Die Sachwalterin - der Betreuer

Den Text hab ich für die Lesung anlässlich der Tagung in Deutschland geschrieben. Für Uneingeweihte ist er wahrscheinlich schwer verständlich. Trotzdem.
Die dort mochten ihn.


„Und was machen Sie beruflich?“, fragt der freundliche Herr neben mir, nachdem wir die Themen Wetter, Politik und Flugzeugkost hinter uns gebracht haben.
„Ich bin Sachwalterin“, sage ich und denke: Warum bin ich nicht Floristin geworden, oder Automechanikerin? Jeder wüsste, was das ist und ich müsste mich nicht ständig erklären.
„Aha. Sachbearbeiterin. Welche Branche?“
Ich hab’s geahnt. „Keine Branche.“
Jetzt schaut er beleidigt.
„Nicht Sachbearbeiterin“, lenke ich versöhnlich ein, „Sachwalterin.“
„Oh. Sachverwalterin.“ Sein Blick verrät mir seine Ahnungslosigkeit. „Und was genau verwalten Sie?“
Ja, was verwalte ich eigentlich?
Menschen, denke ich. Ich verwalte Menschen. Und den Wahnsinn. Vor allem den. Ich achte darauf, dass er nicht über die Grenzbalken hüpft, um die Kreise derer, die nicht verrückt sind oder nur ein bisschen oder anders, so wenig wie möglich zu stören.
„Ich verwalte den Wahnsinn“, sage ich.
Er lächelt verlegen. „Ich verstehe“, lügen seine Lippen, aber seine Augen erzählen mir die Wahrheit. Nämlich die, dass er mich für verrückt hält.
Weil ich jemanden brauche, der nach der Landung meine schwere Tasche aus dem Gepäckfach hebt und ich ihn deshalb nicht vergrämen will, versuche ich es noch einmal.
„Um ehrlich zu sein, ich verwalte weder Sachen, noch den Wahnsinn.“
„Was dann?“
„Ich verwalte gar nichts. Ich bin Sachwalterin, nicht Sachverwalterin. Ich walte sach. Ähm... ich sachwalte... nun ja... Ich walte meiner Sache“, nicke ich und hoffe, dass er mit dieser Erklärung zufrieden ist. Ich bin es. Aber der Herr ist ein neugieriger und hartnäckiger Mensch. „Jetzt machen Sie es doch nicht so spannend. Welcher Sache walten Sie denn nun?“
Ich kratze mich am Kopf. „Puh, das ist nicht so einfach zu erklären. Viele Sachen, eigentlich. Ich arbeite bei VertretungsNetz.“
Jetzt kommen wir der Sache schon näher, verrät sein Lächeln. „Sie sind also Vertreterin.“
Na ja, fast richtig, wenn meine Kollegin auf Urlaub ist, dann vertrete ich sie. „Ja. So kann man sagen.“ Lassen Sie uns doch bitte das Thema wechseln, flehe ich leise.
„Warum sagen Sie das denn nicht gleich. Vertreterin zu sein ist ja keine Schande. Ich dachte schon, Sie wären Politikerin oder Polizistin oder etwas ähnlich Unanständiges. Sie vertreiben also Netze? Ich habe geglaubt, es gibt in Österreich gar kein Meer mehr?“
„Daran hat sich nichts vermutlich auch in der letzten halben Stunde nichts geändert. Wenn Sie mich bitte entschuldigen“, quetsche ich mich an ihm vorbei. „Ich muss kurz vertreten. Meine Füße.“
Er grinst. Die Deutschen sind leicht zu unterhalten.
Als ich zurückkomme, nehme ich einen neuen Anlauf. „Ich bin gesetzliche Vertreterin von psychisch kranken und geistig behinderten Menschen, die einzelne oder alle ihrer Angelegenheiten nicht regeln können, ohne dabei Schaden zu erleiden.“
Ich atme durch.
Er klopft sich freudig erregt auf die Oberschenkel. So hat noch keiner auf meinen Beruf reagiert. Vielleicht ist der Kerl neben mir ein bisschen pervers und ich bin in großer Gefahr. „Sie sind also Betreuerin!“, hellt sich sein Gesicht auf.
„Definitiv nicht. Ich betreue nicht, ich vertrete.“ So, Schluss mit lustig. Ich drehe den Spieß jetzt einfach um.
„Und wovon leben Sie?“
„Ich bin auch Betreuer.“
„Aber ich nicht, verdammt noch mal“, meine Geduld sprintet in die Zielgerade. „Ich habe einen Betreuer. Auf meiner Weinviertler Hausbank. Also jetzt nicht auf der alten Holzbank vor dem Haus, auf der ich mich von meiner anstrengenden Arbeit ausruhe, sondern auf der Sparkasse. Ein schwieriger Mensch, mein Betreuer. Er will ständig Geld von mir.“
Das scheint ihm vertraut. „Meine Klienten wollen auch immer Geld von mir.“
„Klienten? Ich dachte, Leute, die Sparbücher eröffnen oder Kredite aufnehmen, nennt man bei Ihnen Kunden? Oder Patienten.“
„Ich bin ja kein Bankbetreuer.“
„Fußballschülerliga? Na, da sitzen Sie wahrscheinlich auch oft auf der Bank. Auf der Betreuerbank.“ Obwohl, betrachte ich ihn von der Seite, für den Job hat er eigentlich ein paar Schwimmreifen zu viel. „Seniorenbetreuer?“ Die Alten laufen wenigstens nicht mehr so schnell.
„Ein Betreuer“, stöhnt er jetzt, ein wenig gereizt, „ist ein gesetzlicher Vertreter von Volljährigen, die für ihre eigenen Angelegenheiten nicht sorgen können.“
Jetzt reicht es mir. „Auf Wiedersehen. Verarschen kann ich mich auch alleine. Und mein Gepäck krieg ich schon irgendwie runter.“
steppenhund - 26. Mai, 01:07

Da habe ich doch jetzt echt lachen müssen. Als Geschichte ist der Beitrag nicht gut, (meine bescheidene Meinung) das gehört noch stilistisch aufgearbeitet. Aber vom Erlebnis her und von der Pointe gibt die Erzählung viel her. Und wie sagt es Karl Krauss so schön: Es gibt nichts, was uns Österreicher von den Deutschen mehr trennt als unsere gemeinsame Sprache.
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Da steckt noch viel drinnen. Aber ich glaube, (meine bescheidene Meinung) dass da noch mindestens eine Überarbeitung notwendig ist. Die Geschichte ist einfach zu gut:)

testsiegerin - 26. Mai, 09:12

danke fürs feedback. ja, vielleicht mach ich mir die mühe noch und überarbeite sie. du hast recht, da kann man (= ich) noch mehr rausholen.
bei dieser lesung war es halt ein guter einstieg, weil die deutschen betreuer ja oft genug darunter leiden, dass sie betreuer heißen. und weil bei uns - auch fünfundzwanzig jahre nach einführung des sachwalterrechts - keine sau weiß, was ein sachwalter ist.
becksi (Gast) - 26. Mai, 07:54

So ist das halt mit den Feinheiten der deutschen Sprache und wie etwas definiert wird. Da braucht man sich eigentlich nicht zu wundern, dass sich selbst gleichsprachige Menschen kaum bis gar nicht verstehen.....

testsiegerin - 26. Mai, 09:13

ich finds immer spannend in deutschland, weil einem erst dann die unterschiede so richtig bewusst werden.
und das mit dem verstehen, das haut sowieso nicht hin. zumindest nicht zwischen männern und frauen ;-)
Jossele - 26. Mai, 12:29

Ja, ja, die SachwalterInnen...
Hat ja meine Frau einiges damit zu tun (klinische Psychologin am Rosenhügel). Von SachwalterInnen erwartet man Kenntnis in allem und jedem...

Der Text ist vortrefflich, die Berufsbezeichnung amtsösterreichisch verzopft, aber irgendwie lieblich an Herzmanovsky-Orlando erinnernd. Am Amt ist der Mensch halt eine Sache ;-)

steppenhund - 26. Mai, 12:59

Nicht nur am Amt. Bei einer großen Firma, bei der ich gearbeitet habe, (und das ist kein Einzelfall) wurden die externen Mitarbeiter mit dem gleichen Programm verwaltet, mit dem Schreibtische und Telefonanschlüsse erfasst wurden, während die internen Mitarbeiter sich der Administration durch den SAP-HR-Modul erfreuen durften, der doch ein bisschen mehr den Menschen in den Vordergrund stellt.
walküre - 26. Mai, 16:01

1. Aufgrund meiner Familiengeschichte habe ich sehr wohl auch schon früher gewusst, was ein/e Sachwalter/in macht.
2. Die deutsche Bezeichnung ist aber tatsächlich in ihrer Schlichtheit sehr missverständlich.
3. Ich mag den Text auch in unbehauenem Zustand. :-)

testsiegerin - 26. Mai, 22:21

1. Ja, es soll eine Handvoll Leute geben, die das Wort schon mal gehört haben.

2. Allerdings. Die deutschen Betreuer jammern auch darüber und sagen: Ihr habt es gut!

3. Danke.
bonanzaMARGOT - 26. Mai, 18:37

mamma mia. du kommst ja ganz schön rum. ich überlege gerade, ob ich eifersüchtig bin ... oder nicht. teils teils. immerhin hast du als autorin was erreicht, ich meine, also, was errreicht, sozusagen, nicht nur internet, sondern auf diesem anderen level, also da, wo vorgelesen wird, tagungen stattfinden, hörbar applaudiert wird ...
bin ich neidisch, eifersüchtig? ja, teils teils. aber dann teils wieder gar nicht. mein feeling ist einfach zu "hart".
kann sein, barbara, dass du mir damals in der leselupe aufgrund deiner arroganz und deines ehrgeizes auf den keks gingst - auf solche leute reagiere ich sowieso allergisch - komischerweise finde ich dich heute sympathischer und gereift wieder.
reibungspunkte sehe ich noch genug. was auch schön ist. du weißt, ich streite gern - aber ohne zu viel ärger oder gar haß aufzubauen ...; drum, also drum ... weiß ich kaum noch was von unseren damaligen auseinandersetzungen.
danke, dass du auch nicht unbedingt nachtragend bist. obwohl da ja bei dir wohl eher noch resentiments übrig blieben (?)

testsiegerin - 26. Mai, 22:20

Ja, lächelnd sitze ich da und lese und erinnere mich an die zeiten von damals. nein, ressentiments sind keine übrig geblieben, aber ich erinnere mich, dass es mir damals ganz schön weh getan hat, so angegriffen worden zu sein. weil ich auch gar nicht wirklich wusste, wofür.

ja, ich glaub auch, dass ich reifer geworden bin, als mensch und als autorin. vielleicht auch sicherer und gelassener.
als arrogant erlebe ich mich selbst eigentlich überhaupt nicht, da bin ich viel zu demütig dem leben und den menschen gegenüber, arrogant bedeutet für mich irgendwie auch überheblich, ich (er)hebe mich aber nicht über andere menschen. mag aber sein, dass ich manchmal so wirke, wenn ich versuche, meine unsicherheit zu verdecken und verstecken.

ich weiß nicht mal, ob ich ehrgeizig bin, das mit den lesungen, das ergibt sich irgendwie so, da hört mich jemand, der empfiehlt mich weiter und so weiter und so fort.
irgendwie macht die bühne süchtig, und die zuneigung und das feedback der zuhörer. und es macht mich einfach unendlich glücklich, wenn ich spür, dass ich mit meinen texten (auch wenn sie oft ungeschliffen, hingerotzt, makelhaft sind) jemanden berühre. darum gehts wohl im leben, oder? menschen zu berühren. mit händen, hirn, herz, haut, womit auch immer. ums angreifen.

und letztendlich haben wir beide einander auch angegriffen. das konnte ich damals nicht so sehen, da war ich dünnhäutig, beleidigt, wehleidig.
das alles bin ich immer noch, aber jetzt leide ich nicht mehr so darunter, sondern nehme an, dass das halt zu mir gehört und ich wahrscheinlich mit achtzig auch noch dünnhäutig, beleidigt, wehleidig sein werde.

mir wird niemals eine hornhaut auf der seele oder was immer das da drin auch ist, wachsen.
warum breit ich sie hier eigentlich aus wie einen fliegenden teppich? vielleicht weil ich drauf vertraue, dass niemand drauf herumtrampelt, sondern ihn die leute mit sanften schritten überqueren.
bonanzaMARGOT - 27. Mai, 11:52

wenigstens hast du keine bleibenden schäden davon getragen - was mich beruhigt.
genau genommen, weiß ich gar nicht, was mir bei dir damals auf den senkel ging. da ergab oft ein wort das andere. außerdem war viel provokation, um ein bißchen leben ins forum zu bringen und nicht vor langeweile einzuschlafen.
so schlecht schreibst du ja gar nicht (lach!).
viele deiner kleinen geschichten machen spaß, weil sie lebensnah und mit einer portion ironie gewürzt geschrieben sind.

und dafür sind wir menschen, dass wir uns von zuspruch und lob geehrt und ermuntert fühlen.
so soll es sein.
ich wünsche dir weiter viel spaß auf deinen lesereisen.
testsiegerin - 28. Mai, 10:17

Was im Leben ist schon bleibend? Nicht mal meine Schäden.
bonanzaMARGOT - 28. Mai, 12:25

brauchst du bleibende schäden?
testsiegerin - 28. Mai, 14:55

Danke für das Angebot, aber ich denke, mir reichen die passageren.
bonanzaMARGOT - 28. Mai, 15:07

"die passageren" sagt man das so in wien?
süß.
Manuel (Gast) - 26. Mai, 22:24

also ich find die Geschichte sehr gelungen - musste wirklich lachen :-D Finds auch vom Sprachlichen her ok, wirkt als Erzählung der Sachwalterin sehr authentisch. Meiner Ansicht nach zumindest ;-)

testsiegerin - 26. Mai, 22:28

danke schön, das feut mich.
aber steppenhund hat schon recht. da könnte ich schon noch ein bissl herumschrauben ;-)

sollte ich wieder nach deutschland zu den betreuern fahren, werd ich sie noch mal aufpolieren.
datja - 28. Mai, 10:59

nur gut dass ich eh nicht nach deutschland zu tagungungen komme. ;)
weil meine berufsbezeichnung behindertenbetreuerin ist, ich aber nicht sachwalte, sondern betreue. an der basis. im heim. dabei aber immer wieder mit sachwalterInnen zu tun habe, die auch schauen, ob die betreuerInnen auch gut betreuen.
wobei es auch vorkommt, dass betreuerInnen finden, die sachwalterInnen walten nicht besonders gut oder oft genug.
(es gibt ja solche und solche...und nicht alle sind gesetzliche vertreterInnen)
genug...

la-mamma - 28. Mai, 17:51

ich hab laut gelacht am ende.

und der text passt schon so, wie er ist - was hat denn der herr steppenhund auf einmal?;-)

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"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

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