Der Letzte

Bei einem Hausbesuch hat mir meine Lieblingsklientin ein paar vollbeschriebene Seiten in die Hand gedrückt. "Allein selber geschrieben", stand links oben in ihrer fast unleserlichen Handschrift.
"Sie sind ja Autorin", sagt sie. "Machen Sie bitte was draus."
"Darf ich das dann auch veröffentlichen?", frage ich.
Sie strahlt. "Aber natürlich."




Er erhebt sich
zur Mitternachtssperrstund
getrieben vom Wirt
und vor Wut
Das Glasschwer alles kruzifix hin
gebrochen
Scherben klirren durch die Nacht
und der wirtslaute Schrei

Es schneit
Bei der Kälte
jagt man keinen Hund
in die sternhagelvolle Wintersnacht
wimmert er
doch das Schicksal hat kein Erbarmen
Der Wirt auch nicht

Morgen Früh
wird er Ordnung in der Gaststube machen
und morgen Abend
wird es frische Gäste
schneien
Gute Gäste
Das Lumpenpack soll draußen bleiben
wird auf der Schiefertafel stehen
unter der Gerösteten Leber

Um die Ecke steht ein G’schmierter
und weiße Mäuse *
reiten mit blauen Lichtern
auf schweren Feuerrössern durch die Nacht

Fast fällt er
Wie der Augustin, denkt er
Alles ist hin
Das ist meine Grabesgrube
Der Doktorzauber wirkt nicht mehr
und sie ziehen dir den
steifen Holzpyjama an
begleitet mit Blasmusik
Oder als Häufchen Asche
in der Urne am Kamin
so denkt er auf seinem letzten Weg
und wankt weiter

Es spukt in seinem Hirn
es spuckt aus seinem Mund
Bier Wein Schnaps
ein Gespenst mit einem Glas Wein
lehnt an der Laterne
und prostet ihm zu
Das ist mein letzter Rausch, sagt er
Imwahrstensinnederwörter

Die letzte Kellerspaßnacht
er/brach
ein später alter Hund
(wie er bei dieser Kälte in die Nacht gejagt)
leckt
die Speibspeise auf
Das ist mein letzer
Rausch, röchelt er und stirbt

Es schneit
Er rutscht am matschigen Leben aus
die Straßenlaterne hält nicht
was sie verspricht

Der Schlüssel passt
nur noch ins letzte Loch
Er schließt die Tür zum ewigen Bund auf
Ja, ich will, lallt er
und ich werde dich lieben und achten
und dir treu sein bisdassderTodunsscheidet


Zu spät erkennt er
hinter dem Schleier der Braut
den Tod


* ein G'schmierter = Polizist
* weiße Maus = Polizist auf einem (weißen) Motorrad

(Marianne W., Barbara L.)
la-mamma - 11. Nov, 22:06

das ist sehr berührend geworden! wobei ich mir "die paar seiten" unendlich traurig vorstell ... dem obigen text kennt man dann aber schon - auch wenn es hier gedruckt erscheint - deine sichere handschrift an;-)

testsiegerin - 12. Nov, 16:19

ganz so traurig waren die seiten gar nicht. ich musste ein paar mal ziemlich laut auflachen beim lesen, weil es so skurril war. und ich hoff, ich hab im interesse meiner klientin dran gearbeitet. ich werd es ihr auf jeden fall ausdrucken und mitbringen.
bonanzaMARGOT - 12. Nov, 14:22

da entsteht vor meinem geistigen auge das morbide, dunkle wien.

testsiegerin - 12. Nov, 16:20

ich liebe ja diese seite wiens.
solltest du mal nach wien kommen, bitte unbedingt das bestattungsmuseum und den zentralfriedhof besuchen.
rosmarin (Gast) - 12. Nov, 22:06

das ist ein wundervoller text geworden
...

testsiegerin - 13. Nov, 16:01

dankeschön.
und danke an marianne für die inspiration.
datja (Gast) - 12. Nov, 22:12

ausdrucken
UND
vorlesen!

(passt zu a.m.see, finde ich!)

testsiegerin - 13. Nov, 16:01

wird gemacht ;-)
MoniqueChantalHuber - 12. Nov, 22:32

das weckt

unheimlich reale bilder in mir.
von den traurigen säufern, den alten und einsamen.

und ich find`s wahnsinnig gut.

testsiegerin - 13. Nov, 16:02

und noch einmal danke.
dabei ist oder war diese klientin gar keine alkoholikerin.
MoniqueChantalHuber - 13. Nov, 17:12

aber sie (bzw. ihr) hat`s echt drauf, ausnahmezustände zu beschreiben, das find ich wirklich beachtlich - ich mag ja texte, die intensive bilder auslösen - und hier hab ich mich zurück versetzt gefühlt in schaurige zeiten als thekenkraft in schummrigen wiener beisln, wo ich solche szenarien miterlebte und schließlich auch dafür bezahlt wurde, dass der kreis niemals durchbrochen wird.
datja - 14. Nov, 01:31

jaja...

...und ich war seinerzeit jene, die dafür zahlte, dass es menschen gab, die als thekenkraft in wiener beisln dieser kreis durchbrochen wurde. durchaus.
deshalb war es selten schaurig, dafür meistens schön.
aber eh nur 13 jahre lang, es rechnete sich nicht...
MoniqueChantalHuber - 14. Nov, 12:01

gibt auch ganz tolle wiener beisl

und dort zu arbeiten, kann auch als thekenkraft sehr nett sein.
ich sprech hier mehr von der sorte heruntergewirtschaftete weinstube, wo sie abends nur mehr die ohnedies gestrandeten treffen. die spieler und säufer und nutten, die man dann noch nach kräften weiter abzufüllen hat. (und sich selbst gleich mit dazu, zur verkaufsförderung und um nicht ins grübeln zu kommen)

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
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Von Herzen und Seelen - CD

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