Opus "ad libitum"

Wir spielen das Leben vom Blatt. Können den Kammerton nicht heimlich in der Tonkammer üben, sondern werden mit dem Auftakt augenblicklich auf die Bühne – und auf uns zurück – geworfen. Das Stück gönnt uns keine Generalprobe. Und doch ist dieses Spiel nichts anderes ein ein beständiges Üben. Wenn wir abtreten, unter viel Applaus am Ende oder ganz leise mitten im Satz, je nachdem, wie wir gelebt und geliebt haben, dann haben wir die Lektion gelernt. Vielleicht. Möge wenigstens der letzte Ton ein vollkommener sein.

Es steht unter einem guten Vorzeichen, mein Leben. Am Anfang drei gestrichene Ja. Doch wer Ja sagt, muss auch B sagen, und schon wird das Leben einen Halbton tiefer. Wieviel Her(t)z braucht das Glück?

Ich spiele routiniert und mit Unbefangenheit. Weil ich aber unkonzentriert bin, das Leben zu leicht nehme, zu wenig gut und nicht annähernd perfekt bin, bringen die Synkopen mich aus dem Takt. Ich versuche wieder hineinzufinden und meine Stimme zu halten.
Zu oft lasse ich das Leben den Rhythmus und das Tempo vorgeben. Alles Walzer. Manchmal bläst es mir den Marsch. Cha-cha-cha. Das ist nicht mein Stück, lege ich Noten und Metronom beiseite und horche auf die Töne in mir, sogar auf die leisen. Il tempo del cuore. Das Tempo des Herzens. Ich träume und lächle.
Aber mein Träumen und Lächeln ist zu langsam für die Bühne. Accelerando, feuert mich mein Dirigent an und klopft mit dem Taktstock auf das Pult. Crescendo. Du musst schneller lächeln. Lauter träumen.
Ich bin keine Dominante, seufze ich und gehorche. Wiederholung. Ich lehne mich zurück, treffe hin und wieder einen richtigen Ton, vertraue auf Vertrautes. Bei der dritten Wiederholung beginne ich mich zu langweilen. Schmiere heimlich ein paar verspielte, aufregende Kadenzen in meine Partitur, selbst auf die Gefahr hin, dass sie mich in Schwierigkeiten bringen. In meinem Enthusiasmus achte ich nicht auf die Dynamik und spiele zu laut und zu schräg. Ich vergesse auf die Pausenzeichen. Dabei machen gerade sie die Musik aus, wie die Zwischenräume den Lattenzaun. Ich nehme die anderen Musiker im Orchester wahr und vergreife mich augenblicklich im Ton. Die Terzen machen sich aus dem Staub, werden eingeholt von Dissonanzen.

Ich tauche ein in meine Musik, klimpere übermütig Triolen, fühle mich im Legato mit der Welt verbunden, streiche zärtlich über meine und deine Saiten. Die guten und die schlechten. Doch im nächsten Moment ist der Bogen überspannt und ich dem Zerreißen nahe.
Schwerkraft und Schwermut kommen in Moll und mit einem düsteren Grave. Und wieder setzt eine Fermate sich auf meinen Kummer und zwingt mich, ihn auszuhalten. Gönnt mir keine Luft zum Atemholen. Ich will aufhören, mein Instrument zur Seite legen und einfach dem Orchester lauschen ohne mitzuspielen, wenigstens ein bisschen. Eine Fuge mehr oder weniger, das fällt doch gar niemandem auf, sage ich, doch der Kritiker in mir ist erbarmungslos und peitscht mich weiter durchs Leben.

Ich weiß nicht, ob ich richtig liege. Ob ich zu hoch fliege oder zu tief lebe. Der Schlüssel, ich finde ihn nicht.

Trotzdem. Weiterüben. Da Capo al Muerte.
svashtara - 29. Mär, 20:42

WOW!
Ich kenne eine Menge Leute, denen dieser Text in Gänze das Leben erklären könnte. Wenn ich ihn, unter Nennung des Autorennamens selbstverständlich, an zwei von ihnen weiterreichen könnte... das wäre nett. Ich erreiche sie nämlich anders schon lange nicht mehr.

testsiegerin - 29. Mär, 20:58

selbstverständlich darfst du das.
svashtara - 29. Mär, 21:01

Dankeschön!
Ich lese ihnen das am Wochenende mal vor. Und sage dir dann natürlich, ob und was es gebracht hat. Sie sind, wie du dir denken kannst, nämlich Musiker... :-))
la-mamma - 29. Mär, 22:02

is ja schon fast fad -

aber wie üblich - großes kompliment!

testsiegerin - 30. Mär, 08:48

ach nein. gar nicht fad.
ich halt das aus ;-)
Uta-Traveller - 29. Mär, 22:51

Bravo ! Bravissimo !
Da kann ich nur applaudieren.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie du aus einem Bild so viel herausholst.

Spiel weiter, spiel auf jeden Fall weiter.

testsiegerin - 30. Mär, 08:47

hach, ich liebe applaus.
ich halt aber auch - entgegen anderslautenden gerüchten - kritik aus.
datja - 29. Mär, 22:59

wichtig

lob.
play it again.

testsiegerin - 30. Mär, 08:47

und du hör auch nicht auf zu spielen ;-)
Eugene Faust - 30. Mär, 15:19

ZUU-GAA-BEE, ZUU-GAA-BEE...


testsiegerin - 30. Mär, 23:55

*verbeugt sich*
danke.
Pseuspektive - 30. Mär, 19:26

Wie schön

Das musiziert mir aus der Seele sozusagen. Einfach schön. da capo

testsiegerin - 30. Mär, 23:55

und noch einmal danke.
Mr. Spott - 3. Apr, 01:27

Verstehe kein Wort,

aber natürlich den Inhalt der Geschichte. Halte das für sehr gelungen, wie du hier mit dem für mich unbekanntem Szenario (richtig so?) umgehst.
Als Nebeneffekt habe ich auch gleich ein paar Musikbegriffe zu verstehen gelernt.
Verzeiht mir meine (un)gebildete Meinung.

testsiegerin - 3. Apr, 08:29

natürlich verzeihe ich.
nicht jeder hat so wie ich eine blasmusik-karriere hinter sich. und drei mal je eine woche "jungbläserseminar" mit jeder menge theorie und praxis besucht.
danke für das lob.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

Web Counter-Modul


Briefverkehr mit einem Beamten
Erlebtes
Femmes frontales
Forschertagebuch
Gedanken
Gedichte
Geschichten
Glosse
In dreißig Tagen um die Welt
Kurzprosa
Lesungen
Menschen
Sex and the Country
Toll3ste Weiber
Vita
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter