt in einem grauen Sweater. Ein Arsch steckt in bermudabeigen Cargohosen. Der Typ hat schöne Waden. An den schönen Waden hängen Füße. Die Füße stecken in ... in nichts.
„Sie möchten mich bestimmt auf einen Kaffee einladen“, würde sie gern souverän lächelnd sagen, aber sie hat Angst, dass die schönen Waden mit den schönen Füßen erstaunt sagen könnten: „Wer ich? Nein. Ich bestimmt nicht.“. An den schönen Fßen sind schöne Zehen dran.
Zehen sagen viel über den Charakter eines Menschen aus, denkt sie. Knorrig knöcherne Zehen sind ein Hinweis auf kleinliche, geizige Männer. Sie kann geizige Männer nicht ausstehen. Auch keine Männer, bei denen die zweite Zehe die große um Längen überragt. Wäre das so gewollt gewesen, hätte die große Zehe schließlich nicht ihren Namen. Bei solchen Männern ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten, physisch wie psychisch.
Bei ihm nicht. Bei ihm ist nichts aus dem Gleichgewicht geraten, das sieht sie an seinen Zehen.

„Können Sie den Elektriker schicken?“, bittet die Frau ihr gegenüber die Zugbegleiterin und reißt sie aus ihren Schönezehengedanken, „die elektrische Reserviert-Anzeige ist defekt.“
Die Frau trägt Socken, zum Glück.

Auf seiner Nase sitzt eine Brille und die Brille steht ihm gut. Sie passt zu den Zehen, denkt sie. Die Brille verleiht ihm einen Hauch erotischen Intellekt und eine Prise maskuliner Souveränität. Dazu gesellt sich eine Handvoll Lässigkeit, als er sich mit der Hand übers Kinn streicht. Eine unbemühte Lässigkeit. Bestimmt bemüht er sich sehr, diese unbemühte Lässigkeit zu wahren.

„Was ist jetzt verdammt noch mal mit dem Kaffeee?“, möchte sie schreien, aber sie schreit nicht. Sie flüstert nicht mal, ihre Worte hocken zitternd auf den Lippen und trauen sich nicht zu springen. „Raus mit euch, oder ich schlucke euch hinunter!“, droht sie, doch die Worte lassen sich nicht ausschüchtern und beeindrucken und bleiben wo sie sind.

Sie erinnert sich an ihre letzte Therapiestunde. Was wäre das Schlimmste, das passieren könnte, wenn sie ihn fragte, fragt sie sich. Der Geschäftsmann neben ihm würde kurz von seinem Laptop hoch blicken und sich wieder auf die Riskikominimierung konzentrieren. Die Frau gegenüber, längst in die Lade „psychisch krank“ gesteckt, würde nach dem Installateur rufen. Die schönen Zehen würden im schlimmsten Fall „Danke nein“ sagen. Aber sie sagen nichts. Weil sie nicht fragt. Aus Angst vor der Ablehnung. Die hat es sich seit ihrer Kindheit in ihrem Körper bequem gemacht.

Watzlawick würde unserer Protagonistin vermutlich die Worte: „Stecken Sie sich ihren Kaffee doch einfach in den Arsch!“ in den Mund legen.

Oh. Die schönen Zehen haben eben gemerkt, dass sie beobachtet werden, aber sie tun, als würden sie keine Ahnung davon haben. Er bläst Luft aus seinem Mund. (Das bringt sie auf vesaute Gedanken.) Wahrscheinlich braucht es viel Anstrenung, zu signalisieren, dass man sich unbeobachtet fühlt, während man genau merkt, dass man beobachtet wrid.

„Einen Kaffee?“, fragt die Zugbegleiterin.
Sie – also nicht die Zugbegleiterin – lässt die Augen böse funkeln. „Was hat sie, das ich nicht habe?“, denkt sie. „Außer Kaffee?“

Die Frau gegenüber ruft nach dem Fliesenleger.
Er lächelt. Das Lächeln gilt ihr, nicht der Schwachsinnigen ihr gegenüber. Wer von uns beiden wohl schwachsinniger ist, überlegt sie.

Die schönen Zehen mit dem schönen Mann dran mit der schönen Brille drauf stehen auf. Gleich werden sie aussteigen, auf dem Bahnsteig seine Frau küssen und ihr auf den Arsch greifen. Die Frau der schönen Zehen – selbst gestraft mit geizig verkümmerten verbogenen und verlogenen Zehen wird „Wie war die Fahrt?“ murmeln und er „geht so“ antworten.

Ihr Herz klopft. Jetzt oder nie. „Wissen Sie zufällig, wann ich einen Anschluss nach Mainz habe?“ Sie beißt sich auf die Lippen. Der blödeste Anmachspruch ihres Lebens war das.
„Erst morgen wieder“, lächelt er sie an.
„Wunderbar. Kann ich die Nacht bei ihnen verbringen?“, fragt sie grinsend.
Natürlich nicht. Sie schaut entsetzt und schreit: „Um Gottes Willen! Erst morgen!?“
Er lächelt noch immer. „War nur ein Scherz. Auf Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen. Ein schönes Leben noch.“

Über den versäumten Anschluss ärgert sie sich nicht. Nur über die versäumte Chance. Über zehn versäumte schöne Zehen.

Dienstag, 1. Juli 2008

Femmes Frontales bei den Nachbarn

Femmes Frontales (also Eleonore Petzel - Musik, Christine Mark - Schmuckdesign und ich) go Germany.

Freitag, den 4. Juli, 19:00
im Kneipenrestaurant SCHINDERHANNES
67822 Hengstbacherhof (St. Alban)

Wo immer das auch ist, ich werde da sein und lesen.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

Wie geht es unserer Testsiegerin?
Wie geht es unserer Testsiegerin?
Lo - 5. Feb, 17:25
Vielen Dank! Du findest...
Vielen Dank! Du findest mehr von mir auf facebook ;-)
testsiegerin - 30. Jan, 10:40
Kurschatten ' echt keinen...
auch wenn diese deine Kur schon im Juni...xx? war,...
kontor111 - 29. Jan, 09:13
zum entspannen...Angel...meint
wenn ich das nächste Mal im Bett liege, mich verzweifelt...
kontor111 - 29. Jan, 08:44
"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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