Kurzprosa

Montag, 8. Oktober 2007

Herbsttag - trocken

Auf Chaldiki saßen wir am Strand und tranken Samos, du und ich, bis ich hinter das grüne Fischerboot kotzte. Du konntest dich schon damals besser beherrschen. Picksüßen, schweren Wein haben wir gesoffen. So picksüß und schwer wie das Leben wenn man jung ist und alle glauben, es wäre leicht.
Heute sitzen wir am Ufer der Donau und trinken trockenen Wein. Du immer noch meine beste Freundin und das Leben immer noch nicht leicht.

Wir beide sind irgendwo dazwischen, zwischen Sommer und Herbst. Allerhöchstens Spätsommer, sage ich, um dir ein bisschen entgegenzukommen.
Frühherbst, meinst du.
Lass uns noch mal in voller Fülle blühen, sage ich und sehne mich nach dem Frühling, der alles noch vor sich hat.
Lass uns fallen anstatt gefallen, sagst du.
Ja. Lass dich endlich fallen. Frau, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Der leichte Wein macht meinen Kopf schwer und dich mutig.
Das pralle Leben hat mich abgeschürft und aus meinen Worten sprießt Abgeklärtheit. Man muss eben Kompromisse schließen, sage ich und erkenne mich nicht wieder. Du schüttelst energisch den Kopf. Die Jahrzehnte der Rücksicht sind vorbei. Keine Kompromisse mehr. Keine faulen und keine fleißigen. Ich bin endlich reif, lächelst du. Jetzt muss mich nur noch jemand pflücken.
Die Flasche ist leer. Wir nicht.
Nein. Nicht pflücken lassen. Nicht warten, bis es zu spät ist. Ich weiß, wovon ich rede.

Du bist es, die pflücken muss, sage ich trocken.

Freitag, 28. September 2007

Auf der Flucht

Leichenblass stand der junge Psychiater vor dem leeren Bett.
„Na? Was ist denn passiert?“ wollte die Oberärztin wissen.
„Er ist weg.“ Seine Stimme war tonlos. „Stellen Sie sich vor, er ist weg.“
„Wer ist weg?“
„Der ... Der ... Der Wahnsinn...“, stotterte er.
„Na wo ist er denn?“, hänselte sie ihn.
„Er ist ausgebrochen.“
Der lockere Tonfall der Frau wechselte in die professionell-helfende-ich-bin-ein-guter-Mensch-aber-ich-nehme-Sie-nicht-ganz-ernst-Stimmlage. „Bei Ihnen, Herr Doktor?“
„Nein, natürlich nicht bei mir. Hier aus der Klinik. Er ist getürmt. Sogar aus der geschlossenen Abteilung. Ich weiß nicht, wie ihm das gelingen konnte. Hier ist doch alles vergittert und versperrt.“
„Der Wahnsinn lässt sich nicht aufhalten, Herr Kollege, das sollten doch ausgerechnet Sie wissen. Er kriecht durch jede noch so kleine Ritze “ Mit einer Hand ahmte sie die geschmeidigen Bewegungen einer Schlange nach. „Und wenn wir nicht mit ihm rechnen...“ Sie hielt inne.
„Was dann?“
„... dann packt er uns.“ Sie fasste den Arzt im Genick.
Er schüttelte sie ab. „So machen Sie sich doch nicht darüber lustig. Seine Existenz ist unsere Daseinsberechtigung. Ohne Wahn kein Sinn.“
„Ach, Sie hätten jetzt endlich Zeit, sich auf Ihre Forschungsarbeit zu konzentrieren. Ich kann Ihnen dabei gerne zur Hand gehen.“
„Wir müssen ihn suchen, verdammt noch mal!“ Der Arzt stieg hektisch von einem Fuß auf den anderen.
„Ist er denn allein ausgebrochen?“
„Nein. Gemeinsam mit dem Chaos.“ Dann griff er sich an die Wange. „Und mit meiner Zahnplombe.“
Die Ärztin klopfte ihm tröstend auf die Schulter. „Sie Armer! Sollen wir die Polizei verständigen?“
„Wegen ein bisschen Amalgams?“
„Natürlich nicht. Wegen des Wahnsinns.“
„ Glauben Sie, er hält sich bei der Polizei versteckt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht versteckt.“ Ihre Hand ruhte noch immer auf seinem Oberarm.
„Wir könnten ein Phantombild von ihm anfertigen“, zog er Stift und Notizblock aus der Brusttasche. „Was wissen wir über ihn? Hat der Wahninn einen Namen? Egal, er ist auf jeden Fall völlig verrückt. Und er ist hell, genau. Der helle Wahnsinn.“
„Ich weiß nicht.“ Sie zögerte. „Der Wahnsinn hat viele Gesichter, auch dunkle. Vielleicht geht es ihm gut in Freiheit und er fühlt sich wohl in der weiten Welt?“
„Nein. Das ist ganz und gar unmöglich. Wir müssen ihn kriegen und behandeln. Er ist schließlich gefährlich.“
Sie rollte die Augen und über ihre Lippen huschte ein Lächeln. „Nicht gefährlicher als die Liebe.“
*


Weit weg von alldem, unbeobachtet von unserem Psychiater und der Oberärztin, an einem kleinen Waldviertler Weiher im Winter, schmiegte sich der ganz normale Wahnsinn ans Genie. Wie so oft lagen sie dicht beieinander, wärmten ihre Seelen und erzählten einander Geschichten. Ihre Lieblingsgeschichte war die von der Oberärztin und dem jungen Psychiater, der die Liebe in ihren Augen übersah, weil er nur den Wahnsinn im Kopf hatte.

Mittwoch, 26. September 2007

Der Schirm

Auf besonderen Wunsch (und weil es für mich auch grad passt) noch einmal eingestellt:

Ich kann dich nicht beschützen, mein Kind. Mein mütterlicher Schirm hält nur die Tropfen ab, die der Himmel sanft von oben auf dich herabwirft. Aber der Sturm peitscht dir das Wasser von vorne ins Gesicht, von der Seite ins Herz, schleicht sich heimtückisch von hinten heran und kriecht dir ins Genick. Unter deinen Beinen steigt die Flut, will dir den Boden unter den Füßen wegreißen, dich entwurzeln.
Und ich? Kämpfe verzweifelt gegen alles an, was das dich bedroht, benütze den Schirm bald als Degen, bald als Stock. Ich drehe mich im Kreis, lautlos brülle ich dabei und verjage die Gespenster der Unwetter. Aber sie kommen wieder. Der Sturm reißt den Schirm in tausend Stücke. Ich verjage und versage.
Ich hab geahnt, dass du es schwerer haben wirst als andere Kinder. Du hast meine Ahnungen mit Leichtigkeit und Fröhlichkeit in den Wind geblasen. Dabei konntest du nicht einmal die vier Kerzen auf deiner Geburtstagstorte ausblasen. Jetzt kommen sie zurück, die Ahnungen, im Gegenwind. Als kalte, beißende Schauer kommen sie zurück.

Nein, ich weine nicht. Nicht vor dir. Nur heimlich, und wenn du mich dabei ertappst, dann schiebe ich es auf die Zwiebel. Du sollst glauben, ich wäre stark. Meistens bin ich das auch, mein Kind. Du sollst nicht sehen, dass sie in Wahrheit mich treffen, mit ihrem Spott, mit ihren Aggressionen, mit ihrer Überlegenheit. Sie sind dir nicht überlegen, sage ich dir und mir und halte uns, in Wahrheit sind sie schwach. So schwach wie du und ich, möchte ich hinzufügen, doch diese Worte schlucke ich gemeinsam mit meinen Tränen hinunter und drücke dich fest an mich, damit du fühlst, wie stark wir sind. Wie stark du bist.
Sie wollen dir deinen Optimismus kaputt trampeln, sie werfen Schatten in deinen Sonnenschein. Sie spucken deinem Vertrauen ins Gesicht, dem wichtigsten, das du hast. Nachts hoffe ich schlaflos, dass die Verletzungen mich mehr treffen als dich und erinnere mich an endlose Diskussionen, weil du im Winter barfuß in den Schnee wolltest, da du die Kälte nicht gespürt hast. Vielleicht spürst du sie immer noch nicht, die Kälte, weil du so ein großes, warmes Herz hast.

Lass dir das Vertrauen nicht nehmen, bitte. Ich möchte nicht, dass du den Hass lernst, weil sie die Liebe nicht leben können. Bleib wie du bist und werde jeden Tag ein bisschen anders. Ach, das bist du längst, anders. Das warst du immer.

Du wirst nass werden, weil es keinen Schirm gibt, der vor Kränkungen und Verletzungen schützt, mit denen sie dich anspritzen. Das nennt man Leben. Es tut manchmal verdammt weh, das Leben. Aber es ist auch wunderschön, meistens. Ich wünsche dir die Kraft und das Vertrauen, dass du danach wieder einen Schritt in die Sonne machen kannst.

Irgendwann werde ich dir gestehen, was du wahrscheinlich längst weißt: In Wahrheit kann ich dich nicht beschützen, mein Kind. Nicht mal mich selbst.

Alles, was ich tun kann ist zu lieben. Dich. Mich. Das Leben. Und überhaupt.

Donnerstag, 6. September 2007

miss(herzens)bildung

Ich weiß, diese Miss-Geschichte ist ein bissl kitschig und rührig. Ich bin auch manchmal kitschig und rührig. Drum stell ich sie trotzdem rein.


"Ihre Tochter hat eine seltene Missbildung des Herzens", sagte der Arzt zur neugeborenen Mutter. "Das Herz ist zu groß. Es hört nicht auf zu wachsen. Ich fürchte, Sie wird die nächsten Jahre nicht überleben."
Die Mutter reagierte, wie alle Mütter reagieren würden. Sie fluchte, sie weinte, sie haderte. "Warum ausgerechnet sie!" brüllte sie, und "warum ausgerechnet ich?", bekam aber keine Antwort.
Der Vater blickte in die Ferne und murmelte: "So weit sind wir also schon. Es ist gefährlich, in dieser Welt ein großes Herz zu haben."
Das kleine Mädchen verhielt sich wie die meisten Kinder. Es wachte und schlief, schaute neugierig in die Welt und lächelte. Mit ihren Blicken trocknete sie Tränen, mit ihrem Lächeln berührte sie Seelen und machte harte Herzen weich. Zufrieden wandte sie sich dem Leben zu.
Das Mädchen mit dem großen Herzen, wie es von allen genannt wurde, war eine große Lehrmeisterin. Es lehrte die Menschen, ihr Schicksal anzunehmen und nicht dagegen anzukämpfen. Wenn es lachte, und es lachte oft, dann hörten die Menschen auf zu hadern und begannen zu lieben.
Das Kind. Sich selbst. Das Leben. Die Zufriedenheit im Land wuchs, und das Glück tat es ihr gleich.

Aber auch das Herz des Mädchens wuchs und wuchs, bis es schließlich keinen Platz mehr in dem kleinen Körper hatte.

Die Trauergäste trauerten, weinten und lächelten.

Miss Herzensbildung, stand auf dem kleinen Grabstein.


und hier: http://whatamiss.vo-agentur.de/ könnt ihr eure eigenen miss-geschichten veröffentlichen. oder für die, die es schon gibt, abstimmen.

Donnerstag, 23. August 2007

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Es war einmal eine Mutter, die hatte ein Kind. Das ist nichts Ungewöhnliches bei Müttern. Mutter und Kind gingen spazieren. Auch das ist nicht weiter verwunderlich.
Das Kind hopste hinter dem Rücken der Mutter hin und her.
„Was machst du da?“, fragte die Mutter.
„Ich springe über deinen Schatten. Keine Angst, ich passe auf, dass ich dir nicht auf den Kopf trete.“
Das Kind hüpfte weiter und die Mutter wurde langsam nervös. „Geh doch in die Sonne“, schlug sie vor.
„Sie blendet mich. Sie ist so heiß, dass sie mich verbrennt. Hier in deinem Schatten ist es angenehm kühl.“
„Gut, ein bisschen noch. Aber du kannst dich nicht ewig in meinen Schatten stellen.“
„Warum nicht?“
„Weil du nicht wachsen kannst ohne Licht.“ Und ich kann auch nicht wachsen, dachte die Mutter, wenn du an mir klebst wie mein Schatten. Aber das sagte sie nicht. "Außerdem will ich nicht, dass du ein Schattendasein führst."
„Macht alles einen Schatten?“, wollte das Kind wissen. „Auch der Wind? Engel? Feen? Zwerge?“
„Wenn die Sonne tief steht, selbst die. Sogar ein einziges Haar wirft Schatten.“ Das Kind staunte und riss sich sogleich eines vom Kopf.

„Wie wäre es, wenn du über deinen eigenen Schatten springst?“, schlug die Mutter vor.
Das Kind lachte. „Ach, Mama. Das hab ich schon versucht, aber es klappt nicht. Egal, wie hoch oder weit ich hüpfe, der Schatten springt immer mit. Vielleicht schauen deshalb so viele Leute so traurig, weil ihnen eingeredet wird, sie sollen über ihren Schatten springen, dabei kann das gar nicht funktionieren. Man kann nicht vor ihm davonlaufen und nicht drüberspringen, deshalb sollte man ihn sich zum Freund machen und mit ihm springen. Aber das muss den Erwachsenen endlich mal jemand sagen.“

Montag, 9. Juli 2007

Wie kommt das Salz ins Meer

"Wie kommt das Salz ins Meer", wollte sie wissen, nach der ersten gemeinsamen Nacht in dem alten, grünen Boot, das nach Freiheit und Fisch stank.
"Mit meinen bloßen Händen habe ich es hineingeschaufelt, damit das Meer dich trägt." Er streckte seine Arme nach ihr aus. "Können diese Hände lügen?" Sie ergriff sie, las aus ihnen eine gemeinsame Zukunft, und kostete von den salzigen Fingern. Sie verlor den Boden unter den Füßen, ertrank in seinem brennenden Blick und wurde in seinen Lügen biegsam und weich.
Später dann streute er ihr Sand in die Augen und versalzte Suppe und Leben. Die letzten Krümel verteilte er in den offenen Wunden, die er ihr zuvor zugefügt hatte.

Wieder sitzt sie am Strand und hält eine Muschel ans Ohr. "Wenn es brennt, heilt es", hört sie die Worte ihrer Mutter und ihr Vater fügt hinzu: "So lange du es spürst, bist du lebendig. Vorbei ist es erst, wenn dir nichts mehr weh tut."



"Wie kommt das Salz ins Meer", fragt das Kind.
"Irgendwann wirst du so schwer, dass ich dich nicht mehr tragen kann", sagt sie die Wahrheit, "deshalb habe ich es mit meinen Händen hineingeschaufelt, damit wenigstens das Meer dich trägt."
"Aber es brennt", brüllt das Kind und reibt sich die Augen.
"Ich weiß", flüstert sie, wiegt es im Arm und macht am Horizont ein Fischerboot aus. "Es muss brennen, damit es heilen kann. "

Donnerstag, 29. März 2007

Opus "ad libitum"

Wir spielen das Leben vom Blatt. Können den Kammerton nicht heimlich in der Tonkammer üben, sondern werden mit dem Auftakt augenblicklich auf die Bühne – und auf uns zurück – geworfen. Das Stück gönnt uns keine Generalprobe. Und doch ist dieses Spiel nichts anderes ein ein beständiges Üben. Wenn wir abtreten, unter viel Applaus am Ende oder ganz leise mitten im Satz, je nachdem, wie wir gelebt und geliebt haben, dann haben wir die Lektion gelernt. Vielleicht. Möge wenigstens der letzte Ton ein vollkommener sein.

Es steht unter einem guten Vorzeichen, mein Leben. Am Anfang drei gestrichene Ja. Doch wer Ja sagt, muss auch B sagen, und schon wird das Leben einen Halbton tiefer. Wieviel Her(t)z braucht das Glück?

Ich spiele routiniert und mit Unbefangenheit. Weil ich aber unkonzentriert bin, das Leben zu leicht nehme, zu wenig gut und nicht annähernd perfekt bin, bringen die Synkopen mich aus dem Takt. Ich versuche wieder hineinzufinden und meine Stimme zu halten.
Zu oft lasse ich das Leben den Rhythmus und das Tempo vorgeben. Alles Walzer. Manchmal bläst es mir den Marsch. Cha-cha-cha. Das ist nicht mein Stück, lege ich Noten und Metronom beiseite und horche auf die Töne in mir, sogar auf die leisen. Il tempo del cuore. Das Tempo des Herzens. Ich träume und lächle.
Aber mein Träumen und Lächeln ist zu langsam für die Bühne. Accelerando, feuert mich mein Dirigent an und klopft mit dem Taktstock auf das Pult. Crescendo. Du musst schneller lächeln. Lauter träumen.
Ich bin keine Dominante, seufze ich und gehorche. Wiederholung. Ich lehne mich zurück, treffe hin und wieder einen richtigen Ton, vertraue auf Vertrautes. Bei der dritten Wiederholung beginne ich mich zu langweilen. Schmiere heimlich ein paar verspielte, aufregende Kadenzen in meine Partitur, selbst auf die Gefahr hin, dass sie mich in Schwierigkeiten bringen. In meinem Enthusiasmus achte ich nicht auf die Dynamik und spiele zu laut und zu schräg. Ich vergesse auf die Pausenzeichen. Dabei machen gerade sie die Musik aus, wie die Zwischenräume den Lattenzaun. Ich nehme die anderen Musiker im Orchester wahr und vergreife mich augenblicklich im Ton. Die Terzen machen sich aus dem Staub, werden eingeholt von Dissonanzen.

Ich tauche ein in meine Musik, klimpere übermütig Triolen, fühle mich im Legato mit der Welt verbunden, streiche zärtlich über meine und deine Saiten. Die guten und die schlechten. Doch im nächsten Moment ist der Bogen überspannt und ich dem Zerreißen nahe.
Schwerkraft und Schwermut kommen in Moll und mit einem düsteren Grave. Und wieder setzt eine Fermate sich auf meinen Kummer und zwingt mich, ihn auszuhalten. Gönnt mir keine Luft zum Atemholen. Ich will aufhören, mein Instrument zur Seite legen und einfach dem Orchester lauschen ohne mitzuspielen, wenigstens ein bisschen. Eine Fuge mehr oder weniger, das fällt doch gar niemandem auf, sage ich, doch der Kritiker in mir ist erbarmungslos und peitscht mich weiter durchs Leben.

Ich weiß nicht, ob ich richtig liege. Ob ich zu hoch fliege oder zu tief lebe. Der Schlüssel, ich finde ihn nicht.

Trotzdem. Weiterüben. Da Capo al Muerte.

Donnerstag, 1. Februar 2007

An einem Mittwoch im Heim

„Einen Kaffee?“, fragt meine Klientin im Pflegeheim mich.
„Oh ja bitte, mit viel warmer Milch, wenn’s geht.“
Frau Herz drückt auf die mit großen Buchstaben beklebte Taste der Espressomaschine in der Aula. „Bitte sehr. Nehmen Sie doch Platz.“
Wir setzen uns auf das orangerote Sofa vor dem Kamin. Es riecht nach Lavendel und Sandelholz und im Kamin knistert das Feuer. Wir besprechen die wichtigsten Angelegenheiten. Vor allem die, dass sie in Zukunft keine Sachwalterin mehr brauchen wird, da sie in den letzten Monaten im Heim immer selbstständiger und vor allem glücklicher geworden ist. „Später kommt dann noch eine Studentin, die schreibt meine Lebensgeschichte auf“, erzählt sie mir. „Die meint, es wäre schade, wenn dieser Schatz an Erfahrungen und Wissen für die jungen Leute verloren geht.“ Ich nicke.

Herr Schober, ein kleiner, verhunzelter, verrunzelter alter Mann, der erst seit wenigen Tagen hier lebt, setzt sich zu uns. Er weiß nicht, ob heute Sonntag oder Mittwoch ist, aber das ist ihm egal. Wichtig ist nur, dass er heute Mittag beim Tarockieren gewonnen hat. „Wann gibt es Essen?“, fragt er die junge Direktorin des Pflegeheims, die gerade vorbeigeht. Die setzt sich zu ihm, wischt ihm mit einer Serviette liebevoll den Sabber von den Mundwinkeln und sagt: „Wann immer Sie möchten, Herr Schober. Sie sind hier nicht im Gefängnis. Heute gibt es Tafelspitz mit Semmelkren, gedämpften Saibling mit Erbsensprossen oder Kalbsherz-Beuscherl & Gewürzrauch. Sie können aber selbstverständlich auch a la Carte bestellen. “

Eine übergewichtige Frau in Schürze und klobigen Gummistiefeln marschiert auf und ab. Auf ihrer Nase eine dicke Warze und eine mindestens ebenso dicke Brille. „Dieser Idiot hat sie mir schon wieder gestohlen. Immer stiehlt er mir meine Augengläser, dieser Herwig! Dabei muss ich in den Stall, die Kühe melken.“
Ein junger, langhaariger Pfleger springt auf und wirft sich seine Jacke über. „Die Kühe sind heute schon gemolken“, sagt er, obwohl es weit und breit keinen Kuhstall gibt, „aber die Schweine müssen noch gefüttert werden. Möchten Sie, dass ich Sie begleite? Ich muss sowieso noch die Eier holen.“ Da viele der Bewohner hier früher Bauern waren, hat er vor ein paar Jahren durchgesetzt, dass Schweine- und Hühnerställe gebaut wurden und auf der Wiese hinter dem Heim ein paar Schafe grasen. Das erspart auch das Grasmähen.

Vor dem Kamin, neben der Sofaecke steht ein Pflegebett. Darin liegt die älteste Heimbewohnerin, sie kann nicht mehr aufstehen. Sie kann auch nicht mehr sprechen, aber sie liebt es, ins offene Feuer zu schauen. Am Bett sitzt eine Schwester und füttert sie geduldig mit Erdbeerjoghurt. Später wird sie ihr etwas vorlesen.

Herwig Steiner sitzt ganz allein in einer Ecke, füllt Formulare aus, trägt sie in einen Aktenspiegel ein, heftet sie sorgfältig mit Büroklammern zusammen und klebt Stempelmarken darauf. Er lächelt versonnen vor sich hin. „Er denkt schon wieder an Barbara“, flüstert die Direktorin mir zu. „Sie war seine große Liebe. Er denkt fast immer an Barbara.“

„Mama!“, höre ich eine hysterische 60-jährige schreien, und zucke zusammen „ich bitte dich inständig, komm wieder nach Hause! Bei uns hast du doch alles, was du brauchst.“
Elvira Grandl schüttelt vehement den Kopf. „Ich bin hier zu Hause“, sagt sie bestimmt, „hier habe ich, was ich brauche. Gesellschaft, wunderbares Essen, ein Whirlpool, hübsche Pfleger. Vor allem aber Ruhe, wenn ich sie brauche. Kein Mensch bevormundet mich hier. Und aus.“ Elvira hievt sich im Cocktailkleid und Stützstrümpfen auf den niedrigen Barhocker und bestellt einen Caipirinha. „Aber Mama!“, keift die Tochter, „der Arzt hat gesagt, du sollst keinen Alkohol ...“
„Begleiten Sie meine Tochter doch hinaus“, ersucht Elvira den Pfleger, der dieser Bitte sofort nachkommt.

„Wie lange wird sich meine Großmutter dieses Heim leisten können?“, erkundigt sich ein junger Mann bei der Direktorin und fällt beinahe in deren Dekolleté. „Sie hat Angst, hier weg zu müssen.“
„Da machen Sie sich mal keine Sorgen“, beruhigt sie ihn und legt ihre warme Hand auf seine. „Unser Heim steht allen alten Menschen offen, die nicht mehr zu Hause leben können, auch wenn die Ersparnisse aufgebraucht sind oder sie gar keine haben. Diese Generation hat unser Land nach dem Krieg aufgebaut und viel für die Gesellschaft geleistet. Zum Glück hat die Regierung endlich kapiert, dass es nun an der Zeit ist, den Menschen etwas zurückzugeben. Und dass jeder und jede, unabhängig von Reichtum und Herkunft, das Recht hat, in Würde und Freiheit alt zu werden.“

„Barbara!“, schüttelt mich meine Kollegin und ich öffne verschlafen die Augen. „Sag einmal träumst du? Wolltest du nicht am Nachmittag ins Pflegeheim?“

Dienstag, 14. März 2006

Short Cut

Unter der warmen, feuchten Traurigkeit sprießt Johanniskraut. Doch es kommt nicht an gegen die Depressionen, die der Winter - im Schnee versteckt – als Geschenk bringt. Ich will deine Geschenke nicht mehr, brülle ich den Winter an, behalte das verdammte Eis und den flockigen Schnee. Du bist ein widerlicher Lügner, denn du hast versprochen, du ziehst bald weiter. Noch immer aber hockst du vor meinem Haus und schenkst mir trojanische Pferde aus Schnee. Sie glitzern in der klirrenden Sonne und fast möchte man sie lieben, doch wenn sie schmelzen, quillt Dreck und Trauer hervor. Alles ist eine große Täuschung. Du ein Illusionist.
Er schmilzt nicht, der Schnee. Am Frauentag baue ich Schneefrauen mit üppigen Brüsten und dicken Bäuchen. Ihre Füße stecke ich in warme Lammfellstiefel, damit sie nicht frieren. Sie haben den Auftrag, den Winter in den Arsch zu treten. Doch die Weiber sind ungehorsam. Und das ist gut so. Sie wirken stark und unsterblich, aber auch das ist Illusion.

Ihr schreit und schreibt den Frühling herbei, so als hätte er Erbarmen und ließe sich locken mit Texten über Schneeglöckchen und Primeln. Merkt ihr nicht, dass er flieht, wenn ihr Herz auf Schmerz reimt und Sonne auf Wonne? Der Frühling hat eure Gedichte satt, er liegt im Gras, irgendwo, wo er ein Stückchen Wiese gefunden hat, malt Lyrik aus Zwölftonmusik und wartet auf ein Echo.

Irgendwann der große Showdown. Im Teich singt die Seekanne ein unsinkbares Lied. An seinem Ufer liegen Detektive Rücken an Rücken mit Heckenschützen auf der Lauer. Niemand weiß, wonach sie suchen, worauf sie zielen, den Frühling vielleicht, aber der lässt sich nicht blicken.
Dem Eisenbahnräuber ist alles egal. Er setzt alles auf Rot und seine Träume in den unsichtbaren Sand. Josef Schrammel erschlägt mit seiner ersten Geige die Walzerseligkeit und sagt: Genug getanzt, jetzt wird gelebt und geliebt. Niemand hört ihm zu. Fast niemand.
Wie lebt man, frage ich, denn das habe ich in dem langen Winter verlernt. Wer zeigt mir, wie man lebt?

Die Schneefrauen schütteln vorsichtig den Kopf. Wir nicht, sagen sie mit Tränen in den Augen, wir werden bald sterben und haben große Angst vor dem Tod. Wer aber den Tod so fürchtet, der kann nicht leben.
Sogar das Johanniskraut zieht sich zurück, müde und depressiv. Es kommt nicht an gegen die Kälte.

Dienstag, 17. Januar 2006

OP

Ich liege auf dem schmalen langen Tisch, bedeckt von grünen Tüchern, und blicke ins unbarmherzige Licht der OP-Lampe. Nur eine kleine Stelle meines Körpers ist nackt, die haben Sie mit Strichen markiert. Unter den Strichen sitzt die Wut. Breitet sich aus in meinem Leib wie ein Geschwür, das aufs Gemüt drückt, und macht mir das Leben manchmal zur Hölle. Schneiden Sie mir die Wut aus dem Bauch, bitte. Ich brauche sie nicht mehr. Ich will sie nicht mehr.
Ich sehe die Skalpelle blitzen und verbiete mir die Augen zu schließen. Es wird weh tun, sagen Sie. Ja, ich weiß, aber ich will keine Narkose. Ich gestehe mir keine Betäubung zu, ich will den Schmerz fühlen, ich will bewusst erleben, wie ihr meine Wut abtrennt von den Fasern, die sie mit mir verbinden. Die Wut tut weh. Anderen vor allem. Es ist nur gerecht, wenn ich jetzt leiden muss. Bestrafen und heilen Sie mich, bitte. Und wenn Sie schon dabei sind, wenn ich schon offen vor Ihnen liege, dann achten Sie darauf, dass sie auch die Ausläufer des Zorns erwischen. Und den ganzen Mist da drin, der mich belastet, den nehmen Sie auch raus. Sie müssen genau schauen, am besten mit dem Mikroskop, er hat sich gut versteckt und kriecht hinterlistig hervor, wenn ich nicht damit rechne. Trennen Sie alles Böse von mir. Ich werde es im Garten vergraben und einen Baum darauf pflanzen. Einen, der reichlich Obst trägt. Die Früchte des Zorns.
Hinterlassen Sie sichtbare Narben. Ich möchte, dass ich für den Rest meines Lebens erinnert werde an den Schmerz. Wer ihn nicht kennt, weiß nicht, wie das Glück sich anfühlt.
Ach ja, und bevor Sie mich zunähen, füllen Sie die riesigen Leerräume mit Sanftmut. Mit Wärme. Wenn es operationstechnisch irgendwie geht, verbinden sie die Wärme mit den Nervenenden, die zu meinen Füßen führen. Die sind immer so kalt.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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