Fehler.haft

„Warum lernen wir Geschichte?“, hat der Geschichtsprofessor am Beginn der ersten Stunde im Gymnasium gefragt. Und sich auch gleich selbst die erste Antwort zu geben. „Um aus ihr zu lernen.“

Nichts lernen wir aus der Geschichte, behaupte ich. Vor allem nicht aus ihren Fehlern.
Unser Gehirn ist nicht dazu programmiert, aus Fehlern zu lernen. Ein Einstellungsfehler vielleicht, aber die Evolution oder wer auch immer uns konzipiert hat, hat nichts aus diesem Fehler gelernt, sonst würden wir nämlich nicht die Umwelt kaputt machen und Kriege führen.
Würden Menschen aus Fehlern lernen, gäbe es keine gefährlichen Rückfallstäter. Sondern lauter liebe, sanfte Jungs, die geläutert säuseln: „Ich habe aus meinen Fehlern gelernt, die Zeit im Knast hat mir total gut getan und ich habe diese Zeit für Meditation und wichtige Erkenntnisse genutzt. Ich habe dort andere, ebenfalls großartige Menschen kennengelernt, die wie ich aus ihren Fehlern gelernt haben. Jetzt möchten wir das Gute und Gelernte auch an andere Menschen weitergeben und in Männerstrick- und Gesprächsrunden die anderen Menschen lehren, aus ihren Fehlern zu lernen. Und wenn sie es nicht kapieren, werden wir es ihnen mit ein wenig Nachdruck und einem kleinen bisschen Gewalt eintrichtern; so lange werden wir sie mit ihren Köpfen in die eigene Scheiße stecken, bis sie kapiert haben werden, dass Gewalt kein Lösungsmittel ist.“

Wie gesagt, unser Gehirn kann das gar nicht, aus Fehlern lernen. Bei Lob und Anerkennung wird unser Belohnungszentrum aktiviert, bei Fehlern das Angstzentrum.
Beim Chinesisch lernen, beim Autofahren, eigentlich immer und überall lernen wir durch Fehler nichts. Außer Angst davor zu haben, den Fehler zu wiederholen. Vor lauter Angst prägen sich die Fehler tief in uns ein. „Bitte keine Ampel“, sagt mein Kind, „da stürzt er mir jedes mal ab.“ Sie rollt auf die Ampel zu, der Motor stirbt ab.
Beim Mandarin lernen gibt es Worte, die ich mir partout nicht merken kann. Schon, wenn ich das chinesische Schriftzeichen sehe, bekomme ich Herzklopfen und weiß: „Scheiße, es wird wieder falsch sein.“ Qien 2. Falsch. Scheiß Angst vor dem Fehler. Angst vor dem Versagen. Angst davor, nicht geliebt zu werden. Von der Sprachlernmaschine, die es rot aufleuchten lässt, von den hupenden Autofahrern, dem Kritiker, dem Leben.

Jetzt halten Sie mich vielleicht für eine Heilige. Keine Sorge, die bin ich nicht.
Im Literaturforum, in dem ich früher geschrieben hab, habe ich es geliebt, die Fehler der anderen aufzudecken und habe den anderen Schreibenden meine Kritik wie ein eiskaltes, nasses Handtuch um die Ohren gefetzt. Ich bin auf den Feldern der frisch gepflanzten Gedichte und Geschichte durch die Furchen gewandert und hatte an allem etwas auszusetzen. „Hier, das Pflänzchen ist beinahe verdorrt, und das hier wächst schief, und das hier hat keine Überlebenschance, reiß es aus! Aus dir wird nie ein guter Landwirt“, hab ich gesagt und bin unachtsam auf sprießende Pflanzen draufgetreten, „aber vielleicht kannst du etwas anderes besser, vielleicht stricken oder singen oder Mistkübel ausleeren.“

Ungefragt weise ich andere Menschen auf ihre Fehler hin, vielleicht, um mich nicht mit meinen eigenen zu konfrontieren. Ungefragt sagen wir anderen Menschen, wie sie richtig Mandarin sprechen, Autofahren, Wortpflanzen säen oder leben.
Anstatt ihnen einfach zu sagen, was sie gut machen. Was wir wertschätzen. Welche Erfolge sie haben. Und dass wir sie lieben, auch wenn ihnen der Motor abstirbt. Schwächen schwächen. Stärken stärken. Deshalb sollten wir die Stärken unserer Mitmenschen stärken.

Keine einfache Übung. Ich werde Fehler machen dabei. Und vermutlich nichts aus ihnen lernen.
david ramirer - 25. Jul, 14:54

ich hab andere erfahrungen mit fehlern.

fehler sind etwa beim zeichnen lernen das täglich brot und man lernt sie irgendwann lieben.
angst vor ihnen zu haben ist sicherlich eine reaktion, und auch eine zivilisierte, weil die zivilisation fehler als bestrafungswürdig markiert hat. das nervt, und es ist sehr schwer im unterricht den schülern klar zu machen, dass der unterricht keinen sinn und wert hätte, wenn die schüler keine fehler machen würden...

ich habe, während ich malerei lernte und lehrte, irgendwann erkannt, das es auf den moment ankommt, in welchem wir die eigenen fehler selbst erkennen, denn dann kann man sie fruchtbar einsetzen. ganz los wird man sie ohnehin nie, was auch gut ist und daran liegt, dass fehlerfreie sachen restlos langweilig und vollkommen nutzlos sind - und das ist in der kunst ja keine kunst.


p.s.: "wir" lernen aus den fehlern nichts, also wir menschen - das ist absolut richtig. weil das "wir" kein funktionierendes gedächtnis hat und dümmer als ein schimmelpilz am planeten klebt.

testsiegerin - 25. Jul, 15:50

Da hast du sicher recht, ich glaub, die Angst hat ja nicht damit zu tun, ob wir Fehler machen, sondern welche Konsequenz uns aus diesen Fehlern droht. Und das ist eben oft Überheblichkeit, schlechte Noten, Liebesentzug, Hupen, Gefängnis... Wenn Fehler zu machen aber bedeuten dürfte, Erkenntnisse zu gewinnen, würde vermutlich das Angstzentrum nicht stimuliert, sondern die Neugier neugierig und offen bleiben.
david ramirer - 25. Jul, 15:53

du hast ja auch unbedingt recht: denn das angstzentrum zu neutralisieren wo es tatsächlich nichts verloren hat gehört zu den schwierigsten übungen: aber es lohnt sich!

;)
bonanzaMARGOT - 26. Jul, 12:45

fehler sind grundsätzlich menschlich und natürlich.
leider können manche fehler verhängnisvolle folgen haben.
und es gibt fehler, die wir alltäglich machen, ohne dass sie bemerkenswerte folgen haben.
dies ist zu unterscheiden.
in jedem fall sollte man einen menschen, der einen fehler machte, nicht allein lassen.
fehler sind manchmal gerade deswegen tragisch, weil man menschen allein mit ihrer verantwortung läßt. es ist leider so, dass menschen in manchen berufen über wohl und weh sowie leben und tod von menschen verantwortlich sind. wenn ein solcher mensch einen fehler macht, hat dies wesentlich schlimmere folgen, als wenn ich als schüler ein diktat oder sonstwas versaue.
oft passieren fehler aus überforderungen oder aus leichtsinn. menschen sind aber nie allein verantwortlich. das umfeld trägt immer eine mitverantwortung.
la-mamma - 25. Jul, 16:32

Das unterschreib ich alles, nur dass du anderen ihre Fehler jemals um die Ohren gehaut hast, glaub ich dir nicht;-)

testsiegerin - 25. Jul, 17:25

das war ja auch vor den toll3sten ;-) vielleicht hab ich doch auch gelernt?
la-mamma - 25. Jul, 21:12

hihi, es ist also der reinste selbstschutz, sich schon bei zartester kritik zu ... wer weiß, was sie da noch alles zurückhalten!;-)
katiza - 25. Jul, 17:04

Ich glaub das schon, dass ich aus meinen Fehlern etwas gelernt habe, was mir fehlt vielleicht am ehesten - Geduld oder Verständnis, die nötige Achtsamkeit im Augenblick. Was sind Fehler? Das falsche Wort, der abgestorbene Motor - sicher, wenn Sie isch das falsche Wort in den Nacken tätowieren ließen oder der Motor auf der Eisenbahnkreuzung abstirbt ...Ich lerne aus Fehlern, aus den eigenene, hoffe ich, manchmal, immer öfter ..zumindest hin und wieder. Und viele von ihnen machen mir Spaß, andere rauben mir auch nur Zeit...But I'm getting better...und überhaupt, bezaubernde toll3ste B. - mit all unseren Fehlern gilt für uns das Mae West Prinzip...

testsiegerin - 25. Jul, 17:24

Oh ja! Danke für den Link!
"I see a man in your life."
"Only one?"
HARFIM - 26. Jul, 17:59

ich verzeihe mir neuerdings jeden Abend die Fehler,

die ich tagsüber gemacht habe selbst, dazu braucht es keinen anderen, falte die Hände (allerdings nicht zum Gebet) und sage mir, vielleicht wirds morgen ja besser :-)

Außerdem habe ich Goethe verinnerlicht, der mal sagte: "Es ließe sich ein außerordentlicher Mensch denken, der Lust am eigenen Widerspruch hat."

testsiegerin - 26. Jul, 22:55

dankbar zu sein und verzeihen zu könnnen. das sind zwei wesentliche merkmale, die das glücklichsein erleichtern. wahrscheinlich ist das sich selbst verzeihen können die schwierigere der beiden übungen.
steppenhund - 26. Jul, 20:03

ein inspirierender Text

Also vorerst: die Aussage, dass wir aus der Geschichte nichts lernen, stimmt. Wobei das "wir" der springende Punkt ist.
Warum wir nichts lernen, ist leicht durch den Fehler des Geschichtsprofessors zu erklären. Sein Fehler ist, dass er lügt.
Sagte er: "Mich hat Geschichte interessiert und die einzige Möglichkeit, mit meinem Hobby Geld zu verdienen, ist Geschichte zu unterrichten." hätte er vielleicht so etwas wie eine Erfolgschance. (Habe selber sechs Jahre einen Geschichtsprofessor gehabt, der mich angeödet hat und die Lust daran verdorben hat. Danach gab es ein Jahr einen Professor, der packend vorgetragen hat und die Zusammenhänge richtig erklärt hat. Auf einmal habe ich aufgepasst.

Was sonst die Fehler angeht, sind sie ein wichtiger Bestandteil des Lebens. Sie sorgen dafür, dass wir den Lerninhalt wiederholen. Und irgendwann merken wir uns dann das Vokabel.
Sie sind wichtig, weil ich damit mein Geld verdiene. Und ich habe gutes Geld damit verdient, weil ich eine Methode entwickelt habe, wie man Leute auf Fehler hinweist, ohne sie persönlich zu beleidigen. (Ich kann das sehr gut, wenn mich jemand ärgert. Aber im Berufsleben ist es nicht angesagt.)
Und dann gibt es in meiner Branche (EDV) Fehler, die nicht von Menschen verursacht werden. Es gibt Fehler, die bereits mathematisch bedingt sind. Wir wünschen uns etwas und gleichzeitig auch das Gegenteil. Klar, dass es dann irgendwann krachen muss.

Aber Fehler sind etwas ziemlich Gutes. Sie zeigen uns, wo wir "etwas" oder uns selbst verbessern können. Und wenn wir unsere eigenen Fehler kennen, können wir sogar damit arbeiten, wenn wir etwas reifer geworden sind.

Ich könnte noch stundenlang weiterschreiben. Wie gesagt, es ist ein inspirierender Text.

testsiegerin - 26. Jul, 22:54

der geschichtsprofessor hat ja nicht gesagt: wir lernen aus der geschichte. sondern, wir lernen geschichte, um aus ihr zu lernen. da steckt für mich mehr hoffnung drin als lüge.

schön, dass ich dich mit meinen gedanken inspirieren konnte. ich erhebe keinen anspruch auf gültigkeit, es sind nur gedanken.
steppenhund - 26. Jul, 23:04

Die feine Unterscheidung zwischen "wir lernen aus der Geschichte" und "wir lernen Geschichte, um aus ihr zu lernen" entgeht mir.
Aber eigentlich ist für mich der Satz in beiden Formen unverständlich, denn wenn man sich mit Geschichte beschäftigt, wird man ja leicht feststellen, dass wir bisher nichts gelernt haben. Woran sollte sich dann eine Hoffnung orientieren.
Was wir vielleicht wirklich lernen können, ist die Tatsache, dass die menschliche Natur so konstante Wesenszüge aufweist. Und zwar die, die in einem früheren Beitrag als der Hang zu Todsünden beschrieben wurden.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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