Sonnenblumen und Rosmarin
Luzia erschrak, als sie den Briefumschlag mit dem Trauerrand aus dem Postkasten nahm. Erst als sie die Sonnenbrille abnahm, erkannte sie, dass der Rand nicht schwarz, sondern weinrot war. Was hatte das zu bedeuten?
Mit dem Zeigefinger riss sie noch im Stiegenhaus das Kuvert auf. Sie setzte sich auf die Stufen und strich das Blatt Papier glatt.
Ein Partezettel, ebenfalls mit dunkelroter Umrahmung und mit dem Namen ihrer Freundin drauf. Beate Schwimmer. Nein, bitte nicht. Lieber Gott,wenn es dich gibt, lass das nicht wahr sein. Das ging ja gar nicht, fiel ihr ein, ich hab doch heute Vormittag noch mit ihr telefoniert. Hatte sich jemand einen bösen Scherz erlaubt?
Anstatt des Kreuzes eine Sonnenblume. Rechts oben, wo für gewöhnlich die tröstlichen Worte standen, die die Angehören aus der Vorlagenmappe des Beerdigungsinstituts ausgewählt hatten, stand:
Non, je ne regrette rien. Rien de rien. (Edith Piaf).
Und für die, die kein französisch verstanden, die Übersetzung: Nein, ich bereue nichts.
Luzia zitterte und las. Atmete tief ein und erleichtert aus. Beate selbst lud zum Abschiedsfest. Am Samstag in zwei Wochen. Im Schlosspark. Abschied? Hatte sie vor, länger zu verreisen?
Liebe Freunde, liebe Verwandte, schrieb Beate,
ich hoffe, ich habe euch nicht erschreckt. Wenn doch, dann tut es mir leid. Es geht um folgendes: Ich werde sterben. Ich weiß, ihr werdet alle zu meinem Begräbnis kommen, um euch von mir zu verabschieden. Sogar du, Onkel Jeff, wirst aus Irland anreisen. Und du, Peter, aus Heidelberg. Es ist nur so: Ihr werdet einander dann zwar sehen, um mich weinen und euch über mich unterhalten, aber ich werde nicht dabei sein. Also dabei sein werde ich schon, aber ich werde nicht mitweinen können, nicht mitlachen. Nicht mitsaufen, obwohl Jeff diesen fantastischen irischen Whiskey mitgebracht haben wird.
Ich werde die salbungsvollen Worte des Pfarrers nicht hören, sondern ein paar Meter (six feet, oder?) unter der Erde anfangen zu vermodern.
Um die Worte des Pfarrers tut es mir nicht leid, der kennt mich ohnehin nicht, weil ich nie in der Kirche war. Aber ihr seid mir wichtig. Ich hätte euch so gern noch einmal alle hier bei mir. In meinen Armen, an meinem Tisch, in meiner Nähe. Zu meinem nächsten runden Geburtstag wärt ihr vielleicht auch alle gekommen, um ein halbes Jahrhundert Beate mit mir zu feiern, aber bis dahin sind es noch neun Jahre.
Ja, ich will, dass ihr mir die Blumen schenkt, so lange ich noch lebe. Ich will, dass ihr euch zu meinen Lebzeiten für mich schön macht.
Darf ich mir etwas wünschen von euch?
Also passt gut auf: Von dir Michaela und von dir Elisabeth, meine lieben Schwestern, wünsche ich mir, dass ihr euch spätestens bei meinem Abschiedsfest versöhnt. Legt endlich eure Sturheit ab und tut das, wonach ihr euch sehnt, dass es die andere tut. Schließt euch in die Arme und verzeiht einander.
Mit dir, Susanne, möchte ich zu Gloria von Patti Smith tanzen, vor dem Schlossbrunnen. Und du, Brigitte, kriegst du das bis zum übernächsten Samstag hin, es zu singen? Jesus died for somebody else, not for me ...
Das will ich so sehr.
Den Wein besorg ich selber, Uwe, sonst kommst du wieder mit diesem billigen, grausigen Fusel angetanzt. Tante Ingeborg, du bring bitte Nusstrudel mit, mit ganz viel Fülle und ganz wenig Teig. Du weißt ohnehin, wie ich ihn gern habe.
Von allen, die gerne möchten, besonders aber von dir, Luzia und von dir, Hermann, wünsche ich mir einen Nachruf. Einen richtig schön-schaurigen, witzigen, schwarzen, ehrlichen Nachruf. Einen, wo alle anderen zu heulen anfangen. Heißt ein Nachruf zu Lebzeiten überhaupt Nachruf? Na gut, eine Laudatio halt. Aber wer weder den Pulizter-Preis noch den Oscar verliehen bekommt, der kriegt halt normalerweise keine Laudatio.
Ach ja, noch eine letzte Bitte. Kein Wort über den Tod und meine Krankheit. Weder zu mir noch untereinander. (Ich weiß, das wird schwer für dich, Elli.) Ihr wisst, wie sehr ich es hasse, übers Kranksein zu reden.
Ich freu mich auf euch, meine Lieben.
Eure Beate
Luzia schluckte. Puh. War Beate übergeschnappt? War sie tatsächlich todkrank, obwohl sie aussah wie das blühende Leben? Warum wusste sie das als beste Freundin dann nicht? War etwa alles ein Scherz, und das mitten im Sommer? Man scherzte nicht mit dem Tod, dachte Luzia und hörte Beates unausgesprochene Antwort: Man vielleicht nicht, ich schon. Luzia griff nach ihrem Handy, legte es aber gleich wieder zur Seite. Wenn Beate betonte, sie wolle nicht über die Krankheit, welche auch immer, sprechen, dann meinte sie es auch so. Beate war die hartnäckigste Frau, die sie kannte. Und die konsequenteste. Dass sie einen schweren Hang zum Morbiden hatte, überraschte Luzia nicht wirklich.
„Alles in Ordnung?“, fragte der Nachbar, der sich an ihr vorbeischwindelte.
„Keine Ahnung.“
War es nicht eigentlich egal, warum Beate sich dieses Fest wünschte? Zählte nicht allein die Tatsache, dass sie das tat? Und hatte sie, Luzia ihr nicht ewige Freundschaft und Treue geschworen, damals, als sie am Waldbach einen Stausee gebaut hatten, vor tausend Jahren?
„Ich möchte einen Kranz bestellen“, sagte Luzia ein paar Tage später zum Blumendealer ihres Vertrauens.
„Mein Beileid“,kam es wie aus der Pistole geschossen, „wer ist denn gestorben?“
„Noch niemand.“ Mit verschränkten Armen signalisierte Luzia, dass sie keine Lust auf ein Schwätzchen hatte.
„Was darf es denn sein? Rosen? Lilien? Gerbera?“
„Sonnenblumen. Dazwischen Rosmarin, Salbei und Minze.“
„Ähm...“ Als er Luzias bestimmten und unnachgiebigen Blick sah (den hatte Beate ihr beigebracht) nickte er. „Marokkanische Minze oder Apfelminze?"
„Marokkanisch klingt gut. Und ein bisschen Gras.“ Er schaute sie fragend an und sie flüsterte verschwörerisch: „Marihuana, Sie wissen schon.“ Er lächelte und wusste.
Der Nachruf war beinahe fertig. Mehr als eine Woche lang hatte sie jede freie Minute daran herumgestrichen, hinzugefügt, ausgebessert, gefeilt. Und trotzdem würde er nicht gut genug sein. Nicht gut genug für Beate.
Was sollte sie anziehen? Bei einer Hochzeit durften die Gäste nicht schöner sein als die Braut. Galt das bei einer Trauerfeier auch? Aber Beate hatte ausdrücklich darum gebeten, sich schön zu machen. War schwarz angebracht? Oder gar weiß? Luzia entschied sich für ein knielanges, türkisfarbenes Sommerkleid. Das passte auch wunderbar zum Kranz, denn ihn zierte eine Schleife aus Seide, ebenfalls in türkis. Ich bereue auch nichts, stand mit sichtbaren, gestickten Goldbuchstaben darauf. Und mit unsichtbarer Tinte: Schon gar nicht, deine beste Freundin zu sein.
Die Sonne knallte vom Himmel und die Luft flirrte in der Hitze. Zum Glück spendete die riesige Rotbuche Schatten. Die Tische waren mit Köstlichkeiten gedeckt. Es gab Griechisches Zitronenhuhn mit Rosmarinkartoffeln, das hatte Onkel Paul in seinem Restaurant gekocht, und natürlich gab es auch all die anderen Lieblingsspeisen von Beate und ihren Freunden. Und zwei Meter Nussstrudel von Tante Ingeborg. Viel Fülle, wenig Hülle.
„Tschuldigung, darf ich ein bisschen Minze aus dem Kranz zupfen, für die Bowle?“, zwitscherte ihre Arbeitskollegin und auch der Kollege zupfte, rollte das Gezupfte in ein Paper und inhalierte.
Beate trug ein tief dekolletiertes, langes Leinenkleid in Sonnenblumengelb und war wunderschön.
„Dürfen wir wenigstens weinen?“, wollte ihr Ex-Mann wissen und sie drückte ihn an ihre Brust. „Vor fünfzehn Jahren hättest du heulen sollen“, schnappte sie, „da hätte ich vielleicht rechtzeitig gemerkt, dass du zu Emotionen fähig bist. Nimm dir noch ein Glas Chardonnay, ja?“, zwinkerte sie. „Aber pass auf, dass deine Frau das nicht merkt. Übrigens, hast du Michaela und Elisabeth gesehen?“
„Deine zerstrittenen Schwestern? Wahrscheinlich duellieren sie sich im Schlosshof!“
Brigitte sang eine Zwanzigminuten-Version von Gloria und trotz des lauen Abends bekamen die Gäste Gänsehaut. Bei den dreiundzwanzig Nachrufen, einer schöner und gefühlvoller als der andere, wurde geschluchzt, gelacht und gewiehert. Der allerschönste kam natürlich von Luzia. Er enthielt alle jugendlichen und gar nicht mehr jugendlichen Schandtaten, strich liebevoll über Beates Macken und Perversionen und endete mit „der liebenswertesten und altruistischsten Egoistin, die ich kenne.“
Jeder schenkte Beate etwas ganz Besonderes. Ein selbstgemaltes Bild, ein selbstgeschriebenes Gedicht, selbstgefädelte Ketten und selbstverfasste Liebeserklärungen.
Onkel Paul jonglierte mit fünf reifen Mangos, Gertrud steppte zu "Singing in the Rain" und Jeff öffnete die dritte Flasche Jameson Gold. Sláinte!
Trunken vor Glück und Alkohol lehnte Beate sich an Thomas, an der einen Hand hielt sie Stefan, an der anderen Georg. „Ich liebe euch alle“, lallte sie. „Und jetzt, wo ich auch weiß, wie sehr ihr mich liebt, werde ich mir das mit dem Sterben noch einmal überlegen.“
Die Leute verstummten und Patrizia legte die Gitarre zur Seite. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass jemand eines der verbotenen Wörter in den Mund genommen hatte.
„Auf’s Leben“, erhob Beate ihr Glas. „Prost.“
Als ihre beiden Schwestern gemeinsam und strahlend das Geschirr weggepackt und sich die letzten Gäste umarmungsreich verabschiedet hatten, nahm Luzia Beate an der Hand. „Lass uns im Mondschein spazierengehen.“ Sie wanderten am Schloss vorbei, am kleinen Teich, an den beiden Reiterstatuen. Sie rochen Wilden Jasmin, reife Himbeeren und die klare Nacht. Sie fühlten die Nähe der anderen.
Gerne hätte Luzia die Frage gestellt, die ihr die ganze Zeit durch den Kopf spukte, aber sie schluckte sie tapfer hinunter. Beinahe hätte sie vergessen, dass Beate verschluckte Gedanken lesen konnte, als diese mit klarer Stimme sagte: „Ja, ich muss sterben. Früher oder später. Wie du auch.“
Mit dem Zeigefinger riss sie noch im Stiegenhaus das Kuvert auf. Sie setzte sich auf die Stufen und strich das Blatt Papier glatt.
Ein Partezettel, ebenfalls mit dunkelroter Umrahmung und mit dem Namen ihrer Freundin drauf. Beate Schwimmer. Nein, bitte nicht. Lieber Gott,wenn es dich gibt, lass das nicht wahr sein. Das ging ja gar nicht, fiel ihr ein, ich hab doch heute Vormittag noch mit ihr telefoniert. Hatte sich jemand einen bösen Scherz erlaubt?
Anstatt des Kreuzes eine Sonnenblume. Rechts oben, wo für gewöhnlich die tröstlichen Worte standen, die die Angehören aus der Vorlagenmappe des Beerdigungsinstituts ausgewählt hatten, stand:
Non, je ne regrette rien. Rien de rien. (Edith Piaf).
Und für die, die kein französisch verstanden, die Übersetzung: Nein, ich bereue nichts.
Luzia zitterte und las. Atmete tief ein und erleichtert aus. Beate selbst lud zum Abschiedsfest. Am Samstag in zwei Wochen. Im Schlosspark. Abschied? Hatte sie vor, länger zu verreisen?
Liebe Freunde, liebe Verwandte, schrieb Beate,
ich hoffe, ich habe euch nicht erschreckt. Wenn doch, dann tut es mir leid. Es geht um folgendes: Ich werde sterben. Ich weiß, ihr werdet alle zu meinem Begräbnis kommen, um euch von mir zu verabschieden. Sogar du, Onkel Jeff, wirst aus Irland anreisen. Und du, Peter, aus Heidelberg. Es ist nur so: Ihr werdet einander dann zwar sehen, um mich weinen und euch über mich unterhalten, aber ich werde nicht dabei sein. Also dabei sein werde ich schon, aber ich werde nicht mitweinen können, nicht mitlachen. Nicht mitsaufen, obwohl Jeff diesen fantastischen irischen Whiskey mitgebracht haben wird.
Ich werde die salbungsvollen Worte des Pfarrers nicht hören, sondern ein paar Meter (six feet, oder?) unter der Erde anfangen zu vermodern.
Um die Worte des Pfarrers tut es mir nicht leid, der kennt mich ohnehin nicht, weil ich nie in der Kirche war. Aber ihr seid mir wichtig. Ich hätte euch so gern noch einmal alle hier bei mir. In meinen Armen, an meinem Tisch, in meiner Nähe. Zu meinem nächsten runden Geburtstag wärt ihr vielleicht auch alle gekommen, um ein halbes Jahrhundert Beate mit mir zu feiern, aber bis dahin sind es noch neun Jahre.
Ja, ich will, dass ihr mir die Blumen schenkt, so lange ich noch lebe. Ich will, dass ihr euch zu meinen Lebzeiten für mich schön macht.
Darf ich mir etwas wünschen von euch?
Also passt gut auf: Von dir Michaela und von dir Elisabeth, meine lieben Schwestern, wünsche ich mir, dass ihr euch spätestens bei meinem Abschiedsfest versöhnt. Legt endlich eure Sturheit ab und tut das, wonach ihr euch sehnt, dass es die andere tut. Schließt euch in die Arme und verzeiht einander.
Mit dir, Susanne, möchte ich zu Gloria von Patti Smith tanzen, vor dem Schlossbrunnen. Und du, Brigitte, kriegst du das bis zum übernächsten Samstag hin, es zu singen? Jesus died for somebody else, not for me ...
Das will ich so sehr.
Den Wein besorg ich selber, Uwe, sonst kommst du wieder mit diesem billigen, grausigen Fusel angetanzt. Tante Ingeborg, du bring bitte Nusstrudel mit, mit ganz viel Fülle und ganz wenig Teig. Du weißt ohnehin, wie ich ihn gern habe.
Von allen, die gerne möchten, besonders aber von dir, Luzia und von dir, Hermann, wünsche ich mir einen Nachruf. Einen richtig schön-schaurigen, witzigen, schwarzen, ehrlichen Nachruf. Einen, wo alle anderen zu heulen anfangen. Heißt ein Nachruf zu Lebzeiten überhaupt Nachruf? Na gut, eine Laudatio halt. Aber wer weder den Pulizter-Preis noch den Oscar verliehen bekommt, der kriegt halt normalerweise keine Laudatio.
Ach ja, noch eine letzte Bitte. Kein Wort über den Tod und meine Krankheit. Weder zu mir noch untereinander. (Ich weiß, das wird schwer für dich, Elli.) Ihr wisst, wie sehr ich es hasse, übers Kranksein zu reden.
Ich freu mich auf euch, meine Lieben.
Eure Beate
Luzia schluckte. Puh. War Beate übergeschnappt? War sie tatsächlich todkrank, obwohl sie aussah wie das blühende Leben? Warum wusste sie das als beste Freundin dann nicht? War etwa alles ein Scherz, und das mitten im Sommer? Man scherzte nicht mit dem Tod, dachte Luzia und hörte Beates unausgesprochene Antwort: Man vielleicht nicht, ich schon. Luzia griff nach ihrem Handy, legte es aber gleich wieder zur Seite. Wenn Beate betonte, sie wolle nicht über die Krankheit, welche auch immer, sprechen, dann meinte sie es auch so. Beate war die hartnäckigste Frau, die sie kannte. Und die konsequenteste. Dass sie einen schweren Hang zum Morbiden hatte, überraschte Luzia nicht wirklich.
„Alles in Ordnung?“, fragte der Nachbar, der sich an ihr vorbeischwindelte.
„Keine Ahnung.“
War es nicht eigentlich egal, warum Beate sich dieses Fest wünschte? Zählte nicht allein die Tatsache, dass sie das tat? Und hatte sie, Luzia ihr nicht ewige Freundschaft und Treue geschworen, damals, als sie am Waldbach einen Stausee gebaut hatten, vor tausend Jahren?
„Ich möchte einen Kranz bestellen“, sagte Luzia ein paar Tage später zum Blumendealer ihres Vertrauens.
„Mein Beileid“,kam es wie aus der Pistole geschossen, „wer ist denn gestorben?“
„Noch niemand.“ Mit verschränkten Armen signalisierte Luzia, dass sie keine Lust auf ein Schwätzchen hatte.
„Was darf es denn sein? Rosen? Lilien? Gerbera?“
„Sonnenblumen. Dazwischen Rosmarin, Salbei und Minze.“
„Ähm...“ Als er Luzias bestimmten und unnachgiebigen Blick sah (den hatte Beate ihr beigebracht) nickte er. „Marokkanische Minze oder Apfelminze?"
„Marokkanisch klingt gut. Und ein bisschen Gras.“ Er schaute sie fragend an und sie flüsterte verschwörerisch: „Marihuana, Sie wissen schon.“ Er lächelte und wusste.
Der Nachruf war beinahe fertig. Mehr als eine Woche lang hatte sie jede freie Minute daran herumgestrichen, hinzugefügt, ausgebessert, gefeilt. Und trotzdem würde er nicht gut genug sein. Nicht gut genug für Beate.
Was sollte sie anziehen? Bei einer Hochzeit durften die Gäste nicht schöner sein als die Braut. Galt das bei einer Trauerfeier auch? Aber Beate hatte ausdrücklich darum gebeten, sich schön zu machen. War schwarz angebracht? Oder gar weiß? Luzia entschied sich für ein knielanges, türkisfarbenes Sommerkleid. Das passte auch wunderbar zum Kranz, denn ihn zierte eine Schleife aus Seide, ebenfalls in türkis. Ich bereue auch nichts, stand mit sichtbaren, gestickten Goldbuchstaben darauf. Und mit unsichtbarer Tinte: Schon gar nicht, deine beste Freundin zu sein.
Die Sonne knallte vom Himmel und die Luft flirrte in der Hitze. Zum Glück spendete die riesige Rotbuche Schatten. Die Tische waren mit Köstlichkeiten gedeckt. Es gab Griechisches Zitronenhuhn mit Rosmarinkartoffeln, das hatte Onkel Paul in seinem Restaurant gekocht, und natürlich gab es auch all die anderen Lieblingsspeisen von Beate und ihren Freunden. Und zwei Meter Nussstrudel von Tante Ingeborg. Viel Fülle, wenig Hülle.
„Tschuldigung, darf ich ein bisschen Minze aus dem Kranz zupfen, für die Bowle?“, zwitscherte ihre Arbeitskollegin und auch der Kollege zupfte, rollte das Gezupfte in ein Paper und inhalierte.
Beate trug ein tief dekolletiertes, langes Leinenkleid in Sonnenblumengelb und war wunderschön.
„Dürfen wir wenigstens weinen?“, wollte ihr Ex-Mann wissen und sie drückte ihn an ihre Brust. „Vor fünfzehn Jahren hättest du heulen sollen“, schnappte sie, „da hätte ich vielleicht rechtzeitig gemerkt, dass du zu Emotionen fähig bist. Nimm dir noch ein Glas Chardonnay, ja?“, zwinkerte sie. „Aber pass auf, dass deine Frau das nicht merkt. Übrigens, hast du Michaela und Elisabeth gesehen?“
„Deine zerstrittenen Schwestern? Wahrscheinlich duellieren sie sich im Schlosshof!“
Brigitte sang eine Zwanzigminuten-Version von Gloria und trotz des lauen Abends bekamen die Gäste Gänsehaut. Bei den dreiundzwanzig Nachrufen, einer schöner und gefühlvoller als der andere, wurde geschluchzt, gelacht und gewiehert. Der allerschönste kam natürlich von Luzia. Er enthielt alle jugendlichen und gar nicht mehr jugendlichen Schandtaten, strich liebevoll über Beates Macken und Perversionen und endete mit „der liebenswertesten und altruistischsten Egoistin, die ich kenne.“
Jeder schenkte Beate etwas ganz Besonderes. Ein selbstgemaltes Bild, ein selbstgeschriebenes Gedicht, selbstgefädelte Ketten und selbstverfasste Liebeserklärungen.
Onkel Paul jonglierte mit fünf reifen Mangos, Gertrud steppte zu "Singing in the Rain" und Jeff öffnete die dritte Flasche Jameson Gold. Sláinte!
Trunken vor Glück und Alkohol lehnte Beate sich an Thomas, an der einen Hand hielt sie Stefan, an der anderen Georg. „Ich liebe euch alle“, lallte sie. „Und jetzt, wo ich auch weiß, wie sehr ihr mich liebt, werde ich mir das mit dem Sterben noch einmal überlegen.“
Die Leute verstummten und Patrizia legte die Gitarre zur Seite. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass jemand eines der verbotenen Wörter in den Mund genommen hatte.
„Auf’s Leben“, erhob Beate ihr Glas. „Prost.“
Als ihre beiden Schwestern gemeinsam und strahlend das Geschirr weggepackt und sich die letzten Gäste umarmungsreich verabschiedet hatten, nahm Luzia Beate an der Hand. „Lass uns im Mondschein spazierengehen.“ Sie wanderten am Schloss vorbei, am kleinen Teich, an den beiden Reiterstatuen. Sie rochen Wilden Jasmin, reife Himbeeren und die klare Nacht. Sie fühlten die Nähe der anderen.
Gerne hätte Luzia die Frage gestellt, die ihr die ganze Zeit durch den Kopf spukte, aber sie schluckte sie tapfer hinunter. Beinahe hätte sie vergessen, dass Beate verschluckte Gedanken lesen konnte, als diese mit klarer Stimme sagte: „Ja, ich muss sterben. Früher oder später. Wie du auch.“
testsiegerin - 26. Apr, 20:08
hab ich da was falsch gelesen
*
deine geschichte find ich aber trotzdem wahr und schön ...