Glosse

Donnerstag, 23. November 2006

Zum Sterben zu viel

„Können Sie sich selbst warme Mahlzeiten zubereiten?“, will der Gutachter in den zehn Minuten wissen, in denen er die alte Frau untersucht.
„Aber sicher doch, Herr Doktor! Schauen Sie, ich bewege mich wie ein junges Pupperl!“
Selbst wenn sie nichts mehr hat im Leben außer rheumatische Hände und ein schlechtes Gehör, ihren Stolz lässt sie sich nicht nehmen. Der verbietet ihr, diesem Herrn gegenüber zuzugeben, dass sie – die einst die ganze Sippe verköstigt hat – nicht mal mehr Palatschinken kochen kann. Weil ihr meistens nicht einfällt, wo das Mehl steht. Und weil sie schon zweimal vergessen hat, den Herd abzudrehen.

Ihr Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes nach dem Bundespflegegeldgesetz wird abgelehnt, heißt es in dem Schreiben, das ihre Tochter ihr vorliest.
Zum Glück hilft ihr die ein bisschen im Haushalt, dafür steckt sie ihr immer was von der Doppelten zu.

€ 704,- kommen monatlich aufs Pensionskonto, aber bevor sich das Geld noch an seinen neuen Aufenthaltsort gewöhnen kann, ist es auch schon wieder weg. Für die Miete und die Betriebskosten, für Essen auf Rädern, den Strom und die Heizkosten. Betreuung kann sie sich keine leisten, nicht einmal durch eine illegale Slowakin, wie der Klebekanzler für seine Mutter.
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Und für die Befreiung von der Rezeptgebühr und der Rundfunkgebühr auch zu viel. Einmal hat sie dem Staat die € 11,-, die ihre Rente über der Mindestpension liegt, zurückgeschickt - aber der wollte das Geld nicht.
Den Fernseher hat sie abgemeldet, sie sieht ohnehin nicht mehr gut. Außerdem hat sie sich in letzter Zeit nur geärgert bei den Nachrichten. Vor allem, als der Bundeskanzler erzählt hat, wie gut es den Senioren in Österreich geht.
Ihr Schwiegersohn hat ihr ein Wertkartenhandy geschenkt, für Notfälle, aber diesen neumodischen Kram schaltet sie gar nicht erst ein. Das Festnetztelefon ist abgemeldet, wegen der Grundgebühr.
Vom Arzt und vom Apotheker will sie sich nicht abmelden. Noch nicht. Vom Leben auch nicht.
Irgendwie hängt sie daran, trotz allem.

Sonntag, 17. September 2006

Das Horst-Prinzip

„Was ist los mit dir, Horst?“, fragten seine Freunde und prosteten ihm zu. "Du wirkst irgendwie so nachdenklich."
„Ach, ich weiß nicht. Ich kann mich nicht entscheiden zwischen Beruf und Familie.“ Die anderen Männer am Stammtisch nickten verständnisvoll.
„Ich mag meinen Job im Baumarkt“, fuhr Horst fort, „das wisst ihr doch, aber ich bin jetzt 34 und es wird schön langsam Zeit, an Kinder zu denken. Aber kriege ich beides unter einen Hut?“
„Wieso beides?“, rümpfte Kevin die Nase, „der von der Natur vorgesehene Platz des Mannes ist zu Hause. Solange du keine Kinder hast, find ich es schon o.k., dass du arbeitest, ist ja gut fürs Ego, nicht wahr? Aber die Kinder brauchen einen Vater. Einen, der da ist. Wer soll bitte sonst Lego-Autos bauen und Traktorrennen veranstalten? Mütter kennen ja nicht mal den Unterschied zwischen einem John Deere und einem Claas. Und später, wenn die Kinder erst mal studieren, kannst du ja dazuverdienen. Wenigstens Teilzeit oder ein bisschen Heimarbeit.“
„Hm.“ So richtig glücklich wirkte Horst nicht über die Antwort seines Freundes. „Aber meint ihr nicht, dass es Zeit für uns Männer ist, uns zu emanzipieren? Frauen können doch auch Arbeit und Familie miteinander verbinden.“
„Ach“, David machte eine wegwerfende Handbewegung, „Emanzipation war in den 2020ern, ich find gut, dass wir uns wieder auf die wesentlichen Werte rückbesinnen und kapieren, dass das Glück nicht außer Haus zu finden ist. Sei doch ein richtiger Mann und steh dazu, du musst nicht alles so gut können wie die Frauen.“
„Verdient deine Frau so wenig, dass du es notwendig hättest, neben den Kindern zu arbeiten?“ Kevin ließ nicht locker. „Außerdem kriegst du ja das Kindergeld.“
„Es ist nur“, flüsterte Horst beschämt, „ich fürchte halt, dass mich Haushalt und Kinder nicht ausfüllen auf Dauer.“
Jetzt mischte sich auch Ali ein. „Es gibt kein größeres Glück als wenn die Kinder und die Frau glücklich sind“, strahlte er. „Wenn sie das erste Mal Traktor sagen. Und Gokart fahren lernen. Oder wenn der Badezimmerboden so glänzt, dass man davon essen kann. Wenn deine Frau dir am Abend ein reizendes Lächeln schenkt, weil du nicht nur mit den Kindern gebastelt, sondern auch noch Gefüllte Paprika gekocht hast, mit frischen Paradeisern aus dem Garten. Das ist ein ganz wertvoller Beitrag für ein funktionierendes Gesellschaftssystem. So sei doch nicht so egoistisch! Du mit deinem Selbstverwirklichungstrip.“
„Es ist ja nur“, versuchte Horst es noch einmal, „dass ich Angst habe, dass mein Job danach weg ist und ich in all den Jahren zu Hause die Entwicklungen auf dem Bau-Markt völlig verschlafe. Und wenn ich ehrlich bin, dann möchte ich nicht so abhängig sein, dass ich meine Frau fragen muss, ob ich Geld für ein Bier haben darf, neben dem Haushaltsgeld.“
„Aber Horst“, Kevin klopfte ihm auf die Schulter. „Auf das Bier, auf das lad ich dich ein. Wenn du nicht am Abend ohnehin zu erschöpft bist dafür. Und wenn deine Frau dich weglässt.“

Samstag, 10. Juni 2006

Ohne Worte - mit Wut

Ich bin Frau. Trotzdem mag ich Fußball. Ich halte eine Viererkette nicht für einen modischen Halsschmuck und einen Abstauber nicht für ein Haushaltsgerät. Selbst wenn man mir einreden will, dass die Leidenschaft für den Fußball aufgrund des Testoteroncocktails Männersache ist, finde ich auch die neunzig Minuten vor dem Leiberltausch unterhaltsam. Ich weiß nicht nur, was ein Abseits ist, ich kann es sogar erklären, und mein Panini-Album ist fast voll.
Weil Fußballschauen alleine reizlos ist, habe ich das Eröffnungsspiel der WM beim Wirten gesehen.
Meine Affinität galt natürlich Costa Rica. (Ich bin nämlich schon von Berufs wegen für die Randgruppen und krassen Außenseiter. Mein heimlicher Favorit ist ja Togo, gestehe ich.)
Auch die Mehrzahl der ZuschauerInnen im Wirtshaus war für die Reiche Küste, die so reich nicht ist. Einige wenige haben für und letztendlich mit Deutschland gejubelt.
Das macht ja auch viel mehr Spaß, als würden alle die gleiche Mannschaft unterstützen. Schließlich ist die Idee solch einer Veranstaltung ja unter anderem die der Völkerverständigung.
Ich habe durchaus Verständnis, wenn dabei die Gefühle hochgehen. Wenn jemand „Elfmeter!“ brüllt, obwohl es eine klare Schwalbe war. Wenn man den Schiedsrichterassistenten beschimpft oder eine verletzte Wade heftige Diskussionen auslöst. Nicht zuletzt diese Emotionen und die Identifikation mit einer Mannschaft machen den archaischen Charakter dieses Sports aus.

Aber irgendwo hört sich für mich der Spaß auf. Nämlich dann, wenn einer der Deutschland-Fans plötzlich völlig unvermittelt aufspringt und „Sieg Heil!“ schreit.
Im ersten Moment dachte ich, ich höre schlecht, und jemand hat dem Ball „Flieg steil!“ zugerufen oder einem verletzten Spieler „Lieg geil!“, aber ich hab mich nicht getäuscht. „Sieg Heil“, hat er geschrieen. Ich vermute, der Ausrufer hatte mehr Bier als Testosteron im Blut, aber weder Hormonausschüttungen noch Alkoholeinschüttungen entschuldigen solche Aussagen.
Wenn dieser jemand noch dazu Ortsvorsteher einer unserer Katastralgemeinden ist, dann macht mich das noch betroffener als es mich ohnehin schon betroffen macht.

Ich habe geschwiegen. Weil mir die Spucke und die Sprache wegblieben. Auch weil der Typ wesentlich größer und stärker war und ich keine Lust auf eine Schlägerei hatte. Ich schäme mich. Für solche Mitmenschen. Und für mein Schweigen.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
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loving it :-)
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