Die Liste - 14

Frank spürte kalten Schweiß in seinen Achselhöhlen und kompensierte den Drang, an seinen Fingernägeln zu knabbern, indem er stattdessen seine Unterlippe bearbeitete. „Natürlich. Vermutlich schläft sie gerade.“ Er stand auf und ging mit wackeligen Beinen zum Schlafzimmer. An der Tür stoppte er und drehte sich zur Ärztin um. „Also, denken Sie sich bitte nichts dabei, wenn sie wirres Zeug faselt. Sie weiß manchmal nicht, wo sie ist.“
Die Ärztin nickte verständnisvoll, und Frank warf einen besorgten Blick auf ihren Koffer. Was mochte da drin sein? Er hoffte, es möge sich nur um Listen handeln. Arzt-Listen.
Er öffnete die Tür einen Spalt weit und lugte ins Zimmer. Er atmete durch. Wie abgesprochen, lag seine Fake-Mama im Bett, das Gesicht der Wand zugedreht, die Decke bis zum Hals gezogen und stellte sich schlafend. Er ließ die Tür aufgleiten und bat die Ärztin, einzutreten. Sein Herz klopfte so stark, dass er meinte, sein Hawaii-Hemd würde sich im Takt ausbeulen. Er wischte sich die nassen Hände an den Hosenbeinen ab und blieb wie angenagelt im Türrahmen stehen, während sich die Ärztin Latexhandschuhe überstreifte, einen Stuhl ans Bett stellte, den Koffer auf den Boden daneben. Sie lächelte ihn an. „Ich muss Sie bitten, mich ein paar Minuten mit Ihrer Mutter alleine zu lassen. Machen Sie sich keine Sorgen. Alles Routine.“

Mit einer Tasse Earl Grey setzte er sich an den Küchentisch. Diese Momente waren ihm nicht fremd. Manchmal überfielen sie ihn aus heiterem Himmel, manchmal aus konkretem Anlass, zum Beispiel wenn er in den Keller hinuntermusste, um Kartoffeln zu holen. Immer ging es um das Eine: die Grenze zur Panik auf gar keinen Fall zu überschreiten. Gegen die schlimmen Gedanken konnte er nichts machen, die kamen, wie es ihnen passte. ‚Heute kommt alles raus.‘ ‚Die Nachbarin macht einen Fehler.‘ ‚Die Ärztin hat Mama schon mal untersucht und sich einen ihrer Leberflecke gemerkt.‘ ‚Das Haus brennt ab, muss abgerissen werden, Mama purzelt aus der Mauer.‘ Usw.
Natürlich hatte er eine passwortgeschützte Liste mit allen möglichen Fällen, in denen Leichen eingemauert wurden. Das Internet war voll davon. Sogar E. A. Poes Schwarze Katze hatte er in der gruseligen Statistik festgehalten. Die Bilder von toten Menschen, ihre Gesichter mit Staub überzogen, in den Haaren kleine Zementbrocken, breiteten sich wie automatisch vor seinen Augen aus. Auch ein Schäferhund war dabei. Er kannte das. Und hatte mit den Jahren eine recht probate Abwehrstrategie entwickelt: eine Tasse Tee und die schlimmen Gedanken mit Gegen-Gedanken bekämpfen. Warum war das Netz voll mit Mauer-Toten (ob auch Leichen in die Berliner Mauer eingemauert waren?)? Weil die Idioten sich erwischen ließen. Mama würde nie im Internet auftauchen. Er hatte den guten Zement verwendet. Und wenn das Haus abbrannte, würde die Leiche mitverbrennen. Und überhaupt: Sie ist mir was schuldig. Und sei es auch nur das Pflegegeld. Moralisch bin ich auf der sicheren Seite, jedes Gericht der Welt würde das so sehen. Das Positive gewann allmählich die Überhand, die Panikattacke zog sich in ihr Häuschen zurück. Der Tee beruhigte ihn zusätzlich. Er schloss die Augen und brachte schon wieder ein Lächeln zustande.

Erst die Stimme der Ärztin riss ihn aus seinem meditativen Zustand.
„Herr Fodor?“
Er stand auf und musterte die Frau. „Alles in Ordnung?“, fragte er.
Sie zog sich die Gummihandschuhe aus, stopfte sie in ihre Jackentasche und reichte ihm die Hand. In der anderen trug sie den Koffer. „Alles in Ordnung. Sie bekommen dann alles schriftlich.“
Als er ihr die Hand gab, war ihre nass und warm. Bei der Begrüßung war sie warm und trocken gewesen.
Er wollte gerade die Haustür öffnen, als sein Name mit schriller Stimme aus dem Schlafzimmer gerufen wurde. „Frääänkiboy!“

Fortsetzung folgt

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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