Briefverkehr mit einem Beamten

Sonntag, 10. Dezember 2006

Briefverkehr 41

Puh, Barbara,
ich trinke gerade ein Glas Chardonnay (nein, nicht Jennys Meerschweinchen, sondern richtigen Wein) und versuche zur Ruhe zu kommen. Und das, obwohl die Unruhe eben mir sehr, sehr gut getan hat. Mein Ohr glüht immer noch von unserem Telefonat, obwohl du gar nicht viel gesagt hast, und ich bekenne freimütig: das Ohr ist nicht der einzige Körperteil, der glüht.

Dein Schweigen war ein ganz anderes als das bei Donna Rosa. Und deine Stimme, die das Schweigen hin und wieder gestört hat, die war viel leiser als in deinen Briefen.
Ja, jetzt sitze ich da und lasse unser Telefonat noch einmal Revue passieren.
Ich hab dir erzählt, dass ich vorhin einen Spaziergang gemacht hab, in ein schlimmes Gewitter geraten bin und mit völlig durchnässten Schuhen zu Hause angekommen bin, weil ich keine Gummistiefel anhatte. Du hast gefragt, ob ich dich wirklich angerufen habe, um mit dir übers Wetter zu reden. (Ich hab dich ohne jegliche Absichten angerufen, übrigens.) Dass du auch nass bist, hast du gesagt, wenn auch nicht an den Füßen.
Und dann haben wir geschwiegen. Ich, weil du mich verlegen gemacht hast, du – ja, keine Ahnung, warum du geschwiegen hast. Du scheinst manchmal einfach gern zu schweigen, ich gewöhne mich schön langsam daran.
Aber als du dann nach endlosen Minuten „Herwig ... Herwig ... Herwig“ geflüstert hast, ist mir ganz warm geworden. Ich wusste nicht, dass man meinen Namen so zärtlich säuseln kann. Mario oder Giovanni, das sicher, aber Herwig?
Hmmm. Du.
Ob es mich stört, wenn du dich streichelst, während wir schweigen, wolltest du wissen, und ich hab den Kopf geschüttelt. Aber das konntest du nicht sehen.
Dann hast du mich gebeten, dir etwas vorzulesen. „Aus der Göttlichen Komödie?“, hab ich vorgeschlagen und du hast gestammelt: „Irgendwas. Egal. Aber rede.“

Barbara, du bist die erste Frau in meinem Leben, die einen Orgasmus bekommen hat, während ich ihr aus der Niederösterreichischen Abgabenordnung aus 1977 vorgelesen habe. Tut mir leid, aber die Sammlung der Landesgesetze war das einzige Buch, das griffbereit auf dem Couchtisch lag.
Habe ich richtig gehört, dass du bei § 63 a gekommen bist? Bei dieser Passage, oder?
Anbringen, für die Abgabenvorschriften Schriftlichkeit vorsehen oder gestatten, können nach Maßgabe der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden technischen Mittel auch telegraphisch, fernschriftlich, im Wege automationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingebracht werden.
Was fandest du daran eigentlich so erotisch?

Sicher bin ich mir ja nicht. Spätestens seit der Szene, als Sally Harry im Restaurant den Orgasmus, der in die Filmgeschichte eingegangen ist, vorgespielt hat, wissen sogar die blödesten unter uns Männern, dass der Schein manchmal trügt.
Aber ich geh einfach davon aus, dass es für dich schön war. Selber schuld, wenn nicht. Ich hätte schon mehr Geduld gehabt und noch ein paar weitere Paragraphen gelesen.

Barbara, dein Stöhnen hat mich ziemlich angemacht. Du hast „Danke“ in den Hörer gehaucht, dich bei mir entschuldigt, mir gestanden, dass dir das jetzt total peinlich ist und aufgelegt. Ja, danke auch. Du musst dich nicht entschuldigen, denn es war auch für mich wunderschön, dir gut zu tun. So bin ich. Ein völlig selbstloser Altruist, würden die einen sagen. Ein Idiot, die anderen. Aber es ist mir sowieso egal, was die einen und was die anderen sagen.
Und das nächste Mal ...

Ich küsse dich. Wo auch immer es dir gut tut.

Dein Herwig

P.S. Nie wieder werde ich bei einer Sitzung völlig unbefangen aus der Abgabenordnung zitieren können, sondern dabei immer ein völlig dämliches Lächeln auf den Lippen haben. Eines, das du mir dorthin gezaubert hast.

Samstag, 9. Dezember 2006

Briefverkehr 40

Ach Herwig,

Wie wäre es, wenn du aufhörtest zu schwafeln und mich endlich anriefst? (Liebtest du den Konjunktiv auch so sehr wie ich? Manchmal fürchte ich, er könnte stürben, Hand in Hand mit dem Genetiv.)

Egal. Ich glaub, ich tät mich ziemlich freuen mögen, wenn ich deine Stimme hörtete, wie sie mir etwas vorliest.


Deine Barbara

Briefverkehr 39

Liebe Barbara,

lese ich richtig? Du bist eine komplizierte, schwierige und launenhafte Frau? Jetzt schwindelst du mich aber an. Dein allererstes Schreiben an die Bezirkshauptmannschaft, all deine anderen Briefe, der verhinderte orientalische Ritualmord, deine hilfreichen Gedichtrezensionen, die hundert geschälten Maroni, all das waren doch Indizien dafür, dass es sich bei dir um ein pflegeleichtes, faltenfreies sowie aus- und einkochbares Exemplar der weiblichen Spezies handelt. Not to iron. Ich war überzeugt: Die wird an den Nachmittagen Strohsterne basteln, die Nachbarin auf Kaffee und selbst gebackene Kekse einladen, die Thujen im Vorgarten schneiden, mit Jenny Differenzialgleichungen diskutieren und mit verklärtem Lächeln auf dem Gesicht die Gartenzwerge abstauben. Auf dem Nachhauseweg von unserem legendären Restaurantbesuch dachte ich noch: Herwig, du hast Schwein gehabt. So eine liebe, nette, angepasste und unterhaltsame Frau. Endlich eine, die mit Dresscodes auf du und du ist, eine, die in allen Lebenslagen weiß, wie man sich zu benehmen hat, die Mohnblumen isst und den Wein, der ihr nicht schmeckt, einfach und ehrlich wegschüttet. Eine, die weiß, wann sie zu schweigen hat. Herwig, hab ich mir zugeflüstert, du hättest es schlimmer treffen können, und ich war dem Schicksal unendlich dankbar, dass es mir ausgerechnet dich vor die Füße geworfen hat. Eine Seele von einer Frau.

Und jetzt erzählst du mir so was. Ich bin erschüttert.
Hör mir mal bitte ganz gut zu: Meine hysterische Nachbarin geht mir furchtbar auf die Nerven und ich wünschte mir, du würdest ihr Gift in den Kaffee tun. Jenny braucht keine Ersatzmama, weil sie Mutter und Vater und Großmütter und Großväter und sogar eine Urgroßmutter hat. Und ich brauche auch keine Ersatzmama. An meine Hemden lasse ich nur Wasser und ein Bügeleisen, das von meiner eigenen Hand geführt wird. Zerrissene Zeitungen finde ich total praktisch zum Einheizen und ich finde es todlangweilig, wenn Messer im Messerblock und zwei gleiche Socken im Schrank sind.

Du siehst, ich bin also durchaus kompromissbereit. Was ich mir jedoch selbstverständlich erwarte ist, dass du im Bett abgehst wie eine Rakete. Jede Nacht mehrmals.

Verdammt, Barbara, ich hab mich in dich verliebt. Weiß Gott, warum, aber so ist es. In dich. Nicht in irgendein Model aus dem Chips-Katalog. Könntest du das bitte endlich kapieren?

Dein Herwig

P.S. Du hast die anderen Aufschläger der Bezirskshauptmannschafts- Volleyballmannschaft (VC Vorwärts Netzprobe) noch nicht gesehen, sonst würdest du über den Amtsarzt nicht so spotten.

Freitag, 8. Dezember 2006

Briefverkehr 38

Lieber Herwig,

ja.
Will ich. Also telefonieren. Und das andere auch. Also, dass es weitergeht. Gleichzeitig weiß ich nicht, ob ich will. Was ich will. Wie ich will. Aber ich will. Reicht das für den Moment?
Deine Gefühle machen mir Angst. Und meine machen mir noch mehr Angst. Es wird wieder wehtun. Früher oder später. Wahrscheinlich früher. Meistens hat es früher wehgetan als später.
Ich werde wieder enttäuschen. Dich und Jenny und mich und was weiß ich, wen noch. Du sagst, ich habe Angst, dass jemand bemerkt, dass ich nett bin. Ich will aber nicht nett sein, verstehst du? Nett klingt so austauschbar, belanglos, lieb, langweilig. Nett halt.
Ich bin keine Plastilinpuppe, die man sich so zurechtformt, wie man sie gerne hätte. Freundlich zu den Nachbarn, erfolgreich im Beruf, eine großartige Köchin und gute Gastgeberin, eine liebevolle Ersatzmama und gute Zuhörerin und aufregend im Bett. Ich bin definitiv nicht nett.
Wenn du eine nette Frau willst, nimm die Kelly und iss mit ihr jeden Abend Chips auf der Couch. Sie wird an deinen Lippen hängen und dich bewundern, wenn du ihr aus der Göttlichen Komödie vorliest.
Wenn du eine schwierige Frau willst, eine, die nicht weiß, was sie will, eine, die grad noch selbstherrlich und überheblich war und im nächsten Moment in Tränen ausbricht, weil sie sich von niemandem geliebt fühlt, wenn du eine Frau willst, die schon die ersten Fältchen hat und kein Botox spritzen wird, um für dich schön zu sein, eine, die voller Narben und Schrammen ist, die das Leben ihr zugefügt hat, eine die – weil sie manchmal so verwirrt ist – die Socken in den Kühlschrank steckt und die Löffel in die Waschmaschine, wenn du eine Frau willst, die zu laut lacht und zu laut heult und die Zeitung zerreißt, weil sie wütend auf das ist, was in der Welt so passiert, ja ... was wollte ich eigentlich sagen ... ja, ich weiß schon ... also, wenn du so eine willst, dann bin ich vielleicht die richtige. Aber wer will schon so was. Noch nicht mal ich will das.

Themenwechsel. Ich hab deinen Freund, den Amtsarzt, kennen gelernt. Zufällig. Nie und nimmer ist das der beste Aufschläger eines Volleyball-Teams. Das einzige, was der gelegentlich aufschlägt, ist ein Spiegelei in der Pfanne. Oder zwei oder drei oder vier.

Meine Telefonnummer: 0656/7484304. Und überhaupt bin ich froh, dass deine Ex-Frau noch lebt. Ich bin nämlich kein fieses Arschloch.

So. Punkt. Weiteratmen. Und aus.
Barbara

Donnerstag, 7. Dezember 2006

Briefverkehr 37

Liebe Barbara,

oh, die Madame ist eifersüchtig. Wer hätte denn das gedacht? Und Madame hat ein angeschlagenes Selbstwertgefühl und fühlt sich von Kelly Clarkson-Sattmann-Tauber bedroht. Da schau her!
Meine Güte, hast du immer noch nicht bemerkt, dass du für mich total attraktiv bist? Dass ich deine Rundungen genauso gern mag wie deine Ecken und Kanten?

Barbara, ich bin froh, dass du mir nicht erzählst, dass der Nachmittag für dich schön war und dass du dich wohl gefühlt hast, als du mich gespürt hast und all das andere, dass du mir in deinem Brief auch nicht erzählst. Vielleicht könnte ich nämlich damit nicht so gut umgehen wie mit deinen ständigen Sticheleien.
Ich habe Jenny nicht erzählt, dass du eine dämliche Zicke bist. Ich hab ihr nur gesagt, sie soll sich nicht wundern, wenn du den ganzen Tag schweigst, das läge an einer sehr seltenen und geheimnisvollen Krankheit, über die man noch nicht viel weiß. Und dass es nichts mit ihr zu tun hat, wenn du in Gummistiefeln über den Tisch kletterst und den Krampus verprügelst und dass du eigentlich ganz nett bist, aber totale Angst davor hast, dass die Leute das bemerken. Das hab ich ihr gesagt, sonst nichts. Sie hat es trotzdem bemerkt, meine Tochter.

Und du hättest ruhig fragen können, was mit Jennys Mutter passiert ist.
Nichts Spektakuläres, obwohl ich wahrscheinlich aufgrund deines Hanges zur Dramatik in deiner Achtung steigen würde, könnte ich mit wilden und tragischen Geschichten auffahren. Vielleicht hättest du Mitgefühl mit mir, wäre sie vor unseren Augen vom Tsunami ins Meer gerissen worden, in der Standseilbahn verbrannt, von einem alkoholisierten Raser niedergemäht worden oder wenigstens an Brustkrebs verstorben.
Kann ich alles nicht bieten. Sabine wohnt drei Häuser weiter, ist seit drei Jahren meine Ex-Frau und wir verstehen uns wunderbar. Sorgen und Sorgerecht teilen wir und Jenny findet es mittlerweile cool, zwei Wohnungen zu haben. Das war aber nicht immer so, eh klar. Sabine ist noch bis Mitte Jänner auf Ausbildung in Deutschland, deshalb kann ich abends und am Wochenende nicht alleine weg (außer Mittwochs, zum Volleyballspielen) und hab Jenny deshalb zum Adventmarkt mitgenommen. Aber ihr habt euch ja ohnehin prächtig amüsiert.
Zufrieden mit meiner Erklärung? Sicher nicht. Bist du eigentlich jemals so richtig zufrieden? Oder gar glücklich?

Ach Barbara, wie geht es mit uns weiter? Möchtest du denn überhaupt, dass es weitergeht? Ich hab ein bisschen Angst, dass dir mein beschauliches Leben zu langweilig sein könnte. Einen Mord im Hotel Orient konnte ich dir nicht bieten und jetzt nicht einmal einen soap-opera-reifen Rosenkrieg mit der Ex. Tja, nicht mal Sex mit der Ex.

A propos. Was hältst du davon, wenn wir in den nächsten Tagen telefonieren? Wenn du magst, könnte ich dir dabei ja etwas vorlesen.

Ich drück dich
Dein Herwig

Dienstag, 5. Dezember 2006

Briefverkehr 36

Lieber Herwig,

was ich mit dir mache, fragst du? Gar nichts mache ich. Das Schicksal macht. Glaubst du ans Schicksal? Ich finde die Sache mit dem Schicksal praktisch, da ist man für sein Tun nicht verantwortlich, weil sowieso dieses Schicksal seine dreckigen Hände im Spiel hat.

Ich muss dir etwas gestehen, Herwig: Ich habe mich am Wochenende verliebt.

In Jenny.
Die Kleine ist voll süß. Dabei hab ich vor ihr mehr Angst gehabt als vor unserem Zusammentreffen. Kinder können ja grausam sein, und habe befürchtet, deine Tochter wird mich verachten, weil ich ihr für ein paar Stunden den Papa stehle. Ich bin aber keine Diebin, oder zumindest eine anständige, die das Diebsgut gerecht teilt.
Was hast du Jenny eigentlich über mich erzählt? Sie hat mich angestarrt wie ein UFO, das soeben im Schulhof gelandet ist und mir ständig auf die Füße gestarrt. Hast du wirklich geglaubt, ich fahre in schwarzen Gummistiefeln auf den Adventmarkt? „Du kannst ja sprechen“, hat sie fassungslos gesagt und ein wenig später „und Schreckschraube bist du auch keine“, in mein Ohr geflüstert.
Du hast also deiner Tochter erzählst, ihr verbringt den Sonntagnachmittag mit einer stummen, gummibestiefelten, dämlichen Zicke, die kleine Kinder frisst, wie?
Im Übrigen kannte sie mindestens so viele Schimpfwörter wie ich, wenn auch nicht so schöne, und meine Witze hatten ausnahmslos eine Pointe, die hat sich Jenny nur nicht gemerkt.
Ach, ich beneide sie ein bisschen, ich hätte auch gerne jemanden, der mir manchmal vorliest.
Über Beatrix hat sie mir auch erzählt, deine Tochter. (Unaufgefordert, ich schwöre!) Dass sie letztens mit euch Eislaufen war und wie Kelly Clarkson ausschaut, hab ich in Erfahrung gebracht. Ich habe soeben nach dieser Kelly gegoogelt. Nach mausgrauer, netter Kollegin schaut die aber wirklich nicht aus! Ich weiß, es geht mich nichts an. Du kannst schließlich Eislaufen gehen mit wem du willst, sogar mit Kelly Clarkson. Mich friert dabei sowieso immer.
Aber Frauen, die so ausschauen, die schicken einen nicht aus Mitgefühl zum Amtsarzt. Die tun das aus eiskalter Berechnung.
Ich meine es nur gut mit dir, Herwig. Nimm dich bitte in Acht vor der. Wolltest du nicht irgendwann einen neuen Job suchen? Das kann ohnehin nicht die Erfüllung sein, so ein Ärmelschonerberuf auf einer Behörde.

Ich schick dir zwei Küsse. Einer ist für Jenny. Richte ihr bitte aus, dass ich sie sehr mag. Und einer ist für ihren Vater. Sag ihm, dass ich ihn auch mag. Sag ihm, meine Gefühle sind bestimmt tiefer und ehrlicher als die von Kelly Clarkson, und meine Küsse besser.

Ich weiß jetzt übrigens, warum du mir damals mohnroten Lippenstift geschenkt hast. Nicht aufgrund deiner Liebe zum Waldviertel und meiner Liebe zum Lippenstift, nein. Rote Lippen, hab ich gelesen, verstören das männliche Kleinhirn. Der Mund signalisiert Eros, während andere Körpersignale eine andere Sprache sprechen - "Jetzt nicht" zum Beispiel. Und das kleine Männerhirn nimmt diese Mischung aus widersprüchlichen Signalen als weibliche Dominanz wahr. Zu Recht, sagt die Studie.

Herwig?
Ich sag dir jetzt nicht, dass das ein wunderschöner Nachmittag für mich war. Und dass ich mich in Wahrheit gar nicht gefürchtet hab vor den Krampüssern (ist das Plural von Krampus?). Und dass ich das Lehnen und Lächeln bei der Trockenbeerenauslese sehr genossen hab. Das alles behalte ich bei mir. Es sind meine Geheimnisse. Sonst wirst du noch übermütig.

Deine Barbara

P.S. Ich hab weder Jenny noch dich fragen getraut. Wo ist eigentlich ihre Mutter? Du musst das aber nicht beantworten, wenn es dir unangenehm ist, ja?

Montag, 4. Dezember 2006

Briefverkehr 35

Liebe Barbara,

Jenny ist grad eingeschlafen, nachdem ich ihr aus „Jakob und der gewisse Herr Stinki“ vorgelesen habe. Sie kann zwar längst selber lesen, aber sie liebt es noch immer, sich an mich zu kuscheln und mir zuzuhören. Ein witziges Buch ist das, ich musste beim Vorlesen ein paar Mal laut lachen, und irre schön ist es illustriert. Sie hat sich so drüber gefreut!

Ja, Jenny schläft also jetzt und hat den Tag total genossen.
Ich sitz hier mit einem Glas Rotwein (diesmal kein Moet Chandon, sondern blauer Zweigelt, den wir vor ein paar Stunden gemeinsam im Keller verkostet haben) am Kamin und in mir geht’s drunter und drüber.
Mensch, du.
Blutige Fingernägel hab ich, vom Maronischälen, und wahrscheinlich muss ich mich morgen krankmelden, weil ich nicht tippen kann. Wie können eine (halbwegs) erwachsene Frau und ein kleines Kind gemeinsam hundert Edelkastanien verdrücken?

Hast du eigentlich bemerkt, dass ich auch da war? Abgesehen von dem einen Augenblick, wo du mich auf den Mund geküsst hast, nachdem du das Schmalzbrot mit Zwiebel und Knoblauch gegessen hast? Du hast gut geschmeckt, trotzdem. Ich wünsch mir mehr davon, Barbara. Mehr von dir und deinen Küssen. Wenn du magst, streich ich dir vorher ein Brot mit Orangenmarmelade.
Es waren nur ein paar Momente, Barbara, in denen ich kurz das Gefühl hatte, dass du deine Widerspenstigkeit verlierst, aber diese kostbaren Momente habe ich inhaliert wie ein Beduine orientalischen Apfeltabak. Als du dich beim Perchtenlauf ängstlich an mich geklammert hast, weil die pelzigen Gestalten so furchterregend mit den Ketten gerasselt haben, da hab ich gespürt, wie weich und warm du bist, innen wie außen. Und bei der Trockenbeerenauslese, da hast du dich an mich gelehnt und mich angelächelt, so süß und schwer wie der Wein, und ganz ohne Zynismus. Bis Jenny sich dazwischen gedrängt hat, dieses kleine Biest.

Ich bin ja froh, dass du dich mit ihr so gut verstanden hast, sie war heute früh ohnehin total traurig, als Jessica abgesagt hat. Aber ich hätte halt auch gern ein bisschen mehr von dir gehabt. Immerhin, Jenny hat mir auf dem Nachhauseweg vier schlechte Witze ohne Pointe erzählt und kennt dreiundzwanzig neue Schimpfwörter. Gratuliere. Sie findet dich cool. Na super. Und du, findest du es wirklich in Ordnung, einer Achtjährigen Sprüche wie Du hast wohl einen Furz quer im Gehirn sitzen beizubringen?
Mindestens ein Jahr Erziehungsarbeit beim Teufel, verdammt noch mal, du Aas!

Bist du mir sehr böse, weil ich dir auf dem Nachhauseweg meinen Wagen nicht überlassen habe? Weißt du, es wäre mir einfach peinlich gewesen, wenn du ins Radar gedonnert wärst und ich mir selbst eine Anonymverfügung ausstellen muss. Ich bin ja für mich auch nicht sehr anonym.

Ich hab grad ein Gedicht auf ein Blatt Papier gekritzelt. Ich weiß, ich bin kein Hesse. Nur Korneuburger. Jurist. Ein verliebter Mann. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Wenn es dir danach besser geht, dann zerreiß es in der Luft.

Schale um Schale
will ich von deinem Herzen schälen
selbst wenn ich mich dabei verletze
es warm und willig
halten
nicht zu fest
riskieren will ich
dass ich mich verbrenne
an deiner Glut


Barbara Barbara Barbara Barbara
was machst du mit mir?

Dein Herwig

Sonntag, 3. Dezember 2006

Briefverkehr 34

Lieber Herwig,

zuerst war ich nicht sicher, ob ich dir glauben soll oder nicht, aber weil grad Vorweihnachtszeit ist, hab ich beschlossen, dass du die Wahrheit sagst und mit dem Schreiben und der Vorladung zum Amtsarzt nichts zu tun hast. Sicherheitshalber hab ich im Telefonbuch nachgeschaut. Diese Beatrix Sattmann-Tauber gibt es also tatsächlich. Ich finde Doppelnamen übrigens voll bescheuert. Nur Frauen, die sich bei der Hochzeit nicht durchgesetzt haben, tragen Doppelnamen. Es hat irgendwie so etwas pseudo-feministisches, den eigenen Namen als Anhängsel hintendran zu hängen. Wirklich emanzipierte Frauen behalten ihren Namen einfach. Barbara A. Steiner-Lehner, das klingt nicht wirklich gut. Herwig Lehner-Steiner aber auch nicht. Wir haben Glück gehabt. Nicht, dass ich auch nur im Traum daran denken würde, dich zu heiraten, ich hab halt grad so herumgespielt mit unseren Namen, mehr nicht. Darauf brauchst du dir überhaupt nichts einzubilden, das mach ich ständig.

Weißt du, was mich ärgert? Du denkst immer so entsetzlich positiv. Ich hasse diesen Optimismus. Immer siehst du nur das Gute in den Menschen.
Ich hab den Brief von deiner Kollegin ja einem Freund von mir gezeigt, und der hat sinngemäß gemeint, dass diese Beatrix Doppel-Name selbstredend total auf dich abfährt und mich als Nebenbuhlerin betrachtet und ausschalten will. Wahrscheinlich bin ich nicht die Erste, sondern sie hat schon ein paar Konkurrentinnen auf diese Art aus dem Weg geräumt. Die sitzen jetzt vollgepumpt mit Neuroleptika in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses und flechten Glasuntersetzer aus Bast.
Und du nennst diese Trixi-Kollegin auch noch „eine ganz eine Liebe“. Aber ich lasse heute Milde walten und schreibe das deiner männlichen Naivität zu.

Grüße
Barbara

P.S. Ich werde pünktlich vor dem Rathaus sein.

Samstag, 2. Dezember 2006

Briefverkehr 33

Ach Barbara,

du bist irgendwie lieb, wenn du so wütend bist. Ich würde dich jetzt gerne in meine Arme nehmen und hoffen, dass du mir nicht mein Gesicht zerkratzt oder mir in die Augen spuckst.
Das wäre nämlich ungerecht. Ich habe ein reines Gewissen und wasche meine Hände in Unschuld.

Einen riesigen Schreck hab ich gekriegt, als ich heute früh – nach drei Tagen Pflegeurlaub (Jenny hatte 37,1 Temperatur – also hohes Fieber und konnte auf keinen Fall in die Schule gehen) wieder ins Amt kam und deine Beleidigungen las. (Du warst schon mal origineller, ganz nebenbei bemerkt.)
Ich hab mich gar nicht ausgekannt, was dich so auf die Palme gebracht hat, aber dann sah ich den Akt offen auf dem Tisch liegen. Dein Brief an die Behörde war drin, witzig und maßlos übertrieben wie immer - die Antwort von meiner Kollegin, und die Mitteilung an den Amtsarzt.
Du musst wissen, Trixi ist eigentlich eine ganz eine liebe. Etwas spröde ist sie und nicht mit reichlich Humor gesegnet, und sie sorgt sich mehr um die Leute als es notwendig ist. Ich bin mir sicher, dass sie dich damit nicht ärgern oder gar verletzen wollte.

Der Amtsarzt spielt mit mir in Volleyball-Mannschaft (er ist der beste Aufschläger, den du dir vorstellen kannst) und ich werde ihn mir am Mittwoch zur Brust nehmen, damit er den Zettel unbemerkt verschwinden lässt. Du weißt, dass mir so etwas nicht leicht fällt, aber du bist es mir wert, dass ich meinen Job aufs Spiel setze. Wenn ich es mir so recht überlege, gibt es ohnehin Berufe, die spannender sind als der eines Juristen auf der Strafabteilung.
Kannst du bitte in Zukunft „Persönlich“ auf die Briefe schreiben, damit nicht wieder so ein Missverständnis passiert?

Jenny ist wieder ganz gesund und freut sich darauf, dich kennen zu lernen. Sie würde gerne ihre beste Freundin zum Adventmarkt mitnehmen. Ich hab ihr gesagt, da du nichts gegen Britney und Pamela und Paris hast, wirst du auch kein Problem mit Jessica haben.
Treffen wir uns um drei vor dem Korneuburger Rathaus?
Ich freu mich sehr.

Dein Herwig

P.S. Wir haben keinen Cockerspaniel. Nur ein Meerschweinchen namens Chardonnay.

Briefverkehr 32

Herwig,

du Arschgeige, du Beutelratte, du Charakterschwein ... (den Rest bis Y kannst du dir denken) ... du Zwergpinscher!
Boahh, ich kann dir gar nicht sagen, wie wütend ich bin. Jetzt bist du zu weit gegangen, Herwig, viel zu weit. Mich als psychisch krank zu bezeichnen und zum Psychiater zu schicken. Du bist wohl völlig übergeschnappt. Jetzt ist Schluss mit lustig. Da hört sich der Spaß nämlich wirklich auf.
Krall dir deinen blöden Cockerspaniel und geh mit ihm und Jennifer auf den Adventmarkt. Am besten in den unterirdischen Teil. Und noch am besten kommst du gar nicht mehr rauf.

Mich lass in Zukunft in Ruhe.
Adieu.
Barbara

Weise Worte, wahr

"Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist küssen mit dem Kopf." Aus Gut gegen Nordwind - Daniel Glattauer

Selbstgeschrieben


Barbara A. Fallnbügl (mein Mädchenname) Monika Pellkofer- Grießhammer
Jakob und der gewisse Herr Stinki


Barbara A. Lehner (Text) Eleonore Petzel (Musik)
Von Herzen und Seelen - CD

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