Sonntag, 7. Juli 2013

Das Fremde befreunden

In zehn Jahren gehe ich in Pension. Mit der Abfertigung werde ich das Dach reparieren lassen. Damit es mir nicht auf den Kopf fällt. Und jemanden dafür bezahlen, die alten Bäume zurückzuschneiden, damit mir beim Schreiben auch weiterhin Birnen auf den Kopf fallen. Vielleicht werde ich eine Schmuckwerkstatt einrichten. Und meine erste Kreuzfahrt machen. Mit 60 darf man das. Ich weiß, man darf das auch mit 25, natürlich, aber ich gestehe mir das mit 60 zu. Kuba vielleicht. Vielleicht ist ja auch der attraktive Herr meiner Geschichte „Kuba, wir kommen“ auf dem Boot. Eine Kreuzfahrt ist in meinen Kreisen der Inbegriff von Spießertum. In meinen Kreisen fährt man mit dem alten VW-Bus in die Wüste, wandert die bretonische Küste entlang oder begegnet in kanadischen Nationalparks Bären und verbringt die kühlen Winter in Goa oder auf Gomorrha. In meinen Kreisen und in meinem Alter hat man mindestens ein Jahr im Ausland verbracht und wenigstens vier Kontinente besucht. Wenn nicht alle sieben.
Ich war noch fast nirgends. Ich zucke betroffen zusammen, wenn jemand in geselliger Runde erzählt, dass Reisen den Geist öffnet und den Horizont erweitert.
Bin ich engsichtig und –stirnig, weil ich im Sommer im Garten sitze, von den Ribiseln nasche, den Ananassalbei zwischen den Fingern zerreibe und mich am Duft der Schokominze erfreue? Bin ich etwas dümmlich und dämlich, weil ich mein Geld nicht in eine Großwildsafari, sondern in zwei Operationen eines Katerbeins investiere?
Ich hätte ihn einschläfern lassen, sagt sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich nicht. Ich hätte das nicht können. Ich kann doch ein Familienmitglied – und das sind unsere Katzen für mich, Familie – nicht einschläfern lassen, nur weil es sich ein Bein gebrochen hat. Ich möchte auch nicht, dass jemand an meinem Krankenbett steht und zum Arzt sagt: „Nein, kein neues Kniegelenk für die Frau Lehner, das können wir uns nicht leisten. Schläfern Sie sie bitte ein. Und seien wir uns ehrlich, so ein Leben mit kaputtem Knie ist doch kein Leben mehr. Sie ersparen ihr damit Leid... und uns Geld.“
Ich bin keine große Tierschützerin vor dem Herrn, nein, ich esse mit Vergnügen Würste vom Mangalizzaschwein, zerteile aus Rache für die nackten Hokkaidopflänzchen mit dem Spaten schleimige Nacktschnecken und sehe ungerührt zu, wie meine Tochter mit einem Aufschrei eine Fliege zerklatscht. „Warum bist du so aggressiv?“, frage ich. „Fliegen tötet man nicht mit Liebe“, antwortet sie.
Gestern hat mir der nunmehr dreibeinige Kater die erste Maus nach seinem Unfall vor die Füße gelegt. Eine ziemlich teure Maus.

Jetzt sind wir bei den Katzen, dabei waren wir grad beim Reisen. Wie krieg ich die Kurve wieder? Ja, das fehlende Konzept ist ein Nachteil beim forscherinnentagebuchführenden Schreiben.
Stubentiger statt sibirische Tiger. Ribisel statt exotischer Früchte. Engstirnig statt weitem, unendlichen Horizont. Du bist zynisch, sage ich mir, als ich vom unendlichen Horizont kinderfickender Touristen in Thailand schreiben will, oder – um fair zu sein – von frustrierten Europäerinnen, die sich großschwänzige Schwarze, oder schwarze, große Schwänze kaufen. Ich gebe zu, ich habe für den Augenblick eines Lidschlags sogar „Negerschwänze“ gedacht.
Ja, du bist verdammt zynisch, Barbara, denke ich. Und neidisch bist du auch. Nein, nicht auf die Ne... auf die Schwänze. Auf die, die sich ferne und aufregende Reisen leisten können und leisten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir nur einrede, dass ich mich in meinem Garten grad wohler fühle als an einem traumhaften Sandstrand, umgeben von lauter unendlich schönen, schlanken, jungen, knackigen und weitsichtigen Menschen. Oder ob ich mir etwas vormache. „Schleich dich, Neid!“, zische ich. Zischen zischt. Was für ein wunderbar onomatopoetisches Wort.

Ich bin selber weitsichtig. Ohne Brille kann ich im Restaurant nicht mal mehr ein saftiges Filetsteak vom Angusrind bestellen. Oder ich bestelle eines, obwohl es nicht auf der Karte steht, weil ich die Karte nicht mehr lesen kann.
Die Männer eines neuseeländischen Stammes begrüßen sich, indem sie mit nacktem Oberkörper mit verschränkten Händen unter ihre – also die eigenen – Achseln greifen und dann ihren Schweiß über den Körper des Gegenübers streichen. Das hat jetzt mit dem Horizont nichts zu tun und auch nichts mit Neid, nur mit Reisen. Und mit dem Seminar vorige Woche. Das Fremde befreunden.

Kuba wird mich auch in zehn Jahren nicht weitsichtiger machen, fürchte ich. Nicht besser, klüger, toleranter oder sonstwas. Ich mag einfach mit einer Freundin wegfahren, die Sonne und kubanische Rhythmen genießen und ein bisschen dekadent beim Captains Dinner Champagner schlürfen und über die Mitreisenden lästern, die es notwendig haben, eine Kreuzfahrt zu machen anstatt individuell mit lauter anderen Individualisten nach Kambodscha zu reisen oder in noch fremdere Länder, die noch nicht einmal entdeckt worden sind.

Vielleicht habe ich so viel Fremdes in mir, das zu entdecken und befreunden es sich noch lohnt – oder auch nicht lohnt. Wie kann man Gefühle wie Neid, Sucht nach Anerkennung und wer weiß, was ich noch alles auf meiner Reise in mich entdecke, wie kann man solche Gefühle befreunden?
Was, wenn sich meine Freunde angewidert von mir abwenden und sagen: „Wenn die kommen, dann gehen wir! Die können wir nicht leiden. Wir mögen nur dein Lachen, deine Wärme und deinen Rhabarberstrudel.“
Muss ich dann ganz allein nach Kuba?

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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