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Dienstag, 26. Februar 2008

Stellen Sie sich vor

Schließen Sie die Augen und stellen sich vor, es ist ein schöner, sonniger Februartag. Ein Tag, der Ihnen vorgaukelt, es wäre schon Frühling, dabei fällt Ihnen einer seinen Kollegen demnächst bestimmt wieder mit aller Kraft des Winters in den Rücken.
Stellen Sie sich vor, Sie haben gestern eine Benachrichtigung für einen eingeschriebenen Brief in der Post gehabt. Sie gehen also heute zum Postamt, um diesen Brief abzuholen. Ihnen schwant Böses, denn Sie können sich dunkel erinnern, vor vielen Wochen eine Nachricht über eine erfolgte Anzeige in der Windschutzscheibe gefunden zu haben. Schon damals haben Sie Ihr Fieber verflucht, welches Sie veranlasst hat, anstelle keines Parkscheines einen bereits entwerteten in die Scheibe zu legen.
Beim Öffnen des Schreibens klopfen Sie sich dreimal an die Burst, murmeln „mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ und flehen zum Himmelvater: „Lieber Gott, lass die Strafe unter 100 Euro sein, wenn es dich gibt.“
Entweder Gott bestraft Sie augenblicklich für Ihre Zweifel oder es gibt ihn nicht. Das werden wir nie erfahren.
Sie beschließen, die Strafe von dem Geld zu bezahlen, dass Sie mit dem Schreibkurs an der Volkshochschule verdienen, erfahren aber leider etwas später, dass der Kurs mangels Anmeldungen nicht stattfinden wird.

Stellen Sie sich vor, Ihr Schreibtisch quillt dann über und Sie ersticken in Arbeit. Zwischendurch ärgern Sie sich – wahlweise oder gleichzeitig – über Behörden, Angehörige und/oder die Politik.
Am Nachmittag machen Sie Außendienste, hören zu, sind geduldig und liebenswert, sorgen sich um Klienten, freuen sich über Fortschritte und sind mit dem Leben beinahe ein bisschen versöhnt.
Weil vor dem beruflichen Abendtermin noch ein bisschen Zeit ist, fahren Sie aus der Kleinstadt hinaus, quer über Feldwege und parken dort. Stellen Sie sich vor, dort genießen Sie die Nachmittagssonne, üben einen Text zu lesen und denken nach, wie Sie Ihre finanziellen Probleme in den Griff bekommen, damit Sie Ihrem Kind seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen können.
Ein Traktor kommt Ihnen auf dem schmalen Feldweg entgegen. Sie drehen den Zündschlüssel, um ihm Platz zu machen. Stellen Sie sich vor, das Auto stottert und springt nicht an. Auch nach vielen Versuchen nicht.
Sie rufen den ÖAMTC, ersuchen um Hilfe und geben die Nummer Ihrer Clubkarte bekannt. Sie versuchen dem netten Herrn aus der Großstadt zu erklären, dass der Feldweg, auf dem Sie sich befinden, keine Adresse hat. Der nette Herr aus der Großstadt versucht seinerseits Ihnen zu erklären, dass der Clubbeitrag noch nicht bezahlt ist.
Während Sie nervös warten (der warme Frühlingstag hat sich längst in einen kühlen Spätwintertag verwandelt), rufen Sie Ihren Ehegatten an, der üblicherweise für die Bezahlung der Rechnungen zuständig ist und machen ihn zur Schnecke. Leichtsinnigerweise fragen Sie, ob Sie noch mit weiteren unbezahlten Rechnungen rechnen müssen.

Stellen Sie sich vor, der gelbe Engel mit schwarzen Haaren und Bart kriegt Ihren Wagen nicht flott. Vermutlich etwas mit der Elektronik, sagt er, der muss in die Fachwerkstätte. Sie werden abgeschleppt und denken nicht einmal daran, dass Sie in Ihrem Leben schon auf viel spannendere Weise abgeschleppt wurden.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen am späten Abend endlich nach Hause (im Leihwagen, den Sie spätestens morgen wieder gewaschen und gebürstet und gefüttert zurückbringen müssen) und sagen Ihrem Kind unter Tränen, dass es lieber nicht damit rechnen soll, den heiß ersehnten Wunsch erfüllt zu bekommen. Nicht dieses Jahr. Vielleicht nächstes, oder irgendwann. Stellen Sie sich vor, das Kind nickt verständnisvoll und traurig und Sie sitzen da und halten sich in den Armen und heulen. Stellen Sie sich vor, dabei bricht Ihnen das Herz.

Stellen Sie sich weiter vor, es ist kein Wein zu Hause, um sich anzusaufen. Und so tief sind Sie noch nicht gefallen, dass Sie Birnenbrand zwitschern.
Sie schreiben sich Ihren Kummer von der Seele und schicken das Mail an eine Freundin. Und noch dazu ein paar Top Secrets der Marke "Schweige-wie-ein-ägyptisches-Pharaonengrab". Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie kommen nach der Mitteilung "Mail versendet" drauf, dass Sie das Mail nicht an die Freundin, sondern einen Parteikollegen geschickt haben.

Vielleicht stellen Sie sich das alles besser nicht vor. Sie dürfen die Augen wieder aufmachen.

Dienstag, 19. Februar 2008

Liebes Leben

Ja, das ist kein Zufall, dass da ein Abstand ist zwischen den beiden Wörtern deiner Anrede. Mir wäre ja lieber, da wäre keiner. Obwohl – andererseits wäre mir Abstand wieder ganz recht. Ganz viel Abstand wäre mir ganz recht. Samoa zum Beispiel. Das wäre ziemlich viel Abstand, zumindest von hier. Von mir und von dir wahrscheinlich nicht, ich nehme mal an, du verfolgst einen sowieso überall hin.
Warum ich dir heute schreibe?
Weil du mir grad total auf die Nerven gehst und es mir manchmal so schwer machst. Weil du alles andere als gerecht bist. (Und wehe du säuselst jetzt wieder dein typisches „ja, ja, das Leben ist halt nun mal nicht fair“!)
Nicht nur den Reichtum hast du völlig ungerecht verteilt und mich und meine Familie dabei einfach übersehen, auch die Talente. Es gibt Menschen, die können genial Geige spielen, andere singen, andere wieder Schach spielen. An mir bist du vorbeigegangen, hast da und dort ein paar Talentsternchen auf mich herabgeworfen und bist weitergezogen. Ich bin Expertin in Einbisschenwasvonallem. Nein, das wäre übertrieben. Ich kann nämlich weder Geige spielen noch Schach spielen. Ich bin Expertin in Einbisschenwasvoneinbisschenwas. Ich kann ein bisschen kochen, ein bisschen schreiben, ein bisschen kreativ sein, ein bisschen blöd sein, ein bisschen politisch aktiv sein, ein bisschen ein guter Mensch sein. Aber damit bringt man es nicht weit im Leben. Ah ja. Expertin im Verwalten des Wahnsinns bin ich auch, davon werde ich höchstens selbst wahnsinnig.
Weißt du, ich hab mich ja schon oft bei dir bedankt für das, was du mir geschenkt hast. Meine Zellulitis und – wie meine Kollegin immer betont – mein Schlupflid am rechten Auge, zum Beispiel. Danke noch einmal dafür. Auch für meinen Zynismus, er hilft mir nämlich oft dich überhaupt auszuhalten.
Ich finde also, es steht mir auch einmal zu, mich bei dir zu beschweren. (Auf www.salzamt.at habe ich es schon versucht, die schreiben aber auch nicht zurück.)
Ich hab dich oft genug verteidigt, wenn Menschen an deinem Sinn gezweifelt haben. Der Sinn des Lebens ist es einfach zu leben, hab ich gesagt und auf all das Schöne verwiesen, auf die Blumen und den Himmel und die Liebe und ein gutes Erdäpfelgulasch.
Aber jetzt mag ich dir endlich auch einmal sagen, dass ich es nicht o.k. finde, wenn du mir ständig Prügel vor die Füße wirfst und glaubst, ich brauche eine Rund-um-die-Uhr-Herausforderung. Ich mag’s auch manchmal einfach nur fein und leicht haben. Ohne Schulden und –gefühle, ohne Sorgen und –falten, einfach NETT halt. NETT, verstehst du? Wenn es sein muss, mit Schutzbezügen und einer Schrankwand, wenn das der Preis dafür ist.

Komm mir jetzt bitte nicht mit dem Zwitschern der Vögel und dem Duft von frischem Kaffee. Weißt du, was mit der Amsel passiert ist, die ich gestern zwitschern gehört hab? Heute früh war sie im Badezimmer und im Vorzimmer. Ja, eine Amsel in zwei Zimmern. Von meinen Katzen zerfetzt. Rat mal, wie viele Federn so eine Amsel hat? Reichlich Federn hat die. Und reichlich Blut auch. Ja, ich weiß. So ist das Leben. So bist du. Ganz schön brutal manchmal.
Und wenn wir schon dabei sind: Hast du eine Ahnung davon, was ich durchmache, bevor ich den Duft frischen Kaffees riechen darf?
Satzbehälter leeren. Wasser nachfüllen. Maschine entkalken. Gerät reinigen. Spülen. Bohnenbehälter leer.
Da scheiß ich auf den frischen Kaffee, liebes Leben! (Noch immer mit Abstand). Da warte ich lieber ab und trink Tee.

So, jetzt hab ich es dir aber reingesagt, oder?
Schreibst du mir trotzdem zurück?
Du kannst deine Antwort gern auch ohne Abstand schicken.


Deine Barbara

Mittwoch, 13. Februar 2008

Eine Frage:

Warum schreibt eigentlich keine Sau (abgesehen von Datja) irgendwas zu dieser Geschichte?

Nein, ich bin nicht traurig deshalb. Ich frag ja nur.

Sonntag, 10. Februar 2008

An einem Freitag im Mai

An jenem Freitag im Mai bog Horst Kleindienst an der Kreuzung beim Stadtbad nicht rechts in die Kirchdorfer Straße ab.

Er würde weder pünktlich am Bahnhof noch vor der Landesberufsschule sein. Das war Horst Kleindienst in seiner Laufbahn als Postautobuschauffeur erst wenige Male passiert. Einmal war ein Auffahrunfall, an dem er nicht beteiligt gewesen war, Grund für die Verspätung gewesen, zwei Mal Schneeverwehungen und einmal eine Straßensperre aufgrund einer unangemeldeten Demonstration. Immer waren äußere Umstände an Verspätungen schuld gewesen, nie innere. Bis auf jenen Freitag im Mai.

Für einen kurzen Augenblick hatte es ihn in den Fingern gejuckt und beinahe hätte er – wie jeden Tag – den Blinker eingelegt, aus Gewohnheit einerseits, aus Angst vor seinem Mut andererseits.

„Das ist mein kleiner Feigling“, hatte ihn seine Mutter ihren Freundinnen vorgestellt und ihm dabei die Wange getätschelt. „Er fürchtet sich sogar vor dem Nikolaus.“
„Ich kann nicht mehr, Horst“, hatte seine Frau nach nur achtzehn Monaten Ehe geseufzt, „du bist ein unheimlich lieber Kerl, aber ich langweile mich mit dir. Du bist ... wie soll ich sagen ... du bist so ... so berechenbar. Am Mittwoch gehst du zum Bauernschnapsen, am ersten Samstag im Monat zum Friseur und am Valentinstag schenkst du mir Blumen. Ich brauche mehr Leben in meinem Leben, verstehst du?“
Ja, er verstand.

Die Helden in den Büchern, die er abends oder an seinen freien Tagen verschlang, waren ganz anders als er. Die fuhren keine Postautobusse, sondern überfielen Postzüge, legten sich neue Identitäten zu und setzten sich nach Brasilien ab. Die erlegten in der sibirischen Taiga sibirische Tiger und liebten sich vor dem knisternden Kamin auf den selbst erlegten sibirischen Tigerfellen mit selbst erlegten russischen Geliebten.
Horst Kleindienst war kein Held. Zeitlebens war er ein Feigling, ein lieber Kerl, ein verlässlicher Angestellter gewesen. Er hielt sich an Gesetze, seinen Dienstplan und die Straßenverkehrsordnung. Er hatte einen Hamster namens Rambo und eine Ölheizung.

An jenem Freitag im Mai aber sollte Horst Kleindienst etwas völlig Verrücktes tun. Etwas, das niemand von ihm erwartete, schon gar nicht er selbst.

Tausendmal hatte er tausend verschiedene Filme in seinem Kopfkino abgespult.

In einem von ihnen – seinem liebsten - warf er alle Leute aus dem Bus – bis auf die Brünette, die immer in der ersten Reihe saß und nach wildem Jasmin roch. Ihren Namen wusste er nicht, denn es war ihm verboten, während der Fahrt mit den Fahrgästen zu sprechen. Seinen Bus der Linie L377 lenkte er in diesem Tagtraum auf die A2 und fuhr nach Italien. Kurz vor der Grenze überfiel er eine Tankstelle und kaufte sich in der Toskana mit dem erbeuteten Geld ein kleines Häuschen. Na ja, vielleicht ließ er den Raub aber auch einfach aus und mietete das Haus nur. Schließlich hatte sich in den letzten Jahren genug Erspartes auf seinem Konto angesammelt, um eine Zeitlang ohne Einkommen auszukommen. Dort wollte er sich also niederlassen, inmitten der Toskana, umgeben von Weinbergen; bei seinen italienischen Nachbarn würde er Speck, Käse und Oliven kaufen und jeden Sonntag mit der Brünetten ans Meer fahren.
Nach so einem aufregenden Leben sehnte er sich manchmal.

An jenem Freitag fuhr Horst Kleindienst an der Kreuzung Brucker Straße / Kirchdorfer Straße geradeaus. Vorbei am Hauptplatz, am Bezirksgericht, vorbei an der Autobusgarage, in der sein Chef vermutlich gerade den Dienstplan für Juni erstellte.
Im Bus regten sich Verwunderung und Fassungslosigkeit.
„Sagen Sie, wo fahren Sie überhaupt hin?“, fragte die Brünette und ihre Stimme schmeckte nach türkischer Rosenmarmelade.
Horst Kleindienst legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit einem Kopfnicken auf das Schild, das den Fahrgästen das Sprechen mit ihm strengstens untersagte.
Kurz nach der Ortstafel betätigte er den rechten Blinker und brachte den Bus am Straßenrand zum Stehen. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen und sein Herz raste, wahrscheinlich vor Empörung über diese Ungeheuerlichkeit. Er griff nach dem Strauß mit den orangefarbenen Tulpen auf der Ablage, zog den Zündschlüssel ab, stieg aus dem Bus und schritt mit erhobenem Kopf durch das steinerne Tor.

„Siehst du, ich bin gar kein Feigling, Mutter.“ Horst Kleindienst legte den Tulpenstrauß auf die Grabplatte aus Marmor. „Bist du jetzt endlich stolz auf mich?“
Ohne die Antwort abzuwarten, drehte er sich um und verließ den Friedhof.

„Liebe Fahrgäste, aufgrund von inneren Umständen werden wir den Fahrplan heute nicht einhalten können und uns voraussichtlich um fünfzehn Minuten verspäten. Ich bitte höflich um Entschuldigung.“
Bevor er anfuhr, blickte er in den Rückspiegel. Die Frau mit der Rosenmarmeladenstimme lächelte.

Samstag, 9. Februar 2008

Kein Hasenkraut

Laszlo lag auf dem Bett und wartete, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Sein Blick wanderte über die drei Meter entfernte Zimmerdecke. Er liebte den brüchigen Stuck, ebenso wie die hohen Rundbogenfenster, die dem Raum etwas Sakrales gaben, gerade jetzt, wo er fast leer war. Das schmiedeeiserne Bett war das einzige Möbelstück. Daneben stand ein Kübel mit Eis und einer Flasche Sekt. Zwei Gläser. Ein Dutzend Kerzen.
Er hörte sie bereits im Treppenhaus. Als die Tür mit einem leisen Klicken einschnappte, schloss Laszlo die Augen. Entspannt. Gespannt.

Es war still. Sie schaut sich um im leeren Raum, dachte er. Wahrscheinlich vermisst sie die Bilder an den Wänden. Den alten Schreibtisch. Den Flügel. Ob sie wohl Tränen in den Augen hatte? Gerne hätte er sie in den Arm genommen, tröstend vielleicht, liebend auf jeden Fall. Aber er tat nichts. Lag da und lauschte. Jetzt kam sie auf ihn zu. Ihre Schritte auf dem Parkettboden wurden von keinen Vorhängen und Möbeln verschluckt. Er wollte alles festhalten. Diesen Moment. Diese Frau. Und die Erinnerung an ihre Schritte.

Sie musste jetzt am Fußende angelangt sein. Zwei oder drei Minuten mochten so bereits vergangen sein, bevor Laszlo die Augen öffnete. Paula stand dort im halblangen schwarzen Kleid mit leicht gespreizten Beinen. Ihm wurde heiß, als sich ihre Blicke trafen. Sie zerbiss ein angedeutetes Lächeln auf der Unterlippe, dann öffnete sie den Mund, um tiefer und schneller atmen zu können. Laszlo beobachtete, wie sich ihre Brüste hoben und senkten. Sie öffnete die Knöpfe auf der Vorderseite des Kleides, langsam und gleichmäßig, einen nach dem anderen, bis der dunkle Stoff zu Boden glitt. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und kroch neben ihn auf das Laken, ohne ihn anzufassen.

Laszlo drehte sich zur Seite und schaute sie an. Betrachtete ihren Körper, den er so liebte. An dem er gar nichts, sie aber so viel auszusetzen hatte. Zu jeder Narbe hatte sie ihm eine Geschichte erzählt.

„Nein, bitte nicht“, flüsterte sie, als er mit einem Finger über ihren Hals streichen wollte. Er zog seine Hand wieder fort. Obwohl er sie nicht berührte, spürte er, wie ihr Körper bebte.
„Ich verstehe“, log er.
„Zieh dich aus, bitte“, forderte sie ihn auf. „Ganz nackt.“
Laszlo tat, was sie verlangte. Natürlich konnte er sich nicht so aufregend schön ausziehen, wie Paula es vorher getan hatte.
„Ganz“, wiederholte sie bestimmt. Er sah sie fragend an.
„Die Socken“, raunte sie ihm zu.

Sie lagen auf dem Rücken und blickten jetzt gemeinsam an die Zimmerdecke. Lediglich ihre Fingerspitzen berührten sich. Paula und Laszlo kosteten die Minuten aus, in denen ihre Herzen aufeinander zu krochen. Sich vorsichtig aneinander schmiegten.
„Ich will deine Seele“, sagte Paula leise. „Ganz nackt.“
„Sie gehört längst dir.“ In seiner Stimme schwang Wehmut. „Und sie hat auch keine Socken an.“
„Dort, wo du hingehst, wirst du dicke Socken brauchen, Laszlo.“
„Ja. Und du wirst es schön warm haben. Darum beneide ich dich.“
„Ohne dich wird es in Burkina Faso aber genauso kalt sein wie in Litauen.“

Erst war der Anruf aus Vilnius gekommen. Sie wollten ihn. Als Dirigent des symphonischen Staatsorchesters. Laszlo hatte lange nachgedacht. Nicht der Kälte wegen, sondern wegen Paula. Er wollte mit ihr leben. Gemeinsam in einem Haus, und nicht in über zweitausend Kilometer Entfernung. An dem Tag, an dem er beschlossen hatte, das Angebot auszuschlagen, stand sie vor ihm. Aufgelöst. Strahlend. Zerzaust. Mit einem Brief in der Hand. Endlich eine Beschäftigung. Bei Ärzte ohne Grenzen. In Afrika. Mehr als zehntausend Kilometer würden sie nun trennen, zwei Jahre lang.

„Laszlo, du...“ Weiter kam Paula nicht, weil er ihr den Zeigefinger auf den Mund legte.
„Wenn ich dich nicht anfassen darf, dann darfst du nicht reden.“
„Du hast mich jetzt eh berührt“, erwiderte sie und küsste seine Finger. Laszlo zögerte nicht lange und schob sich durch ihre Lippen. Sie mochte den salzigen Geschmack und begann unwillkürlich zu lecken. Er mochte die Gier, die jetzt so offensichtlich aus ihren Augen funkelte.
„Und?“, flüsterte er im sicheren Gefühl des Sieges. „Was hättest du gern als nächstes in deinem Mund?“
„Sekt.“ Paula grinste. „Nun mach endlich die verdammte Flasche auf.“

„Martini Spumante“, schenkte er ein. „Du magst ja dieses klebrige Zeug.“
Sie saßen im Bett, die teuren Kristallgläser in der Hand. Schon oft hatten sie auf diese Art Abschied gefeiert, allerdings noch nie für so lange.
„Und du? Magst du es lieber extra dry?“
„Keine Ahnung.“ Er schmunzelte. „Ich kenn dich ja nicht mal halbtrocken.“
„Laszlo“, sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. „Pass auf dich auf. Und auf mich auch, ja?“

Er nützte diese Schwäche aus, griff in ihre Haare und zog sie zu sich. Ein kleiner Rest Sekt floss ins Laken, als ihr das Glas aus der Hand kippte. Von einer Sekunde auf die andere stürzte Paulas Abwehr in sich zusammen. Eine Abwehr, die sie nur aufrechterhalten hatte, um diesen Augenblick des Zusammenbruchs mit allen Sinnen auszukosten.
Jetzt würde er sie gleich fest aufs Bett pressen und sich auf sie schieben. Erwartungsvoll spreizte sie ihre Schenkel, zwischen denen sich glitschige Wärme ausbreitete.

Doch dann spürte sie den Stoff im Gesicht, kühl und rau. Paula liebte es, eines ihrer Sinne beraubt zu sein. Sich aufs Fühlen zu konzentrieren, nicht abgelenkt zu werden von dem, was sie sah. Aber nicht heute.
„Nein, du. Bitte nicht.“ Sie schob das Tuch weg. „Ich will ein letztes Mal deine Lust sehen, wenn du eindringst in mich. Ich mag in deinen Augen ertrinken, wenn du gleich in meine Möse tauchst. Ich möchte sehen, wie du meine Seele fickst.“
Laszlo öffnete die Lippen, um etwas zu antworten, aber er kam nicht mehr dazu. Paulas Zunge drängte sich in seinen Mund.
Im Gegenzug schob er sich zwischen ihre Beine. Sie hielt den Atem an, um ihre Schreie für später aufzuheben. Spürte seine Schwanzspitze an ihrer Klit. Riss die Augen auf, damit er seinen Raubtierblick tief in ihr Inneres bohren konnte. Krallte ihre Hände in sein Fleisch. Erwartete seinen Stoß.

Aber Laszlo stieß nicht zu. Und als Paula ihm ihr Becken entgegendrängte, weil sie es nicht mehr aushalten konnte, drückte er sie fest gegen das Laken.
„Du wirst schön warten, Tiger“, sagte er.
„Bitte nicht. Ich muss dann eh zwei Jahre lang warten. Das ist genug. Ich will dich in mir. Jetzt.“
Er schüttelte den Kopf. „Geduld zählt wohl nicht zu deinen Stärken, wie?“
Nein. Definitiv zählte Geduld nicht zu ihren Stärken. Und Litauisch zählte nicht zu Laszlos Stärken.
„As tave myliu“, mühte er sich.
„Was bedeutet das, bitte?”
„Ich liebe dich.“
„Ja, das weiß ich doch, Laszlo. Aber was hast du da eben gesagt? Das klang hübsch.“
„Das war Litauisch.“ Er grinste. „Möchtest du etwas Langes und Hartes?“
„Oh ja!“ Paula konnte nicht still halten unter Laszlos Körper. „Gib es mir.“
Er holte tief Luft. Und dann gab er es ihr. Das längste litauische Wort. Er sprach es so hart aus, wie er konnte: „Nebeprisikiskiakopusteliaudavome.“
„Ohh“, sie seufzte vor Wonne. „Und was heißt das?“
Er grinste. „Ich glaube, das kann man sinngemäß übersetzen mit: Ich werde dich jetzt auf der Stelle aufficken. Gierig und voll Lust.“ Er griff ihre Hüften und dann stieß er zu. Endlich.

Während der nächsten Minuten sprachen die beiden kein Wort. Aber leise waren sie trotzdem nicht.
Laszlo kam zuerst. Kam in ihr. Keuchend und stöhnend. Dann leckte er sie. Hörte wie sie immer lauter wurde. Genoss ihr Schreien. Und Paula genoss es auch.
Danach lagen ihre feuchtwarmen Körper lange engumschlungen und sie schliefen zufrieden ein.

Als sie aufwachten roch das Bett nach Sex und Lust und Glück.
„Dreh dich zu mir“, bat Paula ihn. Sie hielten einander fest. „Une seule nuit“, sang sie leise. Eine einzige Nacht.
„Es war nicht die einzige, Kleines. Wir hatten schon viele und werden noch mehr haben.“
„Ich weiß. Ich übe nur. Das ist die Nationalhymne von Burkina Faso.“
„Fis“, besserte er sie aus. „Der zweite Ton muss ein Fis sein.“

Draußen ging die Sonne auf und drinnen drängte sich Traurigkeit zwischen Paula und Laszlo. Sie würde ihn nicht zum Flughafen begleiten, das tat sie nie. Das Letzte, an das sie sich erinnern wollte, wenn sie an den Abschied dachte, sollte ein intimer Moment mit viel Laszlo, viel Liebe und viel Haut sein, und kein verschämter Kuss vor der Passkontrolle.

Es war über Ostrau oder Kattowicz, oder schon über Czenstochau, als Laszlo das kleine Päckchen öffnete, das Paula ihm auf den Fenstersims gelegt hatte, bevor sie ging.
Ich will, dass du nie wieder die Socken beim Sex anlässt, stand auf einem kleinen Zettel. Also trag bitte immer Socken, während Du in Litauen bist. Diese hier hab ich bei Hugo Boss für Dich geklaut. Ich hatte ziemliche Angst. Aber das bist Du mir wert. In Liebe, Paula.

In einer schwülen Abflughalle irgendwo in Afrika wartete sie auf ihren Anschluss nach Ougadougou. Gespannt löste sie das Bändchen von ihrem Geschenk. Netzstrümpfe. Wo bitte sollte sie die anziehen? Sie würde ihre Nächte nicht in verrauchten Bars, sondern in armseligen Lehmhütten verbringen.
Trägst du die bitte für mich, wenn wir mal ungestört telefonieren?“, las sie. „Ich hab extra welche mit ganz großen Löchern gekauft, damit du nicht so schwitzt. Dein Laszlo.

P.S. Nebeprisikiskiakopusteliaudavome. (Das ist ein litauischer Zungenbrecher und heißt: Wir haben kein Hasenkraut gesammelt. Aber hätte dich das erregt?)

Samstag, 2. Februar 2008

Cordoba

In vier Tagen spielt Deutschland gegen Österreich.
Deshalb hier und heute: Cordoba



„Kleines? Könntest du mir eine Flasche Bier mitbringen, bevor das Match beginnt?“ Sie klappte den Laptop zu. Der Artikel für ihre wöchentliche Kolumne in der Zeitung „Weiberwirtschaft“ war fertig. Über eine Winzermeisterin hatte sie geschrieben und deren Liebe zum Wein. Aber jetzt gab es keinen Wein. Jetzt gab es Fußball, und Fußball bedeutete Bier. Bier, Erdnüsse und Zeit fürs Zehennägel Lackieren. Sie schnalzte mit der Zunge, als ihr Mann mit zwei Flaschen und einer Schale Erdnüsse ins Wohnzimmer kam. Er trug sein Werder Bremen-Trikot. Dabei gab es heute Deutschland gegen Österreich, aber das Nationaldress war in der Wäsche. Er war erst wenige Stunden vorher vom Biochemikerkongress aus Baltimore zurückgekommen. Obwohl sein Anblick sie auch nach fünf Jahren Ehe noch immer erregte, hatte sie abgewinkt, als er ihr langes dunkelbraunes Haar zur Seite legte und sie liebevoll in den Nacken biss. Der Artikel musste noch heute in der Redaktion sein.

Wie immer, wenn es gegen Österreich ging, waren im Sektor mit den deutschen Fans zahlreiche Transparente mit hämischen Kommentaren zu lesen, wie: „30 Jahre nach Cordoba – Ösis frei zum Abschuss!“ Oder für die noch schlichteren Gemüter: „Zeigt’s den Schluchtenscheißern!“ Aber Jogi Löw verkündete vor den Mikrofonen artig seinen Respekt. „Das nächste Spiel ist immer das Schwerste.“ Rosalind liebte solche abgedroschenen Fußballweisheiten. Sie unterstrichen den archaisch-maskulinen Charakter dieses Sports. Dabei musste ihre Einstellung durchaus als radikalfeministisch bezeichnet werden.
Mit ihrer Gesinnung nahmen es die beiden ohnehin oft nicht so genau, so wie damals, als sie an der Treibjagd teilgenommen hatten. Konrads schneidiger Anblick im reaktionären grünen Loden hatte Rosalind dazu verleitet, ihn gierig ins Gebüsch zu zerren, wobei ihm der einzige Schuss an diesem Tag gelungen war, der sein Ziel nicht verfehlte.

Das deutsche Team trug Schwarz-Weiß, während die Österreicher in Rot-Weiß-Rot antraten. Zur Halbzeit lagen die Schwarz-Weißen 2:0 in Führung und Rosalinds Zehennägel waren schwarzkirschenrot.
„Schade eigentlich, dass sie die Hemden nicht auch zur Halbzeit tauschen.“ Ihre Hände krochen unter den grün-weißen Stoff und spürten warmes nacktes Fleisch. Sie betrachtete die durchtrainierten Körper der Stars auf dem Weg in die Kabinen und knetete den Ring am Bauch ihres Mannes, in dem sich seit Jahren das Fett der Erdnüsse ablagerte.
„Magst du das Trikot tauschen mit mir?“ schlug Konrad begeistert vor.
„Später, Liebes. Ist ein wichtiges Match heute.“ Sie küsste ihn flüchtig auf den Mund und zog die Hand wieder zurück. Er nickte und freute sich auf später. Hoffentlich trug sie die grüne Unterwäsche, die er ihr zur neuen Saison geschenkt hatte.

„Aus der prachtvollen Kulisse des Ernst Happel-Stadions begrüßen wir Sie zurück zur zweiten Hälfte, meine Damen und Herren“, ertönte die leicht überdrehte Stimme des Kommentators, die Rosalind jedes Mal aufs Neue erregte. Ihre und Konrads Fingerspitzen suchten und fanden einander in der Schale mit den Erdnüssen.
„Abseits!“ rief sie, als der Linienrichter die Fahne nach oben riss, und Konrad strahlte. Er liebte es, wenn seine Frau begann, ihm die Regeln zu erklären.
„Oh ja, Baby, sag es mir. Ich will es hören. Bitte!“ schmachtete er sie an.
„Eine Abseitsstellung liegt vor, wenn im Moment der Ballabgabe ein Spieler der angreifenden Mannschaft in der gegnerischen Hälfte näher zur Torlinie steht als zwei Spieler der verteidigenden Mannschaft“, zitierte Rosalind und platzierte lächelnd ein paar halbe Erdnüsse als Angreifer und Verteidiger und eine ganze als Ball auf dem Tisch. „Die Abseitsregel ist außer Kraft gesetzt, wenn der Ball vom Gegner zuletzt berührt wurde und wenn er unmittelbar von einem Eckball oder einem Einwurf kommt.“
Jetzt steckte sie verführerisch und ein wenig lasziv ein paar Spieler in den Mund. Konrad hing an den Lippen seiner Liebsten. Aber deren Aufmerksamkeit galt Josef Hickersberger, der an der Seitenauslinie stand und seinen Burschen Anweisungen zubrüllte: „Geht’s zuwe!“

Es war eine typische zweite Halbzeit. Abseitsstellungen wechselten mit Fehlpässen und auf dem Boden liegenden Akteuren, die zu Rosalinds Freude stets in Nahaufnahme gezeigt wurden. Sie hatte ihre rasierten Beine auf Konrads Schoß gelegt und ließ sie sich von ihm streicheln und massieren. Zum Ausgleich hatte sie seine Erdnussversorgung übernommen. Einmal schoben sich seine Hände etwas unter ihren Rock, was sie mit einem unmissverständlichen „Foul an der Strafraumgrenze!“ und fünfminütigem Erdnussentzug quittierte.
Die löchrige Abwehr der Österreicher bescherte den Deutschen noch eine Hand voll bester Gelegenheiten, die sie aber leichtfertig vergaben. „Tore, die man nicht schießt, die bekommt man“, überbrückte der Sprecher eine Verletzungsunterbrechung. Rosalind grinste, als habe er einen anzüglichen Witz gemacht und leckte sich einen Erdnusskrümel von den fett-salzigen Lippen.

Sie ärgerte sich, als Löw ausgerechnet den jungen Clemens Fritz heraus nahm und durch den wenig attraktiven Hilbert ersetzte. Sie fand, dass Fritz durchaus eine gute Figur gemacht hatte.
„So verlieren wir noch“, sagte sie und rieb unruhig ihren Fuß auf Konrads Oberschenkel. Der griff nach ihren Fesseln und dirigierte sie ein bisschen höher und weiter ins Mittelfeld. Als Rosalind spürte, wie seine alte Muskelverhärtung wieder aufbrach, schmiegte sie ihre Sohle ein wenig fester an ihn. Er schaute sie vorwurfsvoll an. „Gefährliches Spiel!“
Sie hörte aber nicht auf mit dem Schmiegen.
„Wir erkennen auf Vorteil!“ sagte sie und grinste herausfordernd. „Du bist ja im Ballbesitz.“ Mit den Zehen machte sie ihm klar, welche Bälle sie meinte. Durch das langweilige Geschiebe auf dem Bildschirm und das ganz und gar nicht langweilige Forechecking seiner Frau wurde auch Konrad mutiger.
„Revanchefoul!“ Er schob seine Finger unter ihren Pulli und sie ließ ihn gewähren, obwohl das klares Handspiel war.
„Alles sieht nach einem sicheren Sieg für unsere Elf aus, aber vergessen wir eines nicht...“ Die Kicker droschen planlos das runde Leder durch die Luft und der Sprecher die nächste Phrase: „Der Ball ist rund.“
„Plural, mein Lieber, Plural!“ Ballverliebt spielte Konrad weiter, während Rosalind offensiv in die Spitze ging. Sie schaute ihm dabei in seine braunen Augen. Ganz in ihre Blicke und in ihre spannende Begegnung vertieft, zuckten sie zusammen, als Österreich den Anschlusstreffer erzielte.

„Da haben wir den Salat!“ Schmollend zog sie ihren Fuß aus seinem Schoß und seine Hand unter ihrem Pulli zurück. Er war über das abrupte Ende ihrer ganz privaten Abtastphase viel enttäuschter als über den Gegentreffer.
„Metzelder!“ benannte er vorwurfsvoll den in beiderlei Hinsicht Schuldigen, dessen peinlicher Fehlpass in der eigenen Verteidigung das Tor ermöglicht hatte. Konrad wusste, dass mit Rosalind in einer solchen Situation nicht gut Erdnussessen war, und vertiefte sich ohne große Begeisterung wieder in das Geschehen auf dem Monitor.
Jogis Mannen hingegen konzentrierten sich immer weniger auf das Spiel und so häuften sich die brenzligen Situationen. In der fünfundsiebzigsten Minute säbelte Frings den flinken Harnik zwanzig Meter vor dem Tor einfach um und erhielt die rote Karte. „Ein sensationeller Freistoß! Ein traumhaftes Ballgefühl!“ schwärmte der Reporter bei Ivanschitzs Ausgleichstreffer in der Zeitlupe.

Rosalind hielt sich die Hände vors Gesicht. Ihr Mann umarmte sie tröstend von hinten und inhalierte den Melonenduft ihrer Körperlotion.
„Ich will auch sofort wieder traumhaftes Ballgefühl haben. Und dann einen Freistoß!“ flüsterte er ihr lüstern ins Ohr. Für ein paar Sekunden rührte sie sich nicht, und er bereitete sich auf einen Feldverweis vor.
„Aber Konrad! Ausgerechnet in dieser wichtigen Phase?“ Er sah aber ihre Augen blitzen und ihre Mundwinkel bewegten sich leicht nach oben.
„Och, möchtest du etwa auf die Verlängerung warten? Dabei wäre er doch schon lang genug“, neckte er sie.
„Aber der Ton bleibt an, ja?“ Rosalind drehte sich um und küsste ihn. Kaum spürbar erst, ganz sanft auf die Lippen. Dann ein kleines bisschen heftiger. Sie spielte mit seiner Zunge und zeigte als Schmankerl ein technisch sauberes Dribbling. Ihre Gedanken waren aber gar nicht mehr sauber, ebenso wenig wie die verschwitzten Trikots beider Mannschaften.

„Jetzt scheinen sie noch einmal alles zu geben, die Österreicher!“ dröhnte es aus dem Lautsprecher und Rosalind flüsterte: „Gibst du mir auch alles, was du hast?“
Konrad nickte, nahm sie in seine kräftigen Biochemiker-Arme und legte sie auf die Ersatzbank. Ihre Abwehr war längst außer Gefecht, als er ihr den Rock höher und den hellgrünen Slip zur Seite schob. Den Fernsehkommentar nahmen beide jetzt nur noch als Wortfetzen wahr. „Schauen Sie nur, wie da am Stoff gezerrt wird!“ Gemeint war allerdings das Trikot von Ballack, der inzwischen nur noch über den Platz humpelte. „Es wird Zeit, dass er rausgenommen wird.“ Das fand Rosalind allerdings auch und knöpfte freudig Konrads Hose auf. „Wir bräuchten jetzt jemanden, der zupacken kann. Das täte dem Spiel gut.“ Rosalind konnte. Und Konrad tat es gut. „In dieser Situation muss Löw Fingerspitzengefühl beweisen.“

Die Beiden auf der Ersatzbank mussten nichts mehr beweisen. Sie fühlten die Fingerspitzen des anderen und schauten sich gierig und leise stöhnend in die Augen. Was dann folgte war gleichermaßen Kellerduell und Spitzenspiel. Konrad wurde offensiver, und Rosalind konnte und wollte seinen Angriffen nichts mehr entgegensetzen. Sie warf ihren Kopf nach hinten und schrie auf. Konzentrierte sich nur noch auf ihren Körper. Seine Hände. Ihre Lust. Seine Zunge. Er genoss es, wenn seine Frau so die Kontrolle über sich verlor.
„Gib ihn mir. Bitte gib ihn mir. Du!“ bettelte sie.
„Was soll ich dir geben?“ fragte er, während er sie nun streichelte. Ganz liebevoll und sanft, nur mit der Sturmspitze sozusagen. „Was willst du denn, Baby?“
„Die Latte!“, tönte es aus dem Fernseher und Rosalind nickte nur.
„Ja, genau. Das will ich.“

Konrad ließ sie noch etwas schmoren. Er liebte es, sie durch kleine Phallrückzieher verrückt zu machen und auf Zeit zu spielen. Er würde schon noch auf seine Kosten kommen. Wie hatte Hickersberger in der Pause so schön gesagt: „Wir werden die Wuchtel schon noch im Netz versenken.“
Sie spreizte einladend die Beine, aber Konrad wollte sich vorher noch ein bisschen warmlaufen und sein Spieler drängte sich zwischen ihre weichwarmen Brüste, die ihn jedoch sofort in die Zange nahmen.
Er streichelte dabei sanft Rosalinds lindrosa Brustwarzen. Als der Druck immer stärker wurde, verwarnte sie ihn: „Die Begegnung droht etwas einseitig zu werden, Darling!“
Gehorsam änderte er seine Taktik und suchte den direkten Weg zum Tor. Während seine Hände so fest nach ihrem Po griffen, wie Jens Lehmann nach dem Ball, spielte er mit der Zunge gefühlvoll in die Tiefe. Durch das Stadion ging ein Raunen, als Martin Stranzl den Pfosten traf, durch das Wohnzimmer ging Rosalinds Stöhnen.

In Wien entwickelte sich die Auseinandersetzung zusehends zur regelrechten Fehde. Immer offensichtlicher wurde gefoult und schließlich flog auch der Österreicher Standfest vom Platz. „Wer so von hinten einsteigt, der muss einfach Rot sehen“, stellte der Sprecher fachkundig fest. Wenn es so war, wollte Konrad auch Rot sehen. Seine Frau kniete sich auf den Teppich, so dass beide einen guten Blick auf den Fernseher hatten.
Der Reporter sah nun „Torchancen hüben wie drüben“, das Spiel auf ein Tor im Wohnzimmer sah er aber nicht. „Jetzt ist alles drin!“ kam es aus dem Lautsprecher, und das spürte auch Rosalind beim nächsten Tempogegenstoß. Längst war das Stadionpublikum aufgewacht. „Da kommt sie endlich, die La-Ola-Welle“, brachte der Kommentator seine unvermeidliche Tautologie. Auch bei Rosalind kamen sie endlich, die ersehnten Wellen, die ihr aus der Möse durch Bauch, Brust und Rückenmark bis ins Gehirn liefen und von dort mehrfach zurückschwappten. Der gute Blick auf den Bildschirm war dabei zweitrangig, und der Ton war ohnehin nicht mehr zu hören.

Konrad befand sich somit bereits in der Nachspielzeit, als Harnik sich in der eigenen Hälfte den Ball erkämpfte und zu einen atemberaubenden Solo ansetzte. „Was für ein brillanter Techniker! Jetzt könnte er frei zum Schuss kommen!“ Das ließ sich Konrad nicht zweimal sagen.
„Jaaaaa!“ entfuhr es ihm befreit.
„Neeeiiin!“ schrie Rosalind gleichzeitig.
Nicht, dass sie ihm seinen Orgasmus nicht gegönnt hätte, ganz im Gegenteil. Aber während er gekommen war, hatte auch Harnik einen Treffer gelandet, genau in den rechten Torwinkel.

Konrad ließ sich erschöpft nach hinten fallen und zog sie in seine Arme. Rosalind weinte. Aber sie weinte oft nach einem Höhepunkt, wenn die ganze Spannung sich auflöste und Nähe und Vertrautheit die Erregung ablösten.
„Der Geist von Cordoba ist auferstanden! Eine blamable Niederlage, wenn auch nur in einem Freundschaftsspiel.“
Die Beiden hingegen genossen erschöpft den gemeinsamen Sieg in ihrem Liebesspiel. Konrad drückte auf die Eject-Taste des Videorekorders. Deutschland-Österreich 2008 stand auf dem abgegriffenen Etikett der Kassette.

„Immer wieder spannend, oder?“ Rosalind lächelte zufrieden.

Dienstag, 29. Januar 2008

Generalprobe

Gleißendes Scheinwerferlicht
zaubert Schweißperlen
aufs Gesicht

Stolz der Blick
und sicher
Die Zuschauer hängen
an meinen Lippen

In mein Lächeln
schwindelt sich geübt
eine Prise Bescheidenheit

Kokett zupfe ich
das Kleine Schwarze zurecht
und raune ins Mikro:
„Schön, dass Sie gekommen sind“

Mein Lächeln
gilt dem Bild im Taschenspiegel
das Mikro – eine leere Bierflasche

Statt greller Spots
kämpft die Nachtkästchenlampe
gegen die Dunkelheit

Das samtene Kleid
entpuppt sich als Nachthemd
der Applaus tost -
aus den Kopfhörern

"Schön, dass Sie gekommen sind",
hauche ich

Doch das Publikum
im Bett neben mir
schnarcht schon

Donnerstag, 24. Januar 2008

Die Geschichte vom leidenden Löwen

In der Savanne lebte ein Löwe. Ein prächtiger Löwe mit mächtiger Mähne. Er war der schönste weit und breit, der stolzeste, und er brüllte lauter und tiefer als sämtliche Tiere der Steppe.
Der Löwe liebte eine Gazelle. Eine Damagazelle, sie war im Gegensatz zu ihren unifarbenen Artgenossinnen gemustert und hatte einen weißen Fleck an der Kehle, der sie zu etwas ganz Besonderem machte. Der Löwe nannte sie zärtlich „meine Dramagazelle“, denn er liebte nicht nur die Gazelle und das Leben, er liebte auch das Drama. Tiefe Leidenschaften, große Gefühle, heftige Szenen. Großes Theater - wie es sich für den König der Savanne ziemte.
Auch die Gazelle liebte den Löwen von ganzem Herzen, sie schätzte das Vertraute und bewunderte das Fremde in ihm. Die Gier, mit der er die Fleischlieferung verschlang, die vom Lastwagen fiel, der das nahe Hotel belieferte. Sie beneidete ihn um seinen Hang zum Müßiggang und die Leichtigkeit seines Seins, die – aber das entdeckte die Gazelle erst später – oft mehr Schein als Sein war. Während die anderen Bewohner der Savanne jagten und sammelten, ums Überleben kämpften oder auf der Flucht waren, lehnte der Löwe an einem Baum und philosophierte.
In die Bewunderung der Gazelle mischte sich manchmal die Angst. Nämlich dann, wenn er seine Pranken ausfuhr, sie zärtlich damit kraulte und ihr ins Ohr flüsterte: „Ich hab dich zum Fressen gern.“

Als eines Tages der Löwe wieder einmal in der Sonne lag, sich von Hyänen und Erdmännchen bewundern und befürchten ließ und ihnen Abenteuer aus seinem Leben erzählte, hüpfte die Gazelle, die das Stillsitzen nicht gewohnt war, über die grasbedeckten Hügel an einen nahen See. Und ohne dass der Löwe eingreifen konnte, nahm die Geschichte ihren Lauf. Noch ehe die Sonne untergegangen war, waren Gazelle und Springbock ein Paar.

„Mein Dramagazellchen hat mir Hörner aufgesetzt“, vergaß der stolze Löwe seinen Stolz und schluchzte. So heftig schluchzte er, dass der trockene Boden zitterte.
„Hilfe! Ein Erdbeben!“ Die Erdmännchen, die das Paar seit vielen Jahren kannten und schätzten, krochen aus ihren Löchern. Sie sahen den leidenden Löwen und hatten großes Mitleid mit ihm.
„Wenn es wenigstens ein anderer Löwe wäre!“, fauchte der Löwe wütend, „aber nein, ein Bock. Ein geiler Bock. Ein Pflanzenfresser! Der weiß ja nicht einmal, wie man eine Hyäne reißt!“

„Die Damagazelle war sehr, sehr böse“, raunten die Erdmännchen dem Löwen zu, „weil sie dir so weh getan hat. Sie wird sich bestimmt bald besinnen, dass der Neue nicht zu ihr passt und dass du viel schöner und klüger bist als dieser Bock, der so seltsam über Stock und Stein springt.“

Der Affenbrotbaum, an dem der Löwe Tag für Tag sein Fell rieb, lauschte den Worten der Erdmännchen und schüttelte ein paar Blätter ab. Viel hatte er gesehen hier in der Savanne in den letzten tausend Jahren, und viel hatte er erlebt. An manches aber würde er sich nie gewöhnen.
„Kein Baum sagt einem anderen, wie er wachsen soll“, dachte er, „wann verstehen das die Vier- und Zweibeiner endlich?“

Der Löwe klagte allen Tieren des Landes sein Leid.
„Schau her“, zeigte er dem Tiger das Schlammloch, das er sich aus Kummer gegraben und mit Tränen gefüllt hatte, „schau, wie dreckig es mir geht. Bring mir die Gazelle wieder zurück, du bist doch ihr Freund. Und meiner. Wir Raubkatzen müssen jetzt zusammenhalten!“
„Hm“, knurrte der Tiger und wusste keinen Rat, denn für die Weisheit war die Schleiereule zuständig, die ganz oben im Geäst des Baumes lebte, aber nur am ersten Vollmond im Jahr Gäste empfing. „Ich will doch nur“, fuhr der Tiger fort, „dass die Gazelle glücklich ist, egal mit wem. Und ich will, dass auch du glücklich bist, auch egal mit wem. Vor allem aber will ich, dass ich glücklich bin. Nicht egal, mit wem.“

In einer Höhle im afrikanischen Baobab, wie der Affenbrotbaum heißt, hockte ein Langflügelpapagei und sang ein trauriges, aber wunderschönes Lied. „Das Glück ist ein Vogerl“, flötete er, „wenn es bei dir ist, kannst du es kurz fest halten, aber du darfst es nicht festhalten, sonst erstickt es. Du musst es fliegen lassen“, und schon flog er davon, der Papagei mit den bunten Kleidern und der schönen Stimme.

Keiner kann mir helfen, grummelte der Löwe und schlief traurig ein.
Nur ich selbst kann mir helfen, dachte er, als er aufwachte, denn er hatte bemerkt, dass die Traurigkeit für jemanden, der das Leben und die Lust liebte, auf die Dauer alles andere als lustig war. Außerdem fühlte er sich nicht mehr wohl in seiner schlammverkrusteten Haut und mit seiner verklebten Mähne. Bestimmt sah er richtig jämmerlich aus.
Als die Sonne aufging, stapfte er zur Quelle und spülte sich den Kummer vom Körper. Als er sauber war, besah er seinen Löwenleib im Wasserspiegel. Das Fell glänzte wieder und sein Schwanz war geschmeidig und weich. Sein Körper war voller Narben, die das Leben ihm zugefügt hatte. Und ich habe sie alle überlebt, dachte er stolz. Jede einzige. So oft, wie ich hingefallen bin, bin ich auch wieder aufgestanden.
Er trank von dem klaren Wasser und blickte in die Weite der Savanne. In der Ferne erkannte er die funkelnden Augen einen Gepardin.

Bevor er sich auf den Weg machte, blickte er noch einmal zurück. Zurück auf seine Vergangenheit und die aufregende Zeit mit der Gazelle. Es tat noch immer weh. Trotzdem sagte er: „Ich wünsche dir alles Glück der Welt.“

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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Wie geht es unserer Testsiegerin?
Wie geht es unserer Testsiegerin?
Lo - 5. Feb, 17:25
Vielen Dank! Du findest...
Vielen Dank! Du findest mehr von mir auf facebook ;-)
testsiegerin - 30. Jan, 10:40
Kurschatten ' echt keinen...
auch wenn diese deine Kur schon im Juni...xx? war,...
kontor111 - 29. Jan, 09:13
zum entspannen...Angel...meint
wenn ich das nächste Mal im Bett liege, mich verzweifelt...
kontor111 - 29. Jan, 08:44
"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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