Glosse

Montag, 25. Mai 2015

Kurkolumne, die Dritte

Halbzeit ist es auf meiner Forschungsreise in fremde Welten, wilde Riten und exotische Sitten. Ich habe viel erlebt, bin in bedrohliche Dickichte eingedrungen (Gerry aus Kärnten, Fremdenhass), habe mit Schweinehunden gekämpft und mich neuen Herausforderungen (unter anderem dem Überraschungsei) gestellt.

Ich muss euch sagen: Hier geschehen schreckliche Dinge.
Das Schrecklichste zuerst. Setzt euch bitte hin und seid jetzt ganz stark. Ich wollte es euren Nerven zuerst nicht zumuten, aber nachdem ich bereits besorgte Anrufe bekommen haben, was denn nun mit Heike passiert ist, sage ich euch die Wahrheit. Wie ich gestern von Meister Toni erfahren habe, kommt Heike nicht mehr. Sie hat ihren Traumjob hier in der Kuranstalt aufgegeben und einen neuen Lebensabschnitt begonnen. Eine Ausbildung möchte sie machen. Als wäre sie nicht ohnehin schon nahe der Perfektion. Heike, ach Heike! Ich versteh das ja, Bildung ist ein wichtiges Gut für die Jugend, aber hättest du damit nicht noch zwei Wochen warten können?
Wahrscheinlich bewirbt sie sich für Kärntens Next Topmodel und stolziert demnächst über den Laufsteg. Da ist Lächeln nicht nur nicht gefragt, sondern verboten. Ich werde für dich anrufen, Heike, ich verspreche es. Damit du ein Foto bekommst und am Ende nicht mit 0 Punkten dastehst, wie Österreich.
Damit nicht genug.

Ich war heute im Rahmen der kurärztlichen Zwischenuntersuchung das zweite Mal in den letzten drei Jahren (das erste Mal war bei Kurantritt) mit einer Menschenwaage konfrontiert. Sonst habe ich mit Waagen nur beim Kuchenbacken zu tun und halt mit meiner Tochter und einem lieben Freund.
Mit Menschenwaagen geht’s mir wie mit meinem Konto, da schau ich einfach nicht hin, weil das Wissen um eine unpersönliche und vermeintlich objektive Zahl nichts an der Realität ändert, einem aber mitunter ein grausliches Gefühl vermittelt, einerseits, weil es zu wenig, andererseits, weil es zu viel ist. Manche sagen, ich bin Verdrängungsexpertin, aber ich glaub nicht, dass es sich dabei um die klassische Verdrängung handelt, weil ich diese Sachverhalte ja nicht von der bewussten Wahrnehmung ausschließe, sondern mich ganz bewusst nicht damit konfrontiere.

Weil eine Kur, wie wir mittlerweile aber wissen, kein Urlaub ist, und man eine schwerwiegenden Entscheidungen wie das Betreten einer Waage nicht alleine treffen darf, bin ich eben hinaufgeklettert.
Die Kurärztin strahlte mich an (ich weiß nicht, warum sie sich darüber freute, denn sie kann definitiv nichts dafür). Zwei Kilo. Weniger. Ich gestehe, es ist mir einfach so passiert, ich verspreche, ich habe das nicht geplant. Ich hab nicht gehungert und keine Diät gehalten, ich hab mich nur viel bewegt und am Abend keinen Benzin (keine Sorge, das ist nur eine Metapher für Kohlehydrate) getrunken und vor dem Fernseher Nüsse statt Trockenfrüchte genascht, die enthalten zwar Kalorien, aber keine Glukose. Und wenn ich ganz ehrlich bin, freu ich mich ein bisschen, vielleicht, weil es einfach so passiert ist und ich nicht mal auf das köstliche Dessert (Buttermilch mit Zimt) verzichtet habe. Zum Glück ist der Rock, den ich letztens gekauft habe, ein Wickelrock und passt mir trotz des massiven Gewichtsverlustes noch.
Dann gibt es hier noch eine Supersensationswaage, die kann fast alles. Vor allem kann sie das diabolische Alter ausrechnen. Laura, die hübsche, schlanke Jungkurgästin, die in Wahrheit 30 ist, ist auf der diabolischen Waage satte 40 und geht seitdem auf die Midlifekrise zu. Da man mich ausnahmsweise frei entscheiden lässt, ob mir die Wahrheit zumutbar ist, habe ich beschlossen, mich da nicht draufzustellen. Ich muss mein Hochgefühl nicht gleich wieder von einer blöden Waage kaputttrampeln lassen.

Der aktuelle Stand bezüglich der Kältekammer ist der: Ich weiß, ihr wartet jetzt alle auf den Bericht und Vorher-Nachher-Fotos aus der Kältekammer. Die Sache ist aber die: Wenn ich die Kältekammer besuche und noch mehr an Gewicht verliere, kann ich den Wickelrock zweimal um den Körper wickeln und ich weiß nicht, ob das dann noch hübsch aussieht. Außerdem hab ich mir gestern überlegt, dass ich mir, wenn ich die Kältekammer viermal nicht besuche, 80 Euro spare. Ich rechne viel hier auf der Kur. Weil ich nicht gewusst habe, wohin mit dem Ersparten, hab ich mir schöne Strumpfhosen bestellt. Weil ich mit denen vielleicht doch schöner anzuschauen bin als ich im Badeanzug mit Bergschuhen mit Eiszapfen an den Nasenlöchern und Erfrierungen an den Ohren.

Und dann ist da noch etwas, über das ich seit einer Woche nachdenke. Über Winston Churchill. Also nicht über Winston Churchill an sich, sondern über sein Zitat auf dem wöchentlichen Kurnewsletter: „Die Kunst ist, ein Mal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.“
Wie soll das gehen? Reicht es nicht, genauso oft aufzustehen, wie man umgeworfen wird? Vielleicht meint er ja damit, dass es eine Kunst ist, aus dem Stehen aufzustehen. Aber warum sollte man das überhaupt versuchen? Wir werden es nie erfahren, genauso, wie wir nie erfahren werden, ob Heike in ihrem neuen Job als Topmodel glücklich wird.
Heute ist Sonntag. Frühstückseitag. Schwefel- und aufzugsfrei. Fast ein bisschen wie Urlaub. Aber das sag ich nicht laut, wenn ich Herrn Direktor Schnösel über den Weg laufe.

*
Hier war gestern Pfingsten. Nur einen Tag lang, weil an einem Feiertag normaler Kurbetrieb herrscht. Wir-sind-ja-schließlich...
Und weil Pfingsten ist, kommen viele Angehörigen angereist, mit Koffern und Blumen und Salamistangen. Bei den Begrüßungsszenen hat man den Eindruck, es handelt sich um Familienzusammenführungen nach vielen Jahren der Trennung. Ich suche nach der versteckten Kamera.
Hallo?, möchte ich schreien, entspannt euch, es sind nur drei Wochen! Außerdem sind wir hier nicht auf einer siebenjährigen Expedition in Alaska, sondern auf Kur. Wir bekommen auch genug zu essen. Ich hab in meiner Kolumne nur übertrieben!

Die Frauen ziehen sich ihr Sonntagsdirndl und die Männer ihr Trachtenjackerl an, die Omas zeigen stolz ihre Enkelkinder und die Männer und Frauen mehr oder weniger stolz ihre Ehegatten. Wenn eine arme Frau ohne Besuch, also so eine wie ich, in der Nähe ist, fassen die Frauen ihre Ehegatten demonstrativ um die Mitte, um zu signalisieren: Finger weg. Der gehört mir. Sie sagen auch Dinge wie „der Meinige“ oder „mein Schatz“, um die Besitzverhältnisse ein für allemal klarzustellen.

Kurgast Laura, die diabolische 40jährige, die erst 30 ist und die vor ein paar Tagen in die türkisblauen Augen von Kurgast Wolfgang gefallen ist, freut sich nicht, dass ihr Freund kommt. Er kommt trotzdem. Gewissenhaft spult sie das Pflichtprogramm herunter, lächelt ein bisschen gekünstelt und stellt uns „den Meinigen“, also den Ihrigen vor. Ihre Augen glänzen nicht annährend so strahlend, wie wenn sie über Wolfgang erzählt. „Ich hab überhaupt keine Lust, mit ihm zu schlafen“, vertraut sie uns an.
„Sag ihm, du hast morgen um 5 Uhr 30 Beckenbodengymnastik und darfst vorher 24 Stunden lang keinen Sex haben“, flüstere ich ihr ins Ohr, als ihr Freund aufs Klo geht.

Zu mir kommt niemand. Meine Tochter sitzt auf einer sonnigen Wiese in Dänemark, mein Sohn auf dem Traktor und mein Mann mit Headset am Computer, wo er Planeten erobert, mit Rohstoffen handelt und damit Raumschiffe baut und Allianzen bildet. Die Vorstellung, dass er hier überraschend mit Blumen auftaucht, löst einen Lachanfall bei mir aus. Der Kurbetrieb wäre für ihn außerirdischer als wenn seine Flotte von Klingonen angegriffen würde. Er würde auch nicht höflich wie ich feststellen, dass Helene Fischer nicht seine bevorzugte Musikrichtung ist, sondern es auf den Punkt bringen: „Wos is’n des für a Schaas?“

Weil sich angesichts der herzergreifenden Wiedersehensfreude Tränen der Rührung in meine Augenwinkel schleichen und sich auch in meinem Herzen kurz so etwas wie Sehnsucht nach meiner Familie breit macht, rufe ich meinen Mann an.
„Vermisst du mich schon?“, frage ich.
„Nein, warum, ich weiß ja eh, wo du bist“, sagt er.
„Und, wie geht’s so im Männerhaushalt?“, frage ich, nachdem ich Schauergeschichten gehört habe über Männer, die die Lieblingswollweste in die Kochwäsche getan und bei der Mikrowelle den Einschaltknopf nicht gefunden haben. Na gut, wir haben keine Mikrowelle, aber trotzdem.
„Super“, sagt er, „ich koch, was uns schmeckt, keiner macht einen Saustall und niemand sägt und schleift um Mitternacht.“
Ich weiß, es ist seine Art, mir zu sagen, dass ich ihm fehle und er mich liebt.

Die Familienzusammengeführten lassen den Mittagstisch ausfallen und gehen mit ihren Angehörigen in die umliegenden Gasthäuser und schlagen sich mit Schnitzeln den Bauch voll, als hätten sie nie etwas von einer metropolischen Waage gehört. Zwei Stunden später, als sich der Fettverbrennungsstaubsager endlich in Bewegung setzen will, tanken sie mit Sachertorte nach.

Beim Abschied spielen sich ähnlich ergreifende Szenen wie am Flughafen von Casablanca zwischen Rick und Elsa ab, nur dass Brigitte Pospischil nicht wie Ingrid Bergmann und ihr Mann Helmut nicht wie Humphrey Bogart aussieht. „Was ist mit uns?“, sagt Brigitte-Elsa mit Augenaufschlag und Helmut-Rick antwortet: „We will always have Eisenstadt.“

Am Abend stochern die Kurgäste in ihren Erinnerungen und im Salat herum und erzählen von dem wunderschönen Tag und dem Besuch der heiligen Messe, die großartig war, mit Predigt und Chor und Musik und überhaupt.
„Was denn für eine Messe?“, heuchle ich höfliches Interesse.
„Die lateinische.“
„Und du hast die Predigt auf Latein verstanden?“ Vielleicht habe ich die Menschen hier unterschätzt.
„Sie war ja auf Deutsch.“
Da soll sich einer auskennen. „Und was wurde so gesungen?“
„Unter anderem Gloria und Hallelujah.“
„Gloria von Patti Smith oder das Original von Van Morrison? Also das Hallelujah mag ich ja in der Fassung von K.D. Lang am liebsten.“

Als auch die letzten Gäste der Kurgäste weg sind, kehrt wieder Kuralltag ein. Man trinkt wahlweise Kräutertee oder die gefährliche Buttermilch, tauscht sich über Beschwerden aus und überprüft die morgigen Termine auf der Kurkarte. Lauras Augen glänzen wieder, als sie unter Wolfgangs Bettdecke kriecht.

Ich schreibe eine SMS an meinen Mann. „Ich glaub, ich bin auch auf einem fremden Planten gelandet.“

Samstag, 23. Mai 2015

Kurkolumne die Zweite

Heike war auch heute nicht da. Hoffentlich ist ihr nichts passiert, jetzt, wo ich mich in den Hauch eines Lächelns von ihr verliebt habe. Man hört ja so viel, was Menschen alles passieren kann. Vom Blitz erschlagen, vom Freund getötet, vom Zug überfahren, in den Keller gesperrt, von Außerirdischen entführt... „Wahrscheinlich von einem Ausländer“, sagt Kurt, dem ich meine Befürchtungen anvertraue, „die stehen auf schöne, blonde Frauen. Haben die ja zu Hause nicht.“
„Ein außerirdischer Ausländer?“, ich rolle die Augen und verabschiede mich zur Beckenbodengymnastik.

Ich habe meinen Beckenboden um halb acht Uhr früh schon auf spannendere Weise trainiert. Aber bitte. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub und noch hat sich kein Kurschatten auf mein Bett und auf mich geworfen.

„Wir stellen uns jetzt vor, dass wir da ein Ei drin haben“, sagt Katrin. Da drin. Sie könnte auch Möse, Muschi, Vagina oder Fotze sagen, aber sie entscheidet sich für „da drin“. Wenigstens sagt sie nicht Yoni.
„Eins? 400 Eier“, schäte ich.
„Nicht so ein Ei“, sagt Katrin nachsichtig. „Ein richtiges Ei.“

Dass die Menschen sich nicht präzise ausdrücken können. Ein Ei ist doch nicht ein Ei ist doch nicht ein Ei. Es ist ein Unterschied, ob ich ein Wachtelei, ein Hühnerei oder ein Straußenei in meiner Möse habe.
„Und wir stellen uns weiter vor, dass wir dieses Ei mit dem Lift in den ersten Stock schicken. Dort bleiben wir eine Weile, halten die Türe fest geschlossen, bis wir langsam loslassen und wieder nach unten fahren.“
Ich mag die Fahrstuhlmetapher und bemühe mich redlich, aber ich krieg die unterschiedlichen Eier nicht aus dem Kopf. Ein Überraschungsei, bei dem ich die Muskeln ganz vorsichtig anspannen muss, damit ich die Schokolade nicht zerbreche und dann für den Rest meines Lebens einen Schlumpf in der Gebärmutter habe? Oder ein Schiff? Und niemand drin, der das zusammenbaut?
Weil ich ein guter, gewissenhafter Kurgast bin, der seine Aufgabe ernst nimmt und die Übungen gewissenhaft ausführt, drücke ich auf die 13 und schicke mein Ei in das Dachgeschoss. Ich frage mich, ob es einen Eierfetisch gibt. Menschen, die nur Sex haben können, wenn sie sich Eier in ihre Körperöffnungen schieben. Aber schnell verdränge ich den Gedanken wieder und lasse mein Ei in den Keller sausen.

Ich sehne mich nach einem Frühstücksfreilandhühnerei. Aber die gibt es nur am Wochenende. Wir-sind-ja-hier-nicht-auf-Urlaub.

Weil Heike auch heute nicht da ist, obwohl sie auf dem Plan steht, leitet Katrin, die sonst für das Trockentraining zuständig ist, auch die Unterwassergymnastik o.E.Gr. an. Ich sag euch, ich hab Glück, dass ich das überlebt habe und sehne mich nach der strengen Heike. Denn Katrin lächelt zwar lieb, aber als ich erst in die Grätsche gehe und sie uns – als mir das Wasser längst bis zum Hals steht – auffordert, in die Hocke zu gehen, hab ich Angst zu ertrinken und verweigere. Hoffentlich verweist man mich deshalb nicht der Kur.

Gleich werde ich mich wohlig im nach faulen Eiern duftenden Schwefelbad suhlen und vom morgigen Frühstücksei träumen.
Drückt bitte die Daumen, dass Heike nichts passiert ist. Es ist hier alles sehr KURios.

*

Oh, ein Kurkonzert, denke ich erfreut. Endlich Kurkultur. Kur und Kultur haben ja viel gemeinsam, nämlich drei Buchstaben. Ich ziehe meinen schönsten Rock und die Strumpfhose mit den Violinschlüsseln an und stelle mich geistig auf Kammermusik ein, auf Bachs Sonate für Gambe und Cembalo oder das Allegro di Molto aus Mozarts Divertimento in B-Dur Köchelverzeichnis 137.
Und dann kommt Gerry aus Kärnten. Er kommt mit dem Keyboard und einem riesigen Lautsprecher und ertränkt meine Erwartungen in Schwefelwasser. Gerry aus Kärnten beginnt mit einem typischen Kurlied.

Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein,
Mein Herz schlug laut man konnte es fast hör'n,
Da nahm Sie einfach meine Hände und legte sie auf ihre Schenkel,
und sagte nur keine falsche Scham


Natürlich fehlt auch „Ich hab dich tausendmal betrogen“ nicht in Gerry aus Kärntens Repertoire, und die meisten Kurgäste bewegen andächtig ihre Lippen, manche auch ihre Körper mit. Sie schauen sehr glücklich aus. Ich fühle mich auch tausendmal betrogen. Aber-ich-bin-ja-schließlich-nicht-auf-Urlaub und außerdem brauch ich Stoff für die treuen LeserInnen meiner Kurkolumne und bleibe zu Recherchezwecken da.

Ein Stern, der deinen Namen trägt. Hä? Ein Stern namens Testsiegerin?
Ich schließe meine Augen, lösche jedes Tabu. Atemlos einfach raus.

Hin und wieder, wenn Gerry aus Kärnten atemlos wird, erzählt er einen schlechten frauenfeindlichen Witz und die Leute lachen. Und weiter geht’s.
Ich lieg' gern im Gras und schau' zum Himmel rauf,
schaun die ganzen Wolken nicht lustig aus?


Wahnsinnig lustig. Vor allem tät ich im Gras grad ziemlich nass werden. Erwachsene Menschen, die untertags vorwiegend Buttermilch trinken, verlieren angesichts dieser poetischen Worte jegliche Hemmungen und lassen sich zu Flieg- und Schwimmbewegungen auf der Tanzfläche hinreißen. Heut ist so ein schöner Tag! Lalalalala. Ich beschließe, die Buttermilch von meiner Speisekarte zu streichen.

Laura, eine 30jährige liebenswerte Frau neben mir, eine der Jüngsten hier (sie hat es mit den Bandscheiben) applaudiert frenetisch. Das ist ja auch das einzige, was man frenetisch machen kann. „G’fallt dir die Musik nicht?“, fragt sie mich enttäuscht, weil ich mich nicht mal zu einem höflichen, angedeuteten Klatschen hinreißen lasse.
„Geht so“, sage ich, um sie nicht zu verletzen. Laura hat es ohnehin schwer. Ihr Freund trinkt zu viel Bier und lässt sich von ihr bedienen, und sie würde ihn gern verlassen, aber da ist ein 150.000 Euro Kredit und sie liebt zwar ihren Freund nicht mehr, aber das Haus, das sie liebevoll „die Keusch’n“ nennt, schon. Man muss Prioritäten setzen.

*

„Na“, sagt Meister Toni, der Masseur, als ich ihm von den Schmerzen im Lendenbereich erzähle, „host gestern zvü tonzt, Madale?“
„Ähm“, stottere ich, denn ich will niemanden, von dem ich mittlerweile weiß, dass er als Apres- & Schilehrer und DJ gearbeitet hat, vor den Kopf stoßen, indem ich sage, dass diese Musik bei mir heftige Blähungen und Durchfall verursacht.
„Ist nicht so ganz meine Musik“, sage ich diplomatisch, während er seine Hände in mein Fleisch bohrt.
Ich massierte Ihr den Rücken ein, da fiel ein Tropfen auf ihr Bein...
Verdammt, diese Musik hat sich in meinem Gehirn festgeklebt.
„Wos hearst’n du gern, Madale?“, fragt er.
Ja, was eigentlich? Richtige Musik halt. Keine, in der Gefühle, obwohl sie eigentlich Schweigepflicht haben, Schwachsinn schwafeln. Ich mag so viel, Eartha Kitt und Patti Smith und Axel Prahl und 5/8 in Ehr’n und Leonard Cohen und Konstantin Wecker und Element of Crime und die Knef und Georg Danzer und Rickie Lee Jones und Bach und Telemann und sogar den Herrgott aus Stan. Aber nicht dieses Gedudel.
„Soup Shop und The Nose“, sage ich.
„Ah, olso gonz wos ondares“, sagt Meister Toni und konzentriert sich wieder auf meine Muskeln.

*

Ich hab immer noch keine innere Klarheit bezüglich der Kältekammer. Wegen der Kalorien wär’s. Ich stell mir das nämlich schon schön vor, mit Berg- und Handschuhen, Stirnband und Badeanzug zunächst 30 Sekunden bei lächerlichen minus 60 Grad und dann 3 Minuten (so lange dauert Atemlos von Helene Fischer) bei 110 Grad im Kreis zu spazieren. Schlimmere drei Minuten als gestern dieses Lied von Gerry aus Kärnten gesungen kann das auch nicht sein. Und dann.... tamtaramtataaa! 1000 Kalorien. Ein Schweinsbraten mit Knöderl und Kraut, plus Sachertorte.
Damit es sich aber wirklich auszahlt, bleib ich länger drin. 50 Minuten, hab ich mir vorgestellt. Das wären 16.666 periodisch Kalorien. In mein Hirn schleichen sich Bilder von Bananensplit, Mohr im Hemd, Schnitzerl, Grammelknödel und vielen Frühstückseiern.
Ich glaub, darüber denk ich heute noch nach.

Freitag, 22. Mai 2015

Kurkolumne

Seit einer Woche kure ich jetzt. Und will euch meine Kurkolumne nicht vorenthalten.


Erstes Fazit nach dem zweiten Tag: Kurgäste sind keine besseren Menschen. Gestern Abend an der Kurbar: Der Wein (man kann entscheiden zwischen Veltliner und Zweigelt) schmeckt nach Schwefel. Die Gespräche am Nebentisch schmecken nach Bitterkeit. Es geht um Asylwerber, und eigentlich will ich weghören, aber der Nebentisch ist zu nah und der Wein nicht stark genug. Also schreibe ich mit.
„Die wissen ja nicht, was arbeiten heißt. Die lehnen ja nur umeinander bei ihnen zu Haus.“ Woher glauben die das eigentlich zu wissen?
„Wenn’s wenigstens nach 6 Monaten wieder gehen würden, aber die merken ja, dass es sich da gut leben lässt!“
Wohin sollen sie denn gehen, denke ich. Zurück in den Krieg?
Ich habe Lust, den Menschen neben mir den Rest meines geschwefelten Veltliners ins Gesicht zu schütten, aber wahrscheinlich verweist man mich dann der Kur und eigentlich ist es ja wunderschön hier. Ich werfe also nicht mein Glas, sondern lediglich böse Blicke. Du bist feig, denke ich und schäme mich für meine mangelnde Zivilcourage.
In der ZIB 2 sehe ich, dass Zeltlager aufgebaut werden und fühle mich von Michael Landau verstanden, der sagt, dass das beschämend ist für eines der reichsten Länder der Welt. Dass es nicht sein kann, dass es mit ein bisschen gutem Willen keine Alternativen gibt.

Beim Frühstück am Nebentisch (andere Kurgäste): „Die sind mit den Zelten nicht zufrieden. Sollen sie halt wieder nach Hause gehen.“
Das sagen Menschen, die satt und zufrieden in einem Kurhotel sitzen, sich auf Kosten der Pensionsversicherungsanstalt ihre Körper, aber nicht ihre Herzen massieren lassen, die ein Dach über dem Kopf haben und deren Existenz gesichert ist. Die das Gefühl nicht kennen, wie es sein muss, wenn man sein Leben riskiert im Mittelmeer, in der Hoffnung auf ein Überleben. Ich kenne das Gefühl auch nicht, aber ich bin dankbar dafür und neide den Flüchtlingen Unterkünfte aus Ziegeln nicht.
„Ich halte den Schmarrn, den Sie reden, nicht mehr aus!“, möchte ich schreien, aber wieder schreie ich nicht. Ich könnte argumentieren, aber meine Argumente würden verwehen wie Pusteblumen. "Naive Gutmenschin", würden sie sagen, oder zumindest denken und das Gefühl haben, im Recht zu sein. So, wie ich auch.
Also stehe ich einfach auf, werfe ein paar meiner restlichen bösen Blicke und gehe.

*

Eigentlich bin ja mehr so der L.S.A. Mensch. Nein, das steht nicht für Latente Systematische Analyse, sondern für die Dinge, die mein Leben ausmachen. Lesen, Liebe, Lachen, Lust, Lippenstift, Spiel, Strumpfhosen, Silberschmieden, Schreiben, Sinnlichkeit, Arbeit, Anerkennung, Auftritt, Applaus...
Jetzt aber bin ich auf Kur und mutiere zum K-Menschen. K wie Kältekammer, die ich strikt meide. Ich hab lieber 30 Grad plus als 110 Grad minus. Kur steht auch für K wie Krankheiten. Ich habe in den letzten Tagen viele über Krankheiten wie Kopfgneis, kryoglobulinämische Vaskulitis und das Kawasaki-Syndrom erfahren. Über nichts redet ein Mensch auf Kur offensichtlich lieber als über seine Wehwehchen. (außer vielleicht über unglückliche zwischenmenschliche Kontakte).
Bei Kurantritt musste ich – wie in Österreich üblich - ein Formular ausfüllen. Vorerkrankungen, Allergien, Beschwerden, Ziele. "Spaß haben, Schreiben, zur Ruhe kommen, die Langeweile genießen, mich bewegen, nur für mich selbst verantwortlich zu sein, mich nicht über Kolleginnen ärgern" hab ich hingeschrieben. Und schließlich dazugekritzelt "Knorpelverletzung am Knie – Beschwerden lindern" - wegen der K's)
Ganz sicher nicht angekreuzt hab ich Körperfettreduktion oder mich kasteien.
Auf der Menükarte ist trotzdem hinter jeder der Speisen die Kalorienzahl angeführt. Ich ertappe mich dabei, dass ich ohne es zu wollen, das 470 Kalorien Menü (Couscous mit Gemüse) auswähle anstatt des 520 Kalorien Menüs (Rotbarsch mit Braterdäpfeln). Auch bei der Salatbar schleudert man mir entgegen, dass die Kernölmarinade, an der vielleicht vor vielen Jahren ein Kürbiskern vorbeigeschwommen ist, 45 Kalorien hat, das hochkalorische Joghurtdressing dagegen stolze 110 auf die Waage bringt.
Ich verdränge den Gedanken daran, wie viele Kalorien das steirische Kernöl hat, welches ich zu Hause reichlich und unverdünnt über den Vogerlsalat gieße.
Ich beschließe, Kur-Amok zu laufen. Morgen, zwischen Moorpackung und Unterwassergymnastik o.E. Gr. (mittlerweile weiß ich, dass das nicht die Abkürzung für „ohne Einschränkung der Grundbedürfnisse steht, sondern für obere Extremitäten – Gruppe), also morgen zwischen den Anwendungen werde ich einen dicken schwarzen Edding kaufen und die Kalorien von der Menükarte und mein schlechtes Gewissen einfach durchstreichen.

*

„Ich bin seit 10 Jahren geschieden“, erzählt die Frau auf der Liege neben mir.
„Aha.“
„Ja, er hat sich eine andere gefunden.“
„Oh je.“
„Er hat gesagt, wenn sich heut nix abspielt im Bett, sucht er sich eine andere. Und es hat sich nichts abgespielt.“
„Arschloch.“
„Jetzt hab ich einen Freund, der ist schon 70, da spielt sich auch nix ab im Bett, der ist jetzt mit seiner Exfreundin auf Urlaub. Das ist so eine Kränkung für mich.“
„Ja, versteh ich.“
Scheiß berufliches Verständnis. Es ist, als wäre auf meiner Stirn „Beziehungscoach“ geschrieben.
„Was meinst du? Soll ich auch mit einem Kollegen auf Urlaub fahren? Was er kann, kann ich doch auch, oder?“
„Wenn du mit dem Kollegen gern auf Urlaub fährst, ja, wenn es nur um Rache geht, nein. Da schneidest du dir vermutlich ins eigene Fleisch.“
„Meinst du?“
„Ja.“
„Na ja, vielleicht such ich mir dann einen fürs Bett. Da muss ich doch nicht drauf verzichten, oder?“
„Gute Idee.“ Ich erteile ihr die Absolution und mein Vorrat an Gutsein ist für heute aufgebraucht.

*

Eine Kur ist kein Urlaub, wie uns der Geschäftsführer am ersten Tag mitgeteilt hat. Auch, wenn sie sich ein bisschen so anfühlt. Aber just in dem Moment, wo man sich den Urlaubsgefühlen hingibt, werden sie sofort wieder zerschlagen. Als ich beim Frühstück nach einem weichen Ei frage, werde ich angesehen, als hätte ich in einem veganen Restaurant eine Stelze bestellt. Als ich vorhin an der Rezeption um ein, nein zwei Blätter Papier und einen Stift gebeten habe, um meine Gedanken zu Papier zu bringen, erntete ich einen verständnislosen Blick aus der Das-ist-kein-Urlaub-sondern-eine-Kur-Kategorie.
Also kapituliere ich, trinke Kräutertee, halte die Klappe und schreibe an der Kurkolumne.

(Liebe Damen und Herren von der Pensionsversicherungsanstalt:
Für meine Kolumne habe ich das Stilmittel der Übertreibung und Überspitzung gewählt. Es geht mir wunderbar und ich genieße den zum Großteil von Ihnen oder besser gesagt meinen Pensionsversicherungsbeiträgen finanzierten Url... pardon... Kur. Danke!)


*

Was das Glücklichsein betrifft, ist es egal, ob man Anwältin ist oder Putzfrau oder ob man Leichen wäscht, sagt Annabella, die Bestatterin, sinngemäß in „Und wartet“. Man kann nämlich jede Arbeit mit Freude oder lustlos machen. Es ist immer die eigene Entscheidung, ob man mit angefressenem Gesicht oder einem strahlenden Lächeln arbeitet. Das bestätigt sich auch hier, in der Kuranstalt. Der Beruf KurtherapeutIn liegt vermutlich irgendwo zwischen Leichenwäscher und Putzfrau.
Toni zum Beispiel, der Masseur und der Mann an den Geräten - Ultraschall, Mikrowelle, Tens (Transkutane elektrische Nervenstimulation, das wusste ich bis heute auch nicht), ist so eine Art männliche Annabella. Lacht laut, hat für jeden ein freundliches Wort übrig und scheint die Menschen und sein Leben zu mögen. "Meister Toni" nennen ihn die Kurgäste liebevoll, vielleicht, weil er so viel Ruhe ausstrahlt. Ich stelle jetzt keinen Zusammenhang damit her, dass Toni so aussieht, als würde er die Kalorien auf der Menükarte ebefalls streichen und gern das eine oder andere hochkalorische Bier zu sich nehmen.
Und dann ist da Heike (die Namen sind von der Kurkolumnistin selbstverständlich geändert, Heike könnte auch Birte oder Frauke heißen). Heike lächelt nie. Vielleicht hat ihr Freund sie verlassen, trotz ihrer Modelmaße, oder sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie sich heute früh versehentlich Butter statt Becel aufs Brötchen geschmiert hat. Ich weiß es nicht, es geht mich auch nichts an. Vielleicht darf man Freundlichkeit auf Kosten der Pensionsversicherung nicht erwarten, wir-sind-hier-schließlich-nicht-auf-Urlaub. Mein Mann ist ja der Meinung, dass Freundlichkeit völlig überschätzt wird. Wenn ihn die Fleischerin nach dem Befinden fragt, sagt er: „Wenn i quatschen wü, geh i zum Friseur, ned zum Fleischhauer. A Wurstsemmerl bitte.“ Mein Mann war vor 25 Jahren das letzte Mal beim Friseur, am Tag vor unserer Hochzeit.

Zurück zur Kuranstalt. Heike steht am Beckenrand, die Mundwinkel nach unten gezogen und gibt Kommandos. „Wir geben den Ball um den Körper herum im Kreis“, sagt sie. Und dann sagt sie ein paar Minuten nichts. Motivation geht anders, das kenn ich aus dem Fitnessstudio, wo die Trainer wahrscheinlich nicht viel mehr verdienen als hier. Das Geld kann es also nicht sein.
„Wir laufen jetzt im Kreis“. Einer der Kurgäste, nennen wir ihn Herbert, hat nur ein Bein. Er schaut ob der Ansage ein wenig verständnislos und humpelt tapfer im Kreis herum. Als er aber mit dem Ball unter Wasser eine Acht machen soll, indem er den Ball erst unter das eine, dann mit der anderen Hand unter das andere Knie durchschiebt, lacht er laut auf. Ich weiß nicht, wo er sich den Ball hinschiebt. Ich weiß aber, dass Heike das nicht lustig findet. Sie tut mir leid, sie findet vermutlich ihr ganzes Leben nicht so lustig. Heike könnte meine Tochter sein, aber ich hab schon eine Tochter, eine die Humor und Herz und Hirn hat und die würde ich niemals eintauschen, schon gar nicht gegen so eine griesgrämige Heike.

Am liebsten würde ich sie an den Schultern rütteln und sagen: „Mensch, Mädel, so lach doch ein bisschen. Die Sonne scheint, das Essen schmeckt, du hast zwei Beine und keine Knieprobleme.“
Als einer der Männer den Ball zurück in die Kiste werfen will und daneben trifft, wird Heike streng. „Einmal noch“, warnt sie, „und Sie haben hier das letzte Mal mitgemacht.“ Die anderen unterdrücken ihr Lachen.

Wie gesagt, es ist immer unsere eigene Entscheidung, ob wir einen Job gern tun oder nicht. Zumindest meistens. Ich schreibe diese Kurkolumne sehr, sehr gerne. Und jetzt muss ich zum Elektriker.

*

Die wichtigste Nachricht zum Tag. Heike hatte heute Nacht Sex. Glaub ich. Ich freu mich für sie. Vielleicht hat sie auch einen Anschiss vom Anstaltsleiter bekommen, was mich nicht für sie freuen würde. Auf jeden Fall hat Heike heute gelächelt, während sie den Hampelmann vorgezeigt hat. Kaum sichtbar, sie hat ganz leicht die Mundwinkel nach oben gezogen, aber ich hab’s gemerkt.
*
Ah ja. Kurt, der an meinem Tisch sitzt, kann sprechen. Es wäre aber für die Menschheit besser, er könnte es nicht. Er hat einen Freund, erzählt er, der kennt jemanden, der war auf Kur und da haben sie einen Türken rausgeschmissen, weil er Frauen belästigt hat. Die hätten sich ja gar nicht getraut, sich über ihn zu beschweren, weil man ihnen sonst gleich Ausländerfeindlichkeit unterstellt. Als Inländer zähle man ja nichts mehr. „Ich wurde schon öfter von Inländern als Ausländern belästigt“, sage ich und falte meine Serviette zusammen. „Ich hab ja nix gegen Ausländer“, sagt Gerti, die ich bis dahin recht nett fand. Den Rest höre ich nicht mehr.

*
Ich bin ja ein neugieriger Mensch und will wissen, was hier mit mir passiert. Also abgesehen von der Tatsache, dass die Entspannung jeden Tag ein bisschen mehr wird, ich nichts muss, sondern höchstens darf und will. Ich will auch gern wissen, was bei den Anwendungen mit meinem Körper passiert. Beim Schwefelbad, beim Ultraschall, bei der Druckkreiselmassage, bei den Moorpackungen, bei Tens (na, hat sich jemand gemerkt, wofür das steht? Ich nicht.)
Auf jeden Fall frag ich die Therapeuten neugierig und erhoffe mir wissenschaftliche Erklärungen, was die Schallwellen, das jahrtausendealte Moor und der Schwefel so in und mit meinem Körper machen. (Das Schwefelbad riecht übrigens wie das Schwärzmittel in meiner Werkstatt, deshalb darf man beim Baden auch keinen Schmuck tragen, weil dieser danach nicht mehr silbern glänzt, sondern schwarz nichtglänzt.)
Statt der wissenschaftlichen Erklärungen bekomme ich immer die gleiche siebensilbige Antwort. „Durchblutung und Stoffwechsel.“
Alles klar. Ich hab mir so etwas Ähnliches schon gedacht, denn noch nie in meinem Leben habe ich so oft Stoff gewechselt wie hier. Raus aus dem Schlafshirt, rein in Rock und T-Shirt (wahlweise mit dem Aufdruck „Miss Verständnis“, „Ich kann Abseits erklären“, „Was mach ich hier eigentlich?“ und „Linkes Pack“, damit alles klar ist) zum Frühstück. In den Badeanzug zur Unterwassergymnastik o.E.Gr. In den Bademantel. Wieder in Rock und Shirt zu Tens. Sporthose und –shirt für die Wirbelsäulengymnastik. Rock und Shirt zum Mittagessen. Ins Evakostüm fürs Schwefelbad. Bademantel. Bettdecke. Jeans und Shirt und Regenjacke für den Spaziergang. Badeanzug zum Planschen. Aufbrezeln für’s Abendessen, inklusive schöner Strumpfhose und silbrig glänzendem Schmuck.
Ganz schön viel Stoffwechsel für so einen Tag. Ich hab mir ausgerechnet (die geistigen Herausforderungen sind abgesehen vom Koordinationstraining hier nicht vorrangig), dass ich durch den ständigen Stoffwechsel gestern127,5 Kalorien verbraucht habe.
Darum hab ich mir am Abend auf der Tankstelle heimlich eine Schokolade gekauft, die ich zum Songcontest verspeist habe. Puh, ganz schön aufregend, so ein Kuraufenthalt.
*
Auf so einer Kur setzt man sich ja nicht nur mit dem Leben auseinander – mit dem eigenen und dem wildfremder Menschen - , sondern auch mit dem Sterben. Das kann man nicht verhindern, weil man in kürzester Zeit nicht nur die Krankheitsgeschichten der Kurgäste, sondern auch ihrer Kinder, Großeltern und Ururgroßeltern kennt. (Ein Tipp für künftige Kurgäste: Beginne nie ein Gespräch mit: Und warum bist du hier?) Man merkt, so ein Leben ist enden wollend, auch wenn man das nicht so gern wahrhaben will. Ich zumindest. Und mir wird ganz schwummerig bei manchen Geschichten von Söhnen, die beim Snowboardfahren verunglückt sind oder von einer Urgroßmutter, der von sechs Kindern fünf in den ersten Lebensjahren weggestorben sind.
Beim Walken dann sehe ich an der Kirche zwei Partezettel (ein bisschen was für die Bildung, für die deutschen LeserInnen: Die Parte ist in Österreich die schriftliche Mitteilung des Todes einer Person. Das Wort leitet sich vom französischen faire part („mitteilen“) beziehungsweise donner part („Nachricht geben“) her und ist wahrscheinlich Ende des 17. Jahrhunderts entstanden.)

Nun ruhen fleiß’ge Mutterhände
Die stets gesorgt für unser Wohl
Die tätig waren bis ans Ende...


stand bei der Frau, und beim Mann:

Es war so reich, dein ganzes Leben
an Müh und Arbeit, Sorg und Last...


Und dann kommt man so ins Grübeln, was wohl auf der eigenen Parte einmal stehen wird. Von fleißigen Mutterhänden und einem Leben reich an Sorg und Last bestimmt nichts. Aber wie klingt denn:

Das Leben hast du ausgekostet
Drum bist du auch nicht eingerostet
Hast immer gut für dich gesorgt
Von Freunden oft dir Geld geborgt
Für Lippenstift und Unfallkater
Und Strumpfhosen fürs Burgtheater


Ich weiß, man scherzt nicht mit dem Tod. Aber wenn man das tut, nimmt man sich selber ein bisschen die Angst vor ihm.

*

Das Highlight des heutigen Tages war das Ernährungskabarett. Ich wünschte, die Diätologin könnte ein klein wenig von ihrem Pfeffer im Arsch an Heike abgeben. (Der hab ich übrigens ganz viele liebevolle Energie geschickt, was den Effekt hatte, dass sie heute frei hat. Wahrscheinlich vögelt sie ganzen Tag mit ihrem Freund und lacht morgen sogar.)
Es ist jetzt nicht so, dass die Inhalte sehr überraschend waren, aber sie waren mit so viel Tempo und Witz und so schönen Metaphern vorgetragen, dass man sich die Dinge mit Kopf und Körper merkt. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es in der Spargelsaison die meisten Gichtanfälle gibt, weil Spargel purinreich ist? Und dass nicht automatisch gesund ist, was nach nichts schmeckt?
In ihr hab ich auch eine Mitstreiterin im Kampf gegen die Kalorienangaben gefunden, was nicht nur damit zu tun hat, dass sie die ausrechnen muss.
Das mit der Kältekammer überlege ich mir übrigens noch. Weil ich nämlich beim Nordic Walken in einer Stunde knapp 400 Kalorien verbrauche, schafft man in der Kältekammer 1000 in nur drei Minuten. Und kommt dabei nicht einmal ins Schwitzen.

*

Und dann noch die tägliche Ausländerthematik, die die Leute auf Kur sehr zu beschäftigen scheint, wenn ich auch noch nicht herausgefunden habe, warum das so ist (aber ich hab ja noch zwei Wochen). „... wenn Sie sich halt integrieren würden“, sagt die Dame.
Genau. Sollen sich gefälligst integrieren und wie wir in schönen Hotelbetten oder wenigstens schnuckeligen Einfamilienhäusern wohnen anstatt im Zelt zu hausen. Das einzige Zelt, in dem mal als tüchtiger und anständiger Österreicher seine Zeit verbringt, ist das Feuerwehrzelt. Und dann trinken die noch nicht mal Bier (bestimmt nicht, weil ein halber Liter Bier 17 Würfelzucker enthält). Sollen sie doch Rasen mähen und am Sonntag in der Einfahrt ihre SUVs waschen und ihre Kinder taufen lassen und wenn sie schon in Zelten leben müssen wie die Kameltreiber, dann sollen sie gefälligst davor Thujen anpflanzen. So schaut’s nämlich aus.

Ich hab ja nichts gegen Inländer, aber....

Mittwoch, 10. Juli 2013

Die Wahrheit und so

„Wir begrüßen ganz herzlich Frau Lehner“, sagt der Moderator. Ich lese. Konzentriere mich darauf, schön zu formulieren, klar zu sprechen, habe vorher extra mit einem Korken im Mund geübt, obwohl mir dabei immer schlecht wird. Beim Lesen denke ich dran, dass Wettlesen nicht bedeutet, so schnell wie möglich fertig zu sein und achte auf die Pausen.
Ich hab das gut gemacht, finde ich, als ich die Zettel zur Seite lege. Aus dem Publikum verhaltener, höflicher Applaus. Wenigstens keine Buhhrufe.

Die kommen von der Jury. „Das ist keine Literatur", sagt der Mann ganz links, „das ist Trash. Die Geschichte quillt vor Pathos über und ist nicht lebensnahe. Kein Mensch verhält sich so wie die Protagonistin in der Geschichte. Und die Metapher mit dem Mond, der vom Himmel fällt, ist völlig misslungen. Einfach nur peinlich.“ Die Dame neben ihm fällt ihm ins Wort. „Das ist nicht mal Trash“, sagt sie, „das ist beschriftetes Klopapier.“ Sogar der Kerl, der mich zum Wettlesen eingeladen hat – ich hab ihm Ich bin sonst nicht so vorgelesen, die Geschichte zwischen Chef und Sekretärin, und er hat es sich dabei besorgt – lässt mich fallen. „Das war wohl nichts“, sagt er, „zu klein, zu wenig Spannung, insgesamt zu flach.“ Genau das dachte ich mir auch, als er mich vorher in der Garderobe gefickt hat.
„Was haben Sie sich bei diesem Text eigentlich gedacht?“, möchte der schnöselige Typ mit der Brille wissen und gibt sich selber die Antwort. „Nichts.“

Sie zerreißen meine Geschichte in der Luft. Also mache ich das gleiche. Die Kamera ist auf mich gerichtet, als ich meinen Text zerreiße, Seite für Seite. Ich verliere die Fassung. Ich bin ganz anders als die spätere Gewinnerin, die nach ihrem Sieg souverän sagen wird, sie hätte sich mehr Kritik gewünscht. Ich hätte mir Anerkennung gewünscht, ja, sogar Lob. Wenigstens ein bisschen Respekt. Es tut weh, so verletzt zu werden. Ich weiß, es gehört zu den Spielregeln, weil es sonst langweilig ist für das Publikum, aber es tut weh.

„Ihr Bohlens für Intellektuelle!“, schreie ich sie an. „Ihr habt doch keine Ahnung vom Leben! Das Leben ist nämlich keine geschliffene Formulierung, das ist manchmal Trash. Ihr habt keine Ahnung, wie sich meine Protagonistin fühlt, weil ihr niemals den Kitt aus den Fenstern fressen und euch prostituieren musstet für ein warmes Abendessen. Ihr habt keine Ahnung, wie es sich anfühlt, von den Nachbarn, Gerichten und Behörden gedemütigt zu werden. Das ist keine moderne Frau in der Geschichte, sagt ihr. Ja, das mag sein, dazu hat sie nämlich keine Zeit. Sie muss überleben. Das ist eine reale Frau. Ihr sitzt hier satt und zufrieden und demütigt selber! Ihr glaubt, ihr kritisiert Texte, aber ihr macht Menschen, die sie geschrieben haben, fertig.“

Die Saalordner ergreifen mich an den Ellbogen und wollen mich hinausziehen. Aber das lasse ich mir nicht gefallen. Die Kamera zoomt auf mich. „Die Autorin hat das letzte Wort, wenn sie will", schreie ich,"das gehört auch zu den Spielregeln. Ich lasse mich von mir völlig fremden Germanistikprofessoren und – innen, die allesamt noch nie geschwitzt haben, um ihre Miete zu zahlen, die noch nie kämpfen mussten auf ihren Unilehrstühlen, ich lasse mir von so jemandem nicht das Wort verbieten. Wieso maßt ihr euch überhaupt an, zu beurteilen, was gute Literatur ist? Das hat die Bachmann nicht gemeint, als sie sagte, dass die Wahrheit den Menschen zumutbar ist. Und warum in diesem Tonfall? So verachtend, verletzend und überheblich? Wisst ihr, was die Wahrheit ist? Euch geht’s in Wahrheit nicht um Literatur. Sondern darum, selbst ein bisschen besser dazustehen als andere. Um eure Eitelkeiten geht’s euch. Macht euch nichts draus, das kenn ich. Deshalb bin ich ja da. Und tschüs.“
Ich gehe an ihnen vorbei und lasse die Papierschnipsel meines Textes auf sie rieseln.
Ich werde nie wieder ein Wort schreiben, beschließe ich in diesem Moment.

Als ich am nächsten Morgen aus dem Fenster schaue, sehe ich eine Meute Journalisten und Fotografen vor den Himbeerstauden lauern. Ich schalte das Telefon aus, gehe in den hinteren Garten, wo man mich nicht sehen kann. Zerreibe Zitronenmelisse zwischen meinen Fingern und atme ihren Duft ein. Ich weiß nicht, ob ich stolz bin, weil ich meine Ängste besiegt und es gewagt habe, mich dem Theater auszusetzen. Ich weiß nicht, ob es mir übermorgen peinlich sein wird, zum Bäcker zu gehen. Ob ich je wieder Zeitung lese. Ich weiß gar nichts. Außer, dass ich jetzt eine Geschichte darüber schreiben werde.

Dienstag, 30. Oktober 2012

Es ist nie zu spät ...

Ich bin keine berühmte Schriftstellerin. Nicht nur, weil ich nicht gut genug schreibe, das wäre nicht das Problem. Es gibt viele Autoren, die auch nicht gut schreiben, aber trotzdem berühmt sind. E.L.James zum Beispiel mit ihren 50 Grautönen oder Uwe Tellkamp.

Wenigstens weiß ich jetzt, warum ich es nicht geschafft habe.
Ich bin glücklich. Und ich habe in meinem Leben nichts wirklich Schlimmes erlebt, wenn man von Schulden, ein paar Todes- und Unfällen absieht, aber das passiert ja jedem.
Fast alle berühmten Autoren hatten eine entsetzliche Kindheit oder tragische Erfahrungen. Die meisten sogar beides.
Ich war nie im Krieg. In gar keinem. Nicht im Weltkrieg, nicht in Bosnien und schon gar nicht im Irak. Zu spät geboren oder am falschen Ort. Ich war weder in der SS noch in Gefangenschaft, nicht einmal in amerikanischer, wie Günther Grass. Nicht, dass ich die Herrschaften darum beneide, verstehen Sie mich nicht falsch, aber mir fehlt dieser Wettbewerbsvorteil.
Ich leide weder an Depressionen – ok, ein kleines bisschen schon, nachdem heute ein Schreiben eines Inkassobüros kam - noch an einer bipolaren Störung wie Virginia Woolf. Ich fühlte mich innerlich niemals „so wund, dass mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert“, und so ist es zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass ich mich wie Heinrich von Kleist erschießen werde, es ist aber genauso unwahrscheinlich, dass ich jemals so berühmt werde. Meine Mutter war keine herrische Person wie die Mutter von der Jelinek, und sie zwang mich nicht zum Klavierunterricht. Mein Papa, dieser rücksichtslose Kerl, verbrachte seine Zeit lieber in den Bergen, als dass er wie der Vater von Dario Fo im antifaschistischen Widerstand aktiv war.
Das verzeihe ich meinen Eltern nie.

Der Psychoanalytiker Ben Furman hat gesagt, es sei nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben.
Vielleicht gilt das ja auch für die unglückliche Kindheit. Ich arbeite daran.
Ich erinnere mich dunkel, dass mir meine kleine Schwester einst mein Hans Krankl T- Shirt vom Leib riss, weil Rapid Wien bei Derby gewonnen hatte. So tief hat sich dieses Trauma eingebrannt, dass ich es 40 Jahre lang verdrängt habe. Verdrängen musste, um nicht daran zugrunde zu gehen. Und überhaupt: Meine Mama hat mich – analog zur Mama von Rilke – gelegentlich in Lederhosen gesteckt. Können Sie sich vorstellen, was das für meine Identitätsfindung bedeutet hat?
Und bevor ich vergesse, es zu erwähnen: Im Knast war ich auch. Fünf Jahre. Wie Vaclav Havel. O.k., ich hab dort gearbeitet, aber lustig war das nicht immer.
Während der sensiblen Phase meiner Pubertät hatte ich manchmal Hausarrest und Fernsehverbot. So etwas hinterlässt Narben, die vielleicht dazu beitragen können, dass aus mir doch noch eine große Autorin wird. An Hunger litt ich zwar nie, aber mein Vater bekam immer das größte Stück Fleisch. Leicht war das nicht.

Gut, ich bin weder Rosa Luxemburg noch Nelson Mandela. Außenseiterin bin ich, obwohl ich weder Rosa noch schwarz bin. Hier im Dorf bin ich sogar Außenseiterin, weil ich nicht schwarz bin.
Und seien wir ehrlich, ist es nicht ein bisschen wie Zwangsarbeit, dass ich als Kind genötigt wurde, frische Kräuter aus dem Garten zu holen? Man hat mich ausgelacht, weil ich Petersilie mit Schnittlauch verwechselt habe. Mobbing nennt man das heute wohl.
Paranoid bin ich zwar nicht, aber wenn ich es recht bedenke, dann waren schon einige hinter mir her.
Ich war zwar nie in einem nationalsozialistischen Erziehungsheim wie Thomas Bernhard, aber in einem Studentinnenheim des Opus Dei. Ich muss gestehen, ich habe damals Kerzen gestohlen. Wie Karl May aus dem Gymnasium. Ihn hat man deshalb von der Schule verwiesen und er hat sich den Schatz im Silbersee ausgedacht. Mich haben sie nicht erwischt, leider. Drum hab ich nur den Stinki geschrieben.

Keine meiner Beziehungen war so schwierig wie die von Simone de Beauvoir mit Sartre. Aber mit Männern hab ich wahrlich genug durchgemacht. Nicht nur Nächte. Und das ist noch nicht vorbei, fürchte ich. Hoffe ich.

Ich glaube, ich habe doch noch eine kleine Chance.



(2005 - überarbeitet 2012)

Montag, 2. Juli 2012

Reise

Weil grad Sommer ist, lade ich dich zu einer kleinen Gedankenreise ein. Wir machen eine Kreuzfahrt. Entspann dich, schließ die Augen... das Wetter ist sonnig und warm, das Schiff luxuriös, die Reise kann beginnen. Es ist nicht verboten, an manchen Stelle der Reise innezuhalten und die Fragen, die sich stellen, zu beantworten. Lege dir dafür Stift und Papier bereit.

In deinen Koffer hast du deine wichtigsten Werte gepackt. Familie, Freundschaft, Toleranz, Disziplin Humor, Anerkennung, Glaube, Kreativität, Moral, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Lust, Fleiß,... was auch immer, all das, worauf du auch während Ihrer Reise nicht verzichten möchtest. Aber der Koffer ist klein, darin ist nur Platz für sechs Werte. Welche sind das?


Bei einer Rettungsübung am ersten Tag entdeckst du, dass in deiner Kabine keine Schwimmweste ist. Kein Rettungsschirm. „Kein Problem“, sagt der Offizier, „Sie geben mir zwei Werte und ich Ihnen eine Rettungsweste.“
Worauf verzichtest du?


Ein paar Tage später dann ein Ernstfall. Du hast zwar eine Rettungsweste, aber in den Rettungsbooten ist kein Platz mehr. Wieder musst du zwei Werte abgeben, für einen Platz im Boot, das angeblich voll ist. Welche hergeben? Welche zwei behalten?


Das Boot stürzt ins Wasser, du schwimmst um dein Leben. Da streckt dir jemand eine Hand entgegen. Du hast nur noch zwei Werte. Aber von einem musst du dich jetzt trennen, um zu überleben. Welchen gibst du unter keinen Umständen her?

(Ich kann euch verraten, bei mir war es die Kreativität. Sogar die Lust habe ich leichtfertig über Bord geworfen, und zuletzt sogar den Humor)

Als du in das Boot kletterst, frierend und klamm, kommst du aus dem Staunen nicht mehr heraus. Lauter Politiker sitzen drinnen. Wohlgenährt, zufrieden und trocken. Mit prall gefüllten Koffern.

„Wir haben den Kapitän bestochen“, sagen die Volksvertreter ungeniert und grinsen.
„Aha", du wunderst dich, dass du dich nicht einmal mehr wunderst. „Was sind denn eure Werte?“, fragst du mit einem Blick auf die Koffer.
Die Politiker klopfen sich auf die feisten Schenkel und lachen herzhaft. „Werte? Wer braucht denn heute noch Werte! Was für eine Träumerin bist du denn?“
Du beißt dir auf die Lippen. Ja, was für eine Träumerin bin ich denn?

„Also, ich hab Schwarzgeld, Macht und Arroganz im Koffer“, sagt einer, der grad vom Friseur kommt und zu schön, zu intelligent und zu erfolgreich fürs Leben ist.
„Ich führe Waffen, Unantastbarkeit und Gripen-Schutzmasken mit“, sagt ein Graf. „Ein gutes Geschäft.“
„Ich hab die Angst mit“, sagt der, dessen tschechischer Name Angst heißt (strach = Angst) stolz. „Ich schüre sie, weil die Leute mich dann wählen.“
„Ich hab nur leeres Gewäsch“, sagt der ärmste unter ihnen und zuckt die Schultern. „Ein paar Floskeln. Billig, aber beliebig anzuwenden.“

Du öffnest resigniert dein winziges Köfferchen. Vom Vertrauen hast du dich vorhin schweren Herzens getrennt. Jetzt ist auch dein wichtigster Wert nichts mehr wert, denkst du und beobachtest traurig und wütend, wie die Hoffnung in den Fluten versinkt.

Du kannst die Augen jetzt wieder aufmachen. Ganz weit. Halte sie bitte offen. Sorge dafür, dass die letzten Werte nicht untergehen!

Mittwoch, 7. März 2012

Ein großer Tag für das Land

Die Sensation ist perfekt.

Dem Ansuchen Österreichs, Korruption als immaterielles Kulturgut unseres Staates in die Welterbeliste* aufzunehmen, wurde anlässlich der diesjährigen Tagung vom Welterbekommittee, das sich aus Experten aus 21 Staaten zusammensetzt (unter anderem namhaften Vertretern von Russland, Estland, Malaysien und Quatar) stattgegeben.

Exkurs: * Das immaterielle Kulturerbe umfasst (nach Definition der UNESCO-Konvention) „Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten - sowie die damit verbundenen Instrumente, Objekte, Artefakte und Kulturräume […], die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen

Damit steht die österreichische Korruption – inklusive Schwarzarbeit, Geldwäsche, Geldtransfers nach Liechtenstein durch prominente Koffer(-) und Leistungsträger endlich in einer langen Liste bedeutsamer immaterieller Kulturgüter wie z.B. Stille Nacht, die Wiener Kaffeehauskultur oder Transhumanz, eine besondere Form des Schafwandertriebs in den Ötztaler Alpen.

„Uns fällt ein Stein vom Herzen“, so ein Mitglied der Bundesregierung. „Wir haben in den letzten Jahren hart an der Realisierung dieses Projekts gearbeitet und freuen uns sehr über diesen durchschlagenden Erfolg.“
Auch die Opposition weint Freudentränen. „Wir haben in diesem Punkt mit der Regierung im Interesse unseres Landes intensiv zusammengearbeitet und unser Scherflein beigetragen. Endlich wurden unsere Mühen belohnt. Ich verspreche Ihnen eines: Wir werden alles daransetzen, dieses für Österreich so wichtige Kulturgut zu bewahren und diese liebgewordenen Traditionen der Korruption zu erhalten und weiter auszubauen. Wir lassen uns die Korruption von linken Gutmenschen nicht schlecht reden“, so ein blauäugiger Parteichef.

Wissenschafter hingegen warnen: „Als Risiko einer Auszeichnung immateriellen Kulturguts sehen wir Kommerzialisierung und Folklorisierung“.
Der malaysische Außenminister ist beunruhigt: „Kuala Lumpur darf nicht Wien werden.“
Selbst ein ranghoher Diplomat aus Mogadischu zeigt sich besorgt, wenn auch aus anderen Gründen. „Es kann nicht sein, dass Österreich Somalia nun nicht nur im Schifahren überholt.“

Freitag, 22. April 2011

Karriere – geil!

Heute Nacht hat Werner Faymann mich angerufen. „Barbara, kannst du das Staatssekretariat im Sozialministerium übernehmen?“
Ich fühle mich überrumpelt. „Wie kommst du gerade auf mich?“ Ein bisschen geschmeichelt bin ich allerdigs auch. Offensichtlich hat es sich bis zur Parteispitze herumgesprochen, dass ich die Menschen mag, vor allem die älteren, die behinderten, die sozial schwächeren am Rand der Gesellschaft. Wahrscheinlich hat ihnen jemand gesteckt, dass ich seit 25 Jahren im Sozialbereich arbeite, überdurchschnittlich belastbar und flexibel bin, dass ich die Probleme der Menschen kenne, weil ich selber welche habe, im Sozialrecht fachlich halbwegs firm bin, seit Jahren Teams leite, mich gewählt ausdrücken kann, bei Interviews nicht stottere und ganz und gar nicht zum Lobbying beziehungsweise zur Korruption neige. Letzteres ist heutzutage ja schon eine Seltenheit.
„Nun.. ähm... ja.“ Werner druckst ein wenig herum. „Weißt du, Barbara“, sagt er, „wir suchen ein Signal für die Frauen. Aus Proporzgründen eine Weinviertlerin. Eine, die aus einer Arbeiterfamilie kommt, berufstätig ist, Kinder hat, im besten Alter ist (ich erröte), in der Freizeit Sport macht und Tiere liebt. Das ist alles.“ Ich schlucke. „Deine Erfahrung und deine Fähigkeiten tun nichts zur Sache“, fügt er noch hinzu, „die sind eher hinderlich.“
„Wie lange hab ich Bedenkzeit?“
„In drei Stunden ist Pressekonferenz, da würde ich dich den Medien gerne als neue Staatssekretärin präsentieren. Aber keine Sorge, wir flüstern dir eh ein, was du zu sagen hast. Außerdem kannst du jede Reporterfrage mit Ich muss mich in diese Materie erst einarbeiten beantworten.“
Stimmt ja gar nicht, denke ich. Ich bin seit Jahrzehnten mit dieser Materie vertraut. Ich habe eine eigene Meinung zu Kürzungen im Pflegegeldbereich, bedarfsorientierter Mindestsicherung und Arbeit mit alten Menschen.

Ich grüble. Zermartere mein Hirn. Denke, dass es schon schlechtere PolitikerInnen als mich gegeben hat. Ahnungslosere auch. Die 15 Kilo Gehalt im Monat könnte ich wirklich gut gebrauchen, und einen Dienstwagen mit Chauffeur auch, ich kann mir den Sprit eh bald nicht mehr leisten. Das Dach ist undicht, die Bodenplatte meines alten Kübels verrostet und eine Putzfrau wäre auch schön. Trotzdem. Die wollen dann vielleicht Home-Stories von mir, ich beim Bügeln oder etwas ähnlich Perverses. Und irgendwas von Einflüsterern hat er gesagt. Ich wälze mich schlaflos im Bett.

„Tut mir leid, Werner“, sage ich Stunden später. „Ich fürchte, ich bin für den Job überqualifiziert.“

Dienstag, 15. Februar 2011

Mein Land

Auch in großen Revolutionen sind es die kleinen Momente und Geschichten, die berühren. Zum Beispiel jene, die der für den ORF arbeitende ägyptische Journalist heute früh im Radio erzählt hat. Es ist schön zu hören, wie begeistert er berichtet, nicht nur als Journalist, sondern vor allem als Mensch, als Ägypter, überwältigt von dem, was da passiert. Ob es gefährlich war, wurde er gefragt und er hat gesagt, weniger gefährlich als aufregend, und man spürt die Begeisterung in seiner Stimme, das Adrenalin.

Die Stadt wäre noch nie so sauber gewesen wie jetzt, meint er, die Menschen kamen mit ihrem Besen und kehrten den Dreck nicht nur vor ihrer eigenen Tür, sondern auch an öffentlichen Plätzen, weil sie zeigen wollten, dass sie nicht nur friedlich demonstrieren, sondern auch Verantwortung übernehmen können und wollen.

Nahe des Tahrir-Platzes sah der Journalist einen Mann in einem alten, wackeligen Rollstuhl, mit einem Kübel Farbe zwischen den Beinen, Wochen vorher wahrscheinlich noch ein Bettler, auf Almosen angewiesen.
„Was machst du hier“, fragte der Journalist ihn.
„Ich streiche den Gehsteig“, antwortete der Mann im Rollstuhl.
"Warum?"
„Weil das jetzt auch mein Land ist.“


Ich weiß schon, wir leben in einer Demokratie. Die meisten von uns sind satt und wohlgenährt. Kein Grund für eine Revolution. Der Leidensdruck ist noch nicht groß genug. Und doch ertappe ich mich bei dem Wunsch, dass auch wir wieder auf die Straße gehen, zu Hunderttausenden, dass wir – wie die Ägypter - den Besen in die Hand nehmen und den Dreck von Korruption und Bestechung wegkehren und den Mief der politischen Verstrickungen und Ungerechtigkeiten beseitigen.

Sonntag, 24. Oktober 2010

Thermenbudgetklausur

Unsere Regierung hat sich in den letzten Tagen in die Therme Loipersdorf zurückgezogen.


„Mir ist eigentlich alles wurscht“, der Vizekanzler und Finanzminister knetet seine fetten Schwimmreifen und betrachtet sein kleines Spatzerl, „Hauptsache die Bauern sind zufrieden. Geht’s den Bauern gut...“
„...gehts den Bauern gut“, vervollständigt ein Kollege der anderen Partei den Satz.
„Meine Güte, wie mich das alles nervt“, murmelt die Justizministerin und probiert eine andere Brille, „ich sollt längst mit dem Grasser-Anwalt im Café Landtmann sitzen. Außerdem hab ich grad andere Sorgen.“
„Wie wäre es mit einem Aufguss“, drängt sich ein Kollege von der oberen Regierungsbank vorbei in Richtung Ofen, „tritt ein bissl zurück, Klautschi!“
„Sicher nicht. Rücktritt ist für mich kein Thema.“
„Aufguss!“, schreit der Thermencoach und das rote Licht schaltet sich ein. Wabernd steigt der Dampf auf, einer der Politiker greift zum verschwitzten Handtuch und wachelt. Die Saunagäste stöhnen.
„Ich hab’s!“, schreit einer aus der zweiten Reihe und hustet. „Wir erhöhen die Tabaksteuer. Rauchen ist eh ungesund, da können sie uns nichts vorwerfen.“
„Na gut, aber dafür halt Vermögen ein kleines bissl versteuern und Stiftungen. Weißt eh Josef, die werden es sich nachher auch richten können und wir lassen bei unseren Gesetzen schon genug Schlupflöcher. Oder wir erfinden was Neues, das der Verwaltungsgerichtshof dann eh wieder kippt.“
„Puuhhh, ich schwitz.“
„Was glaubst, wie erst die Leut schwitzen, wenn sie das erfahren.“

„Und die Pflegebedürftigen schröpfen wir auch ein bissl“, schlägt einer vor. „Es ist ja wirklich eine Katastrophe, wie die das alle ausnutzen, die setzen sich absichtlich in Rollstühle oder hacken sich ein Bein ab, damit sie Pflegegeld beziehen. Diesen Sozialmissbrauch müssen wir unbedingt verhindern. Außerdem können die eh nicht mehr aufstehen und auf die Straße gehen“. Er kichert. Ein paar seiner Freunde nicken vehement. „Überhaupt können wir da bestimmt auch ein paar Euro einsparen, wenn wir bei den Ärmsten sparen.“
„Und was ist mit den Familien?“, fragt die Familienstaatssekretärin der Familienpartei, "ich glaub, die haben eh alle viel zu viel. Vor allem die roten Arbeiterfamilien", fügt sie süffisant hinzu. Die gehören ohnehin bestraft, denkt sie, weil sie in Wien mit diesen chaotischen Grünen koalieren wollen anstatt mit uns geilen Schwarzen.
„So lange es die Bauern nicht betrifft“, seufzt der Vizekanzler „ist mir alles recht. Ihr wisst ja: Geht’s den Bauern gut,...“
Der Kanzler gähnt. „Die Bauernkinder studieren eh nicht, die betrifft das also nicht. Brauchst keine Angst haben, die Bauernkammer wird stolz auf dich sein.“

„Den Familien haben wir eh vor zwei Jahren ein Geschenk gemacht, das nehmen wir ihnen jetzt einfach wieder weg. Die merken das vielleicht nicht einmal. Und so lang studieren braucht eh niemand, da können wir auch kürzen. Und sind wir ehrlich: Uns betrifft es ja nicht. Wir haben längst studiert, ein paar von uns sogar Jahrzehnte und unsere Kinder sind auch schon groß. Die Studenten, diese Revoluzzer regen sich ja sowieso auf, egal, was wir beschließen.“

„Die Autofahrer“, fällt einem anderen Politiker ein, „die sind auch mitschuld an der Krise. Überhaupt sind alle mitschuld an der Krise, außer uns und den Banken. Und sogar die bitten wir jetzt zur Kassa, um des lieben Friedens willen.“
Der Sekretär hakt „Autofahrer“ auf seiner Liste ab.
„Und was ist mit den Pendlern?“ regt sich ein soziales Gewissen ganz hinten.
„Für die tun wir halt die Pendlerpauschalen ein bissl erhöhen“.
„Na gut.“ Wieder eine Einigung. Der Kanzler ist zufrieden.

„Na sehr visionär ist das alles aber nicht“, beklagt sich eine Ministerin leise. „Was ist mit Strukturreformen, einer groß angelegten Verwaltungsreform, die Zusammenlegung von Krankenkassen, Abschaffung der Landesregierungen und so?“
„Wer Visionen hat, braucht einen Arzt“, erinnert sich ein schwarzer Politiker an die Worte eines roten Bundeskanzlers.
„Geh bitte“, sagt ein anderer. „Strukturreformen sind viel zu kompliziert und anstrengend, außerdem schneiden wir uns da ins eigene Fleisch. Wir brauchen die Posten einfach für unsere Funktionäre. Wir tun lieber da ein bissl was und dort ein bissl was und tun allen ein bissl, aber niemandem so richtig weh.“
„Den Bauern dürfen wir halt gar nicht weh tun, bitte, vor allem nicht den ganz Großen. Also den Liechtensteins und all den anderen adeligen Bauern. Die brauchen die EU-Förderungen ganz dringend. Höchstens bei den kleinen Biobauern ein bissl was sparen, ja? Ich weiß nicht, ob ich das schon erwähnt hab. Und der Wirschaft dürfen wir auch nicht wehtun. Ihr wisst ja: Geht’s der Wirtschaft gut...“
„... geht’s der Wirtschaft gut.“
„Und auf die Leistungsträger müssen wir auch aufpassen, die braucht unser Land!“
„Wohin tragen die eigentlich die Leistung immer?" fragt einer der Minister neugierig.
„Na nach Liechtenstein."

„Ich will raus“, stöhnt eine Ministerin, „könn’ ma das nicht später im Whirlpool besprechen.“
„Geht nicht. Rotlicht. Erst, wenn wir ein Budget haben, wird geöffnet.“


Ich zieh mich übermorgen auch in die Therme zurück. Schauen wir mal, was wir dort aushecken.

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

Neu

"Pinguin"
"Pinguin"
bonanzaMARGOT - 11. Mär, 11:11
Sleepless im Weinviertel
Ich liege im Bett. Ich bin müde. Ich lese. Eine Romanbiografie...
testsiegerin - 13. Jan, 11:30
... ich könnte mal wieder...
... ich könnte mal wieder eine brasko-geschichte schreiben.
bonanzaMARGOT - 8. Jan, 07:05
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
OHHH!
OHHH! Hier scheint bei Twoday etwas nicht zu stimmen. Hoffentlich...
Lo - 7. Jan, 13:36
loving it :-)
loving it :-)
viennacat - 2. Jan, 00:51
Keine weiße Weste
Weihnachtsgeschichte in 3 Akten 1. „Iss noch was,...
testsiegerin - 16. Dez, 20:31
ignorier das und scroll...
ignorier das und scroll weiter nach unten.
testsiegerin - 27. Okt, 16:22

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