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Montag, 9. Juli 2007

Wie kommt das Salz ins Meer

"Wie kommt das Salz ins Meer", wollte sie wissen, nach der ersten gemeinsamen Nacht in dem alten, grünen Boot, das nach Freiheit und Fisch stank.
"Mit meinen bloßen Händen habe ich es hineingeschaufelt, damit das Meer dich trägt." Er streckte seine Arme nach ihr aus. "Können diese Hände lügen?" Sie ergriff sie, las aus ihnen eine gemeinsame Zukunft, und kostete von den salzigen Fingern. Sie verlor den Boden unter den Füßen, ertrank in seinem brennenden Blick und wurde in seinen Lügen biegsam und weich.
Später dann streute er ihr Sand in die Augen und versalzte Suppe und Leben. Die letzten Krümel verteilte er in den offenen Wunden, die er ihr zuvor zugefügt hatte.

Wieder sitzt sie am Strand und hält eine Muschel ans Ohr. "Wenn es brennt, heilt es", hört sie die Worte ihrer Mutter und ihr Vater fügt hinzu: "So lange du es spürst, bist du lebendig. Vorbei ist es erst, wenn dir nichts mehr weh tut."



"Wie kommt das Salz ins Meer", fragt das Kind.
"Irgendwann wirst du so schwer, dass ich dich nicht mehr tragen kann", sagt sie die Wahrheit, "deshalb habe ich es mit meinen Händen hineingeschaufelt, damit wenigstens das Meer dich trägt."
"Aber es brennt", brüllt das Kind und reibt sich die Augen.
"Ich weiß", flüstert sie, wiegt es im Arm und macht am Horizont ein Fischerboot aus. "Es muss brennen, damit es heilen kann. "

Samstag, 16. Juni 2007

Die nackte Wahrheit

Wieso ist die Wahrheit eigentlich immer nackt?
Ich meine, die Gute ist ja nun auch nicht mehr die Jüngste. Ist es ihr nicht peinlich, wenn sie – egal, wohin sie geht – nackt auftritt? Schämt sie sich nicht, uns mit diesem Anblick so penetrant zu belästigen?
Also, wäre ich die Wahrheit, ich würde wenigstens in einen Schlüpfer schlüpfen. Nicht nur der bedrohten Wörter wegen, sondern wegen der Scham. Aber die Wahrheit scheißt sich nichts, reißt sich die Kleider vom runzligen Leib und benimmt sich so ... so überlegen irgendwie. Immer will sie recht haben. Und dann dieser Sauberkeitsfimmel. „Ich bin die reine Wahrheit“, pflegt sie zu sagen. Ja, sie hat nie so schmutzige Fingernägel wie ich, wahrscheinlich wühlt sie mit ihren Händen nie in der feuchten Erde und der Dreck geht sie einen Dreck an.
Vielleicht ist die Wahrheit ja auch bettelarm und kann sich keine Klamotten leisten? Nein, die Caritas würde ihr welche schenken. Ich auch.
Sie merken schon, sie nervt mich. Die reine, nackte Wahrheit. Diese Nudistenfreundin der Tatsachen und des Wahnsinns. Sie merkt nicht einmal, wie oft und wie sehr sie Menschen mit ihrer übertriebenen Ehrlichkeit verletzt. Das ist ihr auch völlig egal, darum geht’s ihr nämlich gar nicht, um Mitmenschlichkeit und funktionierende Beziehungen. Dafür bin ich nicht zuständig, winkt sie herablassend ab.
Und trotzdem, wenn man genau hinschaut, glücklich wirkt sie ganz und gar nicht. Sie wird zwar bewundert und begehrt, aber in Wahrheit haben die Menschen Angst vor ihr. Große Angst. Weil wir uns selbst ständig schuldig und nackt fühlen, wenn sie uns mit ihrem durchdringenden Blick ansieht?
Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, sehe ich an ihrer Gänsehaut, wie sie fröstelt. Und weil ich Mitleid habe, werfe ich ihr einen Mantel zu. Einen, der aus menschlicher Wärme und Notlügen gewebt ist. Genäht mit einem feinem Augenzwinkern. Ich hoffe, sie behält ihn an.
Ach ja, das mit der Hoffnung, das ist auch so eine Sache. Man meint zwar, sie wäre positiv und immer gut gelaunt. Irrtum, sie ist total egoistisch. Rundherum sterben die Gefühle, sie schaut gleichgültig zu, macht auf generös und lässt allen den Vortritt. In Wahrheit hat sie Angst. Angst vor dem Tod. Deshalb stirbt die Hoffnung immer zuletzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Mittwoch, 13. Juni 2007

Fettes Kleinod

Mein Beitrag zur Rettung der bedrohten Wörter:

(Im Raprhythmus zu rezitieren)

Hey Meister hör mal zu, die alten Wörter kratzen ab
darunter lauter solche Worte, die ich nie gesehen hab
Diese Nummer geht mir eigentlich total am Arsch vorbei
aber meine neue Alte macht deswegen so’n Geschrei
Ich soll verhindern, dass die Laberei den Bach runtergeht
hat mein Augenstern mit Sternen in den Augen gefleht
und als ob ich nicht verfickt noch mal genug der Sorgen hätte
will sie jetzt auch noch, dass ich die welke deutsche Sprache rette

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Sie hat gestöhnt: Oh, wie ist mir blümerant zumute
Ich sage, gut, also lass uns endlich vögeln, meine Gute
Statt zu bumsen schleppt sie mich dann in ein Lichtspielhaus
aber glaubst du diese Schnalle zieht den Schlüpfer aus?
Wie so oft in meinem Leben ist das Glück mir nicht hold
Diese ungeile Bitch, sie hat das Fummeln nicht gewollt
Ich krieg eine geknallt und sie benimmt sich voll krass
„Du Dreikäsehoch“, ätzt sie „mit dir macht das keinen Spaß“

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Alles Bauchpinseln hilft nichts, die hat wirklich einen Schuss
Teilt mir fernmündlich mit, mit uns beiden ist jetzt Schluss
Nun hab ich die Weiber satt, sie sind mir zu kompliziert
deshalb hab ich mich auf die bedrohten Wörter konzentriert
Hab die Sprache selbst einmal mit Schweißfüßen getreten
doch nun werd ich sie für euch vor dem Dahinscheiden retten
Für die Behüter der Relikte wurd’ ich über Nacht zum Held
das ist Labsal für meine Rapperseele und echt fetter als Geld

Scheintot
kleiner Tod
Weinrot
kein Brot
ist so fett wie Kleinod

Sonntag, 3. Juni 2007

Coming out

Gregor war nicht schwarz, nicht schwul und nicht schwindsüchtig. Er war kein Kommunist und kein Mormone. Und trotzdem gehörte er einer Minderheit an.
Seine Frau wusste nichts davon. Sie hätte es ohnehin nicht fassen können. Auch Ferdinand und Wolf waren ahnungslos. „Komm Gregor, trink noch ein Bier!“, würden sie ihn auslachen. Gewiss, sogar Wolf pinkelte im Sitzen und Ferdinand putzte manchmal das Klo, aber was jetzt in ihm vorging, das würden sie nicht verstehen. Dabei war Gregor weder ein Weichei noch ein Schlappschwanz. Er konnte rückwärts einparken, kleidete sich ebenso schlecht wie andere Männer auch und schraubte mit kindlicher Begeisterung IKEA-Regale zusammen. Montags bis freitags arbeitete er im Labor, mittwochs ging er zum Sport und samstags zum Angeln.
Und doch. Er war anders. Anders als die anderen.
Alle zwei Monate schwänzte er den Sport und fuhr heimlich zum Flughafen. Dort kannte ihn niemand, außer der freundlichen Frau am Kiosk, die ihm lächelnd das Gewünschte aushändigte. Gregor schaute nervös nach allen Seiten, bevor er die Emma zusammenrollte und in der Jackentasche verschwinden ließ.
*

Gregor entriegelte die oberste Lade seines Schreibtisches, kramte nach dem Umschlag und nahm den Brief heraus. Sehr geehrte Frau Felber, stand da. Woher hätten sie auch wissen sollen, dass G. Felber keine Frau war? Wir freuen uns, Sie beim diesjährigen feministischen Kongress begrüßen zu dürfen, der unter dem Motto Gleich! Berechtigung steht, und haben Sie für den Arbeitskreis Geschlechtliche Diskriminierung im Alltag - erfahren, empfinden, entgegnen vorgemerkt.
*

Gregor atmete noch einmal tief durch, bevor er das Tagungszentrum betrat. In der Eingangshalle standen Frauen in kleinen Gruppen zusammen.
Kaum hatte er das Foyer betreten, als ihn auch schon eine kräftige Hand an der Schulter packte. Erschrocken drehte er sich um und blickte einer drallen Rothaarigen ins Gesicht, die ihn nervös ansah.
„Gut, dass Sie da sind“, keuchte sie hastig und zog ihn am Arm. „Kommen Sie mit!“
Noch ehe Gregor ein Wort erwidern konnte, hatte sie ihn durch eine schwere Eisentür in einen dunklen Raum geschoben, in dem es nach Öl und Elektrizität roch. Ihm wurde mulmig.
„Bitte, Herr Katschmarek!“, bedrängte sie ihn. „In zehn Minuten soll es losgehen, und wir haben in der Küche weder Strom noch Heizung. Das Mineralwasser wird warm und der Kaffee bleibt kalt.“ Gregor seufzte erleichtert auf. Sie hielt ihn offensichtlich für den Hausmeister. Er krempelte die Ärmel hoch. Dann starrte er auf die vielen Drähte und Schalter vor sich und fühlte sich plötzlich sehr hilflos. Er war Chemiker, kein Elektriker.

„Vielleicht ist ja nur eine Sicherung durchgebrannt“, versuchte er es. „Wo ist denn der Schutzschalter?“
“Wer soll das wissen, wenn nicht Sie?“, begann die Rothaarige sich aufzuregen. Er legte sich gerade die Worte zurecht, mit denen er das Missverständnis aufklären wollte, als die Tür aufging und sich noch zwei Frauen hereindrängten. Sie trugen Latzhosen. Mit der Aufschrift Donna & Blitz. Die Elektrikerinnen.
„Na, dann brauchen wir Sie wohl nicht mehr”, verabschiedete die Rothaarige ihn und wandte sich den Profis zu.
*

Er ging mit erhobenem Haupt an den Frauen in der Halle vorbei, um ihren Blicken nicht begegnen zu müssen. Gregor nahm verschämt in der hintersten Reihe Platz. Sollten sie ihn doch alle für den Katschmarek halten.
Während vorne die Stadträtin ihre Begrüßung herunterbetete, ließ sich ausgerechnet die Rothaarige seufzend neben ihn auf den Klappsitz plumpsen. Gregor lächelte ihr unsicher zu, sie blickte ihn interessiert an. Was wollte die denn jetzt schon wieder von ihm?

„Sie sind gar nicht der Hausmeister, stimmt's?“
Er nickte. „Stimmt. Ich bin nicht der Hausmeister.“
„Sind Sie von der Presse?“
Gregor schüttelte den Kopf.
„Politiker?“
„Nein, nichts dergleichen. Ich bin ein ganz normaler Konferenzteilnehmer. Ich bin ...“, er holte noch mal Luft, „...ich bin Feminist.“ Jetzt war es draußen.
„Margot Hübner.“ Sie schüttelte ihm unerschrocken die Hand. „Ich koordiniere die Abläufe hier.“
„Gregor Felber. Ich hoffe, ich störe Ihre Abläufe nicht.“
*

Information ist Macht war der Titel des ersten Referats. Es ging um die digitale Kluft zwischen den Geschlechtern. Er zuckte immer zusammen, wenn es die Männer hieß. Und er spürte, wie manche Frauen ihn von der Seite betrachteten. In ihren Augen war er bestimmt einer von denen. Eines dieser Schweine, die Frauen klein halten wollten und ihnen den Zugang zur Information und damit zur Macht verwehrten. Aber was konnte er denn dafür, dass seine Frau sich einfach nicht für den Computer interessierte? Gleich morgen beim Frühstück würde er das zum Thema machen und ihr seinen neuen Laptop schenken.

In der Pause stellte er sich unsicher zu einer kleinen Gruppe von Frauen.
„Was machen Sie denn hier?“, fragte eine von ihnen, die sich gerade eine Zigarette anzündete.
„Ich bin Feminist“, antwortete Gregor.
„Feminist? Ich dachte, dieses Wort existiert nur in der weiblichen Form?“ Die zierliche Dunkelhaarige schien Germanistin zu sein.
Ich reduziere sie auf Haarfarbe und Figur, ertappte sich Gregor. Auch das musste sich ändern.
Er hielt ihr einen Zettel unter die Nase.
„Sehen Sie mal. Ich habe diesen Test gemacht.“
SIND SIE FEMINISTIN? stand in Großbuchstaben auf dem Blatt Papier. „Ich habe 28 von 30 möglichen Punkten. Ich bin also waschechter Feminist.“ Gregor konnte sich gar nicht mehr erinnern, seit wann er feministisch fühlte und dachte. Es war immer schon in ihm.
„Haben Sie keine eigenen Probleme, um die Sie sich kümmern können?“, provozierte ihn eine Frau mit Sommersprossen, die zufällig blond war.
„Doch“, entgegnete Gregor ruhig. „Ich habe genug Probleme. Unser Sohn wurde beim Klauen erwischt, der Mazda hat einen hoffnungslos durchgerosteten Unterboden und mein Cholesterinspiegel ist zu hoch. Aber wo kommen wir denn hin, wenn sich jeder nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmert und keiner mehr für seine Ideale kämpft?“
„Wo er Recht hat, hat er Recht.“ Die vermeintliche Germanistin nickte wohlwollend und wandte sich wieder an ihn: „Ich find es ganz schön mutig, dass Sie hier teilnehmen.“
„Also, herzlich willkommen im Namen der Gleichberechtigung“, stimmte eine andere zu.
Gregor genoss die Akzeptanz durch die Frauen, ähnlich wie damals, als er in der Jugendfußballmannschaft sein erstes Tor geschossen hatte und danach richtig zur Mannschaft gehörte.

“Wer hat denn den süßen Kerl mitgebracht?”, fragte eine zarte blasse Frau in die Runde und leckte sich die Lippen.

Gregor spürte, wie er rot wurde. Eine der Frauen kicherte. Erst war er der Hausmeister und jetzt irgendein Schatzibutzi. Die nahmen ihn hier nicht ernst, nur weil er ein Mann war.
Wie gerne hätte er jetzt eine freche Antwort gegeben, aber dann wäre er gleich wieder ins Abseits gelaufen.
„Sind Sie etwa Chauvinistin?“, gab er mutig zurück.
Eine Glocke beendete die Pause. Mehr wie im Boxring als auf dem grünen Rasen, dachte Gregor.
*

Die nächste Runde hieß Workshop und Gregor traute sich nicht in den Ring. Die meisten Frauen saßen schon im Kreis, während er draußen nervös auf und ab ging. Dabei könnte er nach seinen heutigen Erfahrungen wahrlich genug zur alltäglichen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beitragen. Er überlegte gerade, ob er sich den Schlägen unter die Gürtellinie wirklich aussetzen oder nicht doch lieber das Handtuch werfen sollte, als Margot ihm über den Weg lief.
„Verfolgen Sie mich?“, grummelte er gereizt. „Ich komme auch ohne Ihre Unterstützung ganz gut klar.“ Das war gelogen. Sie lachte und hängte sich bei ihm ein.
„Ich leite den Arbeitskreis.“ Sie tätschelte beruhigend seine Wange. „Und wir zwei gehen da jetzt ganz tapfer hinein.“
Das hatte seine Mutter damals auch gesagt, als er mit acht Jahren zur Mandeloperation ins Krankenhaus musste. Weder seine Mutter noch Margot hatten in der jeweiligen Situation große Tapferkeit beweisen müssen. Und ebenso wie damals ließ er sich jetzt willenlos zum Helden rekrutieren.
Margot stopfte Gregor auf einen freien Platz, ausgerechnet zwischen der zartblassen Chauvinistin und der germanistischen Dunkelhaarigen.

„Liebe Feministinnen“, begann Margot. „Und liebe Feministen“, ergänzte sie. Gregor spürte ein Dutzend Augenpaare wie Rasierklingen auf der Haut.
„Wenn der Schwanzträger bleibt, geh ich“, revoltierte prompt eine Teilnehmerin und zerbrach theatralisch ihren Bleistift. Ein paar Frauen applaudierten und Gregor zuckte unter dem seelischen Schmerz zusammen.
„Männer in den Herd!“, schrie eine andere, wurde aber dafür ausgepfiffen. Margots Beschwichtigungsversuche gingen im allgemeinen Tumult unter.
Gregor fühlte sich schuldig, weil er die Frauen mit seiner bloßen Anwesenheit so aus dem Konzept gebracht hatte. Seite an Seite hatte er mit ihnen für die Emanzipation kämpfen wollen, nicht gegen sie. Aber er passte wohl nicht ins Team. Gregor ging zu Margot und schüttelte ihr die Hand.
„Tut mir Leid, jetzt habe ich Ihre Abläufe doch gestört.“ Achselzuckend verließ er den Seminarraum.
„Warten Sie!“ Margot war ihm nachgelaufen und drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand. „Rufen Sie mich an. Bitte.“
*

Nachdenklich schlich Gregor zu seinem Wagen. Diesen Abend konnte er abhaken. Sein Coming out in der Familie und im Freundeskreis musste er bis auf weiteres verschieben. Hoffentlich erfuhr keiner etwas von seinem Versagen heute.
Mit der Rothaarigen würde er beizeiten telefonieren. Er nahm ihre Visitenkarte aus der Jackentasche. In der Tat, sie war Expertin für ungestörte Abläufe. Gregor lächelte und las:

Dr. med. Margot Hübner
Fachärztin für Urologie

Sonntag, 27. Mai 2007

Altmustersammlung

Stoffe, bedruckt mit „Das tut man nicht“
Tücher, umsäumt von Schuldgefühl
Taschen, gefüllt mit Ängsten und Scham
Jahrzehntelang mitgeschleppt
seit Generationen im Familienbesitz

Ausmustern

Ein schwarzweißes Korsett
gewebt aus Kleinkariertheit
von feinstem Garn, doch zu eng
(Vielleicht bewahre ich es für meine Tochter auf
falls das Leben ihr zu bunt
oder Kleinkariertes wieder modern wird)

Ausmustern

Kleider so dünnhäutig wie ich
Eine verstaubte Federboa
zum Auf- und Gefallen
sie stinkt nach Mottenkugeln
Ich schenke sie dem Pfau im Garten
und schlage ein Rad


Ein Paar Schutzengelflügel aus Kindertagen
Ob sie wohl noch tragen?

Dienstag, 22. Mai 2007

Die Wahr.sager

Sie kommen spät, meine Liebe
Ich öffne der Wahrheit die Tür
Schön ist sie und aufrecht und rein
Ich bin nicht die Liebe
nimmt sie neben der Lüge Platz
und ich bemerke die Ähnlichkeit der Beiden

Der Neid spuckt gerade
der Schönheit ins Gesicht
da klopft es.
Ich bin die Wahrheit
reicht die fette Fratze mir die Hand.
Ich auch
säuselt ihr hässlicher Begleiter

Aber, wende ich ein
die Wahrheit ist doch schon da
Sie stoßen mich zur Seite
und bringen die Schönheit zu Fall
Das Wahre ist nicht schön, sagt die Fette
Und das Schöne nicht wahr der Hässliche.

Hilflos schaue ich mich um
Wer rettet mich vor so viel Wahrheit?

Die Intelligenz ist eingeschlafen
in den Armen der Gelassenheit

Und das Schicksal
zuckt die Schultern
und lächelt

Montag, 21. Mai 2007

Zeit zu gehen ...

... murmelt das Gefühl
die Glut knistert nicht mehr
noch wärmt sie
Ich schlüpfe in meinen langen Mantel
lächle wehmütig in Richtung Theke

Zeit zu gehen

drängt es mich
ich trinke aus
der bitteren Neige
streichle sanft das staubige
Stofftier auf dem Sofa

Langsam
gehe ich zur Tür
schlucke die Tränen
dreh mich noch einmal um

Zeit zu gehen

... aber
irgendwer
muss doch die Plüschkatze füttern

Samstag, 19. Mai 2007

Haare

Haare. Haare. Und immer wieder Haare. Ich erinnere mich an Unmengen von Haaren, wenn ich an den Sommer bei Tante Ingrid denke. Schwarze, blonde, rote und graue.

Mein Vater hatte eine Glatze, aber das war in diesem August völlig egal, denn er lag zwei Meter unter der Erde auf dem Friedhof von Mühlbach. Meine Mutter lag mit einem gebrochenen Bein im zweiten Stock des Krankenhauses. Sie war ins Grab gefallen, als sie ihm „Du versoffenes Arschloch!“ hinterher gerufen hatte.

Zum Glück gab es Tante Ingrid. Sie schleifte mich zu sich nach Hause, zog den schwarzen Mantel aus und eine weiße Kleiderschürze an und ärgerte sich darüber, dass der Hut ihre Frisur zerdrückt hatte.
„Zum Spielen hab ich keine Zeit“, sagte sie, „ich muss nach der Mittagspause wieder das Geschäft aufsperren. Wennst magst, kannst den Holzkopf frisieren, Bub.“
Ich war überrascht. „Der Onkel Otto hat aber doch auch eine Glatze, so wie der Papa. Wie soll ich ihn da frisieren?“
„Ach Bub“, schüttelte die Tante den Kopf. Erst als wir im Friseursalon waren, verstand ich, was sie meinte. Dort stand nämlich ein Kopfmodell aus Holz, an dem die Lehrmädchen das Lockenwickeln lernten.

„Den nennen wir auch Onkel Otto“, flüsterte mir Agnes zu, die schon jede Menge Übung im Wickeln hatte. „Deine Tante weiß das aber nicht.“
„Natürlich weiß sie das“, schallte eine brummige Männerstimme durch den Salon.
Es roch nach feinen Damen, nach Dauerwellen und Trockenhauben. Und nach der Zigarre, die im Mundwinkel von Onkel Otto, dem ohne Holzkopf, eingeklemmt war. Mich wunderte, dass er mit dem Stumpen reden konnte, aber er hatte offensichtlich jahrelange Routine darin. Tante Ingrid hatte jedoch mindestens genauso viel Routine darin, ihm den Kopf zu waschen.
„Hier wird nicht geraucht, Ottilein“, sagte sie ihrem Gatten, „das ist nämlich mein Reich. Und tschüs!“ Mit diesen Worten zwängte sie den fetten Onkel durch die schmale Tür.

Auf die Dauer war es für einen Neunjährigen etwas fad, kleine Plastikröllchen in eine Kunstperücke einzuwickeln. Deshalb drückte mir Agnes einen großen Besen in die Hand.
„Hier gibt’s den ganzen Tag etwas zu fegen. Und dort drüben im Schrank ist der Schacht.“ Hinter der grauen Tür verbarg sich ein großes Loch, in dem sich die Haare der Kunden türmten.
Als Agnes und Tante Ingrid im Hinterzimmer Kaffee tranken, wühlte ich im Schacht nach den dichten blonden Haaren von Frau Paltram. Die Frau Paltram war meine Lehrerin, und wenn ich ihr während des Unterrichts über den seidigweichen Kopf streicheln wollte, klopfte sie mir mit dem Lineal auf die Finger und meine Mitschüler lachten mich aus.
Mama hatte auch blondes Haar, doch das war strähnig und fettig. Während ich so wühlte und fühlte, geriet mir etwas kleines, hartes zwischen die Finger. Ein Ring. Verstohlen blickte ich mich um, aber niemand hatte mich beobachtet. Ich ließ meinen Fund schnell in der Hosentasche verschwinden und verzog mich aufs Klo.
Ein Siegelring war das. Er passte genau auf meinen Mittelfinger, also gehörte er bestimmt einer Frau. Auf dem dunkelblauen Stein prangte in silbernen Initialen: G.P. - Gundula Paltram! Mir wurde warm.
Ich strich behutsam über den Stein und konnte dabei ihre Stimme hören. Schneiden, Waschen und Legen, Frau Ingrid. Ich drückte einen Kuss auf den Ring.
„Aber nein, Frau Paltram. Hier kommt gewiss nichts abhanden. Und Sie sind sicher, dass Sie ihn hier verloren haben? Hm, hm. Ja. Ich werde alles durchsuchen. Ja doch. Ja. Auf Wiederhören, Frau Paltram.“

Tante Ingrid trommelte ihr Personal zusammen. Sogar Onkel Otto durfte und musste in den Salon kommen. Silberner Siegelring. Lapislazuli. Initialen G.P. Die Fahndung lief auf Hochtouren. Und die leitende Kommissarin kniete höchstpersönlich vor dem haarigen Grab. Nach einer halben Stunde bestand ihre Ausbeute aus einem Hosenknopf, zwei Haarklammern und einem benutzten Kondom. Ein finsterer Blick traf Agnes, die am Abend immer das Geschäft abschloss.
Ich bilde mir noch immer ein, dass Onkel Otto in seiner Ecke errötete, als er sich eine Zigarre ansteckte.
Wenn ich jetzt den Ring aus der Hosentasche zog, würde ich als Dieb dastehen, als Taugenichts. Wenn ich ihn drin ließ, war ich einer. Der Sohn eines Nichtsnutzes. Tante Ingrid würde mich hinausschmeißen und ich müsste unter der Brücke am Mühlbach schlafen. Meine Mama würde sich vor lauter Gram auch das zweite Bein brechen.
Als sich alle im Herrenstudio tummelten, schlich ich unbemerkt in den Damensalon. Ich krabbelte über den Fußboden und schnippste den Ring unter einen der Frisierstühle. Dann sprang ich auf und flitzte wie ein Pfitschipfeil durch den ganzen Laden. „Ich hab ihn gefunden! Hurra!“
Tante Ingrid strich mir stolz über den Kopf und Agnes drückte mich an ihren Busen. Wahrscheinlich hatte sie Angst gehabt, dass sie erst nach Hause gehen durfte, wenn der Ring gefunden worden war. Ihre Motivation beschäftigte mich in diesem Augenblick aber nicht, Hauptsache, mein Gesicht war zwischen ihren warmen Brüsten.
„So ein braver Bub“, waren sich alle einig. Erst jetzt bemerkte Tante Ingrid den Qualm, nahm Onkel Otto die Zigarre aus dem Mund und hielt sie unters Wasser.
Und weil ich so ein braver Bub war, durfte ich den Ring mit einem langen Draht unter dem Stuhl hervorangeln. Dann griff mich die Tante bei der Hand und sagte: „Jetzt fahren wir beide zur Frau Paltram. Die wird staunen, wie tüchtig zu bist.“
Ich kletterte zu ihr ins Cabrio, einen Volkswagen 1600 Karmann Ghia. Noch heute kriege ich feuchte Hände, wenn ich so einen Wagen sehe. Tante Ingrid gab Gas. Der Motor heulte auf und mein Herz klopfte.

Die Frau Paltram saß im Garten, trank Pfefferminztee und las. Sie trug ein kurzes Kleid mit großen Veilchen drauf und ihre Beine lagen ausgestreckt auf einem Stuhl. Als sie uns sah, legte sie ihr Buch zur Seite und brachte Gläser und Kekse. Ich öffnete die Faust und sie schaute auf den Ring. Und dann strahlte sie, wie ich sie noch nie hab strahlen sehen. „Das ist aber lieb von dir, Gusti. Dafür darfst du dir was wünschen von mir.“
Jetzt wurde ich rot, denn am liebsten hätte ich mir gewünscht, endlich ihre Haare streicheln zu dürfen, oder dass auch sie mich an ihre Brust presste, aber das ging natürlich nicht. Auch eine gute Schulnote konnte ich mir schlecht wünschen, das war ihr bestimmt nicht erlaubt. Und so fand ich es fast schon ein bisschen gemein, dass ich mir selbst eine Belohnung ausdenken musste. Einerseits durfte ich nicht unverschämt sein, andererseits wollte ich mich nicht mit einer Kleinigkeit zufrieden geben.
„Am dringendsten braucht er gescheite Unterwäsche“, fiel mir die Tante ins Wort, noch bevor ich überhaupt eines von mir gegeben hatte.
Hätte Tante Ingrid gesagt, dass ich mir eine Spielzeugeisenbahn wünsche oder sogar ein Buch, hätte ich freundlich geschaut und mich artig bedankt. So aber blitzten meine Augen zornig. „Das ist nicht wahr! Ich will keine Unterhosen. Was ich mir wirklich wünsche ist, dass Sie mich adoptieren, Frau Lehrerin“, platzte es mir in der Aufregung heraus.
Tante Ingrid verpasste mir eine Ohrfeige und Frau Paltram begann bitterlich zu weinen. Erst am nächsten Tag erfuhr ich, warum.

Auf dem Rückweg klopfte der Motor und ich heulte. „Hör auf zu flennen, du frecher Bengel“, sagte die Tante ein halbes Dutzend Mal zu mir, aber den Gefallen tat ich ihr nicht. Im Gegenzug steckte sie mich ohne Abendessen ins Bett, was nicht so schlimm war, weil mir der Appetit ohnehin vergangen war.
Ich nahm mir vor, das ganze am nächsten Morgen in einen Hungerstreik umzuwandeln.
Als ich wach wurde, stand Tante Ingrid längst schnippelnd, lockenwickelnd und fönend in ihrem Salon. Onkel Otto saß mit der Zigarre im Mund und der Zeitung in den Händen am Küchentisch. Er nickte mir freundlich zu, wobei ihm eine Portion Asche auf den Sportteil rieselte.
Angesichts des gezuckerten Marmeladekrapfens vor mir setzte ich den geplanten Hungerstreik kurzfristig aus und biss in das duftende Gebäck.
„Adoptiert willst werden von der Lehrerin?“ Es war das erste Mal, dass Onkel Otto mich direkt ansprach.
Ich schwieg, erstens, weil es mir peinlich war und zweitens, weil man mit vollem Mund nicht spricht. Es war ihm aber ohnehin egal, ob ich antwortete oder nicht.
„Die wollte eh immer Kinder, aber sie kann keine eigenen kriegen.“
Da war sie wieder, die Hoffnung. Möglicherweise wäre Mama ganz froh, mich loszuwerden. Oft hatte sie sich beklagt, dass sie sich einen Haufen Geld und noch einen größeren Haufen Ärger erspart hätte, ohne Mann und Kind. Ohne Mann war sie ja nun.

„Und jetzt trink deinen Kakao aus, Gusti. Wir fahren ins Spital. Du hast nämlich schon eine Mama, vergiss das nicht.“
Er strubbelte mir mit seinen Zigarrenfingern durch die Haare. Aber irgendwie begann der Geruch mir zu gefallen und mein Onkel auch. Im Gegensatz zu meiner Tante drehte er im Auto sogar das Radio an.
“Shalala-Lala-Lalala”, schmetterten wir gemeinsam mit Tony Christie auf seinem Weg nach Amarillo. Bei Am Tag als Conny Kramer starb summten wir leise mit und verstummten, als wir uns der Unfallstelle näherten, an der das Blaulicht von Polizeiwägen unablässig aufblitzte.
Onkel Otto blieb stehen und stieg aus. Um herauszufinden, ob es lange dauert, wie er versicherte. Ich glaube, er war einfach neugierig.
„Um Gottes Willen.“ Er ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen und zitterte. Ich traute mich nicht zu fragen und hielt mein Plastiksackerl mit beiden Händen umklammert. Haare waren da drin, für die Mama. Sie hatte mal erwähnt, sie hätte gern schwarzes langes Haar. Ich hab sie heimlich aus dem Schacht geholt, die Haare, um ihr eine Freude zu machen.
„Ein hellblauer Käfer“, stammelte mein Onkel jetzt. „Der schaut schlimm aus.“
Die Frau Paltram, schoss es mir durch den Kopf, die fährt so einen hellblauen Käfer. Natürlich fuhren damals Millionen Menschen ein solches Modell, aber um all diese wildfremden Leute machte ich mir gar keine Sorgen.
„Weiterfahren, bitte", dirigierte uns ein Polizist an der Unfallstelle vorbei. Ich verrenkte mir im Vorbeirollen den Hals, aber ich konnte nichts erkennen.

Als wir im Krankenhaus ankamen, war ich immer noch wie betrunken vom Schreck, obwohl ich damals natürlich noch nicht wusste, wie man sich fühlte, wenn man betrunken war. Ich wusste bloß, wie es war, wenn mein Vater betrunken war. Es stank, es war laut und manchmal tat es weh.

Onkel Otto ließ mich alleine ins Krankenzimmer gehen. Ich strahlte Mama durch meine Zahnlücke an, so glücklich war ich, als sie mich umarmte. Sie duftete nach Gips und nach Krankenhaus. Jetzt schämte ich mich dafür, dass ich heute früh noch adoptiert werden wollte. „Wenn ich wieder zu Hause bin, fangen wir ein neues Leben an“, sagte Mama fröhlich und lachte über die schwarzen Haare.
Wenig später kam Onkel Otto ins Zimmer. Er drückte Mama einen Kuss auf die Wange und eine Flasche Traubensaft in die Hand. In dem Moment öffnete sich die Tür und ein Bett wurde herein geschoben.
„Ah, endlich etwas Gesellschaft“, freute sich meine Mutter.
In dem Bett lag eine Frau mit zwei eingegipsten Beinen und einem monströsen Kopfverband. Sie schluchzte fürchterlich und die Krankenschwester redete beruhigend auf sie ein. „Aber Frau Paltram, die Haare wachsen doch wieder nach. Wir mussten sie abrasieren, damit wir die Wunde nähen konnten.“

*

Versonnen stecke ich die blonde Strähne wieder in den Briefumschlag und streiche über meine Glatze. Es war der August 1972. Haare, Haare, nichts als Haare.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

Wie geht es unserer Testsiegerin?
Wie geht es unserer Testsiegerin?
Lo - 5. Feb, 17:25
Vielen Dank! Du findest...
Vielen Dank! Du findest mehr von mir auf facebook ;-)
testsiegerin - 30. Jan, 10:40
Kurschatten ' echt keinen...
auch wenn diese deine Kur schon im Juni...xx? war,...
kontor111 - 29. Jan, 09:13
zum entspannen...Angel...meint
wenn ich das nächste Mal im Bett liege, mich verzweifelt...
kontor111 - 29. Jan, 08:44
"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36

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